Flaute nach dem Windgipfel in Berlin
19. November 2019Manchmal schnurren ganz grundsätzliche Fragen einer Gesellschaft auf eine Zahl zusammen: 1000 Meter. Diese Entfernung soll nach den Vorstellungen der deutschen Regierung künftig für den Abstand zwischen bewohnten Siedlungen und Windrädern in Deutschland gelten. So ganz sicher ist sich die Regierung da aber nicht, es streiten sich derzeit Umweltministerin und Wirtschaftsminister, und die versammelten Wirtschaftsverbände melden sich ebenfalls zu Wort. Allerdings brachte auch ein zweiter Windenergiegipfel am Montag in Berlin keine neuen Erkenntnisse.
Ohne die Energie aber, die durch die Windräder gewonnen wird, sind die angestrebten Energieziele der Regierung nicht zu erreichen. Gegen Windräder in ihren Dörfern, auf ihren Feldern und in ihren Wäldern jedoch wehren sich derzeit rund 1000 Bürgerinitiativen im Land. Ein Problem, das man erst nehmen muss, findet Wirtschaftsminister Peter Altmaier von der CDU und spricht von "berechtigten Sorgen vieler Menschen", die über 200 Meter hohe Windräder als eine "Beeinträchtigung auch ihrer Lebensqualität empfinden".
40 000 Arbeitsplätze abgebaut
Allerdings: Wenn die 1000-Meter-Regel, wie von Altmaiers Ministerium geplant, schon für eine Ansammlung von fünf Häusern auch außerhalb von Dörfern und Städten gelten soll, dann steht auf einmal viel weniger Land für die Windräder zur Verfügung. "Mit dem geplanten Mindestabstand werden zwischen 20 und 50 Prozent der möglichen Flächen der Windenergie entzogen", stellt der Gewerkschafter Wolfgang Lemb vom IG-Metall-Vorstand fest und sagt auch gleich, warum er sich zu Wort meldet: "Das gefährdet die Windindustrie in ihrer Substanz."
Das findet auch der Ministerpräsident von Niedersachsen. Der SPD-Mann Stephan Weil steht der Regierung eines Landes vor, in dem etliche der deutschen Windradbauer ihre Fertigungsstätten haben. Und denen geht es schlecht: "In den vergangenen drei Jahren sind in der deutschen Windindustrie mehr als 40.000 Arbeitsplätze abgebaut worden - das sind doppelt so viele wie es insgesamt Arbeitsplätze in der Braunkohleindustrie heute noch gibt", sagte Weil am Dienstag. "Wenn es so weitergeht, dann wird es in Zukunft keine deutsche Windindustrie mehr geben."
Tatsächlich wurden im deutschen Binnenland in der ersten Hälfte dieses Jahres nur noch Windräder mit einer Kapazität von 287 Megawatt aufgestellt. Das sind 80 Prozent weniger als im letzten Jahr, und auch das galt schon als schlechtes Jahr. Der deutsche Marktführer Enercon will deshalb bald 3000 Jobs streichen und macht dafür die Politik verantwortlich. Die lege dem Ausbau der Windkraft Steine in den Weg, statt ihn zu fördern. Die Politik in Gestalt des Wirtschaftsministers verweist hingegen auf die störrischen Bürger. Die Grünen-Fraktionschefin im Bundestag, Katrin Göring-Eckardt, warf der Bundesregierung denn auch eine Mischung aus "Unfähigkeit und Angst" vor.
"...hatten wir nicht vor Augen"
Was mit 'Unfähigkeit' gemeint sein könnte, machte der Staatssekretär im Bundesumweltministerium, Jochen Flasbarth, jüngst deutlich. Letzte Woche erklärte Flasbarth in Hamburg, dass er als Beteiligter an dem 1000-Meter-Beschluss diesen jetzt nicht mehr so fassen würde. "Ich muss sagen, da ich an den Verhandlungen beteiligt war, dass weder ich noch Peter Altmaier (...) vor Augen hatten, in welchem Umfang damit Flächennutzungspläne entwertet würden." Sprich: nicht mehr für Windanlagen zur Verfügung stünden.
Bundesumweltministerin Svenja Schulze von der SPD versucht es mit einem Schritt zur Seite. Sie sprach sich nun für den Bau von Windkraftanlagen in Deutschland auch auf privaten Waldflächen aus. "Es spricht aus meiner Sicht wenig dagegen, wenn etwa private Waldbesitzer in ihren Fichtenplantagen auch mal eine Windanlage bauen wollen", sagte Schulze der "Rheinischen Post". Es komme aber sehr auf den konkreten Fall an. "Mit der Haltung, Windräder stören nur, wird die Energiewende nicht vorankommen." Zahlreiche Bürgerinitiativen fordern dagegen, dass der Wald zur "Tabuzone" für Windkraft erklärt werden müsse.
Energieziele stehen in Frage
Grundsätzliche Fragen führen manchmal zu überraschenden Bündnissen: Inzwischen meldeten sich der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), der Deutsche Gewerkschaftsbund, der Windlobby-Verband BWE und von den Maschinenbauern der VDMA gemeinsam in einem Brief an Minister Altmaier zur Wort: "Die geplanten Einschränkungen der Windenergie an Land stellen die Realisierbarkeit sämtlicher energie- und klimapolitischen Ziele der Bundesregierung in Frage."
Eines der zentralen Ziele der Regierung ist der Ausbau erneuerbarer Energie auf 65 Prozent aller Energiequellen bis 2030. Erneuerbare Energie, das ist im wesentlichen Strom aus Sonnenenergie, Biomasse, Wasserkraft - und den Windrändern. Die niemand haben will. Der Anteil der erneuerbaren Energien am gesamten deutschen Energieverbrauch liegt übrigens derzeit bei 14,8 Prozent.
ar/hb (dpa, epd, afp, rtr)