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Kultur kommt in Griechenland zum Schluss

Andrea Kasiske8. Juli 2014

Steuererhöhungen, Kürzungen öffentlicher Zuschüsse, private Insolvenzen: Wer in Zeiten der Krise die Griechen für Theater und Kunst begeistern möchte, muss einfallsreich sein. Ein Stimmungsbild aus Athen.

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EU-Gipfel, Assoziierungsabkommen mit der Republik Moldau, Premierminister Iurie Leanca Moldau 27.06.2014 (Foto: OLIVIER HOSLET/AFP/Getty Images)
Der Premierminister der Republik Moldau, Iurie LeancaBild: Olivier Hoslet/AFP/Getty Images

Gut ein Jahr ist es her, dass das griechische Staatsfernsehen (ERT) geschlossen wurde. Nicht, dass er das Programm besonders vermissen würde, sagt der Fotograf Ilias Illiadis, aber bei dem Protest zum Jahrestag der Schließung wolle er unbedingt dabei sein. Diese sei ein Willkürakt gewesen, völlig undemokratisch. Mit dieser Einschätzung steht Illiadis nicht alleine da. Der Regierung traut inzwischen kaum noch jemand etwas Gutes zu, schon gar nicht im Kulturbereich.

Das Kulturministerium sei in der politischen Agenda unwichtig, sagt Giorgos Loukos, Leiter des renommierten "Athen und Epidaurus Festivals". Ohne Sponsorengelder seien die Theater-, Tanz- und Kunstveranstaltungen nicht mehr zu stemmen. Das Budget sei um eine Million gekürzt worden. Die Zuschüsse kämen so spät, dass es keine Planungssicherheit gebe, beklagt er. Große Koproduktionen, wie noch vor Jahren mit der Berliner Schaubühne, sind Vergangenheit. Ein Wunder, dass er dieses Jahr trotzdem internationale Stars wie die Schauspielerin Isabella Rossellini gewinnen konnte. Loukos ist international gut vernetzt. Er hat für das Festival neue Orte erschlossen und es deutlich verjüngt. Nachwuchsregisseure bekommen eine Chance. Nicht nur, weil sie weniger kosten, sondern weil sie am Puls der Zeit agieren. Gerade zeigte das "Regionaltheater Kavala" ein Stück zur Arbeitslosigkeit, mit dem provozierenden Untertitel "Recht auf Faulheit".

Gebäude des Senders ERT in Athen (Foto: AP)
ERT sendet nicht mehrBild: picture-alliance/AP Photo

Die jungen Leute sind politischer als vorher

Trotz der immer prekärer werdenden ökonomischen Lage seien viele Vorstellungen des Sommerfestivals ausverkauft, berichtet Loukos begeistert. Die Ticketpreise wurden angepasst. Arbeitslose zahlten nur fünf Euro. Auch hätten sie die Kosten für den Shuttle zum antiken Theater nach Epidaurus halbieren können. Das Publikum sei jung, sehr interessiert, und das stimme ihn optimistisch.

Über mangelndes Zuschauerinteresse kann sich auch Afroditi Panagiotakou vom Theaterdepartment des Athener Onassis Center nicht beklagen. In der öffentlichen Kulturförderung hätte es ein "Erdbeben" gegeben und Sponsoring sei in Griechenland kaum verankert, sagt die Vizedirektorin des Onassis Center. Mit dem Kulturzentrum unterstützt die Onassis-Stiftung zeitgenössische und politisch engagierte Produktionen, die sonst weder Geld noch Auftrittsorte finden. Im Juni erarbeitete der belgische Regisseur Dries Verhoeven ein Stück mit Migranten. Unter dem Motto "Das ist nicht die Stadt, die du kennst" wurden die Zuschauer einzeln, geführt von "ihrem" Guide auf eine sehr persönliche Stadtreise geschickt. Die Besucherschlange sei gigantisch gewesen, erzählt Afroditi Panagiotakou. Solche Projekte hält sie angesichts des katastrophalen Wahlerfolgs der extremen Rechten für besonders wichtig. Zum Glück seien Künstler und Zuschauer kritischer und auch politscher als noch vor wenigen Jahren.

Performance No Man's Land (Foto: DW)
"Das ist nicht die Stadt, die du kennst": Szene aus einer Performance von Dries VerhoevenBild: Stavros Petropoulos

Das sieht der junge Theaterregisseur Anestis Azas anders. Er kommt aus der freien Szene. Deren Förderung wurde 2001 eingestellt. Seit zwei Jahren pendelt der deutschsprachige Regisseur zwischen Deutschland und Griechenland. Die Stimmung unter seinen Theaterkollegen in Athen habe sich verändert, sagt er. Die meisten seien mit dem Kampf ums Überleben beschäftigt. Von der Euphorie, mit der er selbst gemeinsam mit anderen Theaterschaffenden vor Jahren ein leer stehendes Theater besetzt hat, ist nichts mehr zu spüren. Die Griechen hätten Schwierigkeiten, sich selbst zu organisieren, Verantwortung zu übernehmen, sagt er durchaus selbstkritisch. "Du verstehst das nicht, du bist zu lange weg". Dieser Satz würde ihm ärgerlicherweise öfters begegnen. Er sieht sich als Europäer, schätzt die Freizügigkeit und die Arbeitsmöglichkeiten, vor allem die Koproduktionen zwischen deutschen und griechischen Theatern.

Zeitgenössisches wird ignoriert

Die europaskeptische Haltung vieler Griechen kann die Künstlerin Anna Meli nicht nachvollziehen. Sie macht ihren Master in Medienkunst, ein neuer Studiengang mit einem Austauschprogramm zwischen Athen und Paris. Den Austausch mit den Franzosen findet sie großartig, auch, dass sie im September für ein Jahr in Paris studieren kann. Viele ihrer griechischen Freunde lebten im europäischen Ausland, für sie sei das keine Lösung, sagt die Studentin. Sie hoffe, dass sie durch den Abstand neue Ideen und neuen Schwung bekäme. Das Kultursystem in Griechenland sei zu träge, zu schlecht organisiert, kümmere sich zu wenig um zeitgenössische Kunst.

Die zeitgenössische Kunst habe einen schweren Stand, das meint auch Haralabos Katsatsidis, der als bildender Künstler in Athen lebt. Die "Art Athina" Kunstmesse sei dieses Jahr ein "Desaster" gewesen. Verkäufe habe es kaum gegeben, und der mit Spannung erwartete VIP-Rundgang sei mangels Beteiligung ausgefallen. Seine großformatigen Gemälde verkaufe er nur noch im Ausland. Zu den wenigen positiven Entwicklungen zähle das neue Kunstmuseum, das im Oktober eröffnet wird, der Kulturpark, der mitsamt Opernhaus in der Nähe von Piräus entsteht und vielleicht würde auch aus dem Großprojekt "Re-Think Athens", das eine Begrünung und die Fußgänger- und Fahrradfreundliche Umgestaltung des Zentrums vorsieht, noch etwas. "Wenn es nicht wieder auf dem Papier endet, wie so viele Projekte", sagt der Künstler. Die Skepsis ist ihm anzusehen. Das Vertrauen in die Regierung hat er, wie so viele andere, gründlich verloren.

Haralabos Katsatsidis aus Athen (Foto: DW)
Haralabos KatsatsidisBild: DW/A. Kasiske