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Transnistrien und Russland

Alexandra Scherle13. Juni 2014

Experten befürchten, dass sich die Ukraine-Krise auch auf andere Regionen der ehemaligen Sowjetunion auswirkt - zum Beispiel Transnistrien. Dort hoffen viele Menschen auf eine Angliederung an Russland.

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Heldendenkmal in Tiraspol (Foto: Scherle/DW)
Bild: DW/A. Scherle

Der sowjetische Panzer im Zentrum von Tiraspol hat viele Freunde. Für einen kleinen Jungen ist das Kriegerdenkmal zum Klettergerüst geworden. Er hat es bis auf den Sockel geschafft, sieht sich neugierig das Panorama der Plattenbauten in der Hauptstadt Transnistriens an und winkt seiner Großmutter, die unten auf ihn wartet, zu. Auch Jugendliche scheinen den Panzer zu mögen. Sie lassen sich hier von ihren Freunden fotografieren. Direkt nebenan leuchtet der vergoldete Zwiebelturm einer kleinen russisch-orthodoxen Kirche in der Sonne. Noch höher als der Kirchturm ragt eine Lenin-Statue in den blauen Himmel - vor einem Parlament, das "Oberster Sowjet" heißt, in einem Land, das es völkerrechtlich gar nicht gibt.

Nach einem kurzen militärischen Konflikt hatte sich Transnistrien 1992 mit russischer Unterstützung von der Republik Moldau abgespalten, wird bis heute aber international von keinem Staat anerkannt. Russische Soldaten sind immer noch in der separatistischen Region stationiert. 2006 sprachen sich in einem Referendum etwa 97 Prozent der Bürger für eine Angliederung an die Russische Föderation aus. Daran erinnerte der Präsident des transnistrischen Parlaments, als er sich im März an Moskau gewandt hat. Seine Bitte: Russland solle die gesetzliche Grundlage für eine Angliederung Transnistriens schaffen.

Zwei Männer arbeiten an einer Gedenktafel - das Denkmal ist den Soldaten gewidmet, die im Bürgerkrieg (1990-1992) gefallen sind. (Foto: DW/Alexandra Scherle)
Arbeiten an einem Denkmal für gefallene Soldaten in TiraspolBild: DW/A. Scherle

"Russland auf dem richtigen Weg"

"Wir Slawen sollten unter Slawen leben - und Russland ist politisch auf dem richtigen Weg", meint auch ein Mann mit grauem Schnauzbart, der sich gerade auf dem Flohmarkt in Tiraspol umgesehen hat. Ein blinder Straßenmusikant spielt Akkordeon. Ältere Menschen bieten ihre Waren an: von Ansteckern mit sowjetischen Symbolen bis zu gebrauchten Schuhen und Badezimmer-Rohren. So wie der Flohmarkt-Besucher mit Schnauzbart sind mehr als 60 Prozent der rund 500.000 Bewohner Transnistriens russischsprachig. Gegen die Republik Moldau und die rumänischsprachige Bevölkerung habe er nichts, versichert er. Schließlich habe er in der moldauischen Hauptstadt Ingenieurswissenschaften studiert. Rumänisch - die Amtssprache der Moldau, zu der Transnistrien völkerrechtlich auch weiterhin gehört - möchte er im Interview mit der DW trotzdem auf keinen Fall sprechen. Doch an allen politischen Problemen sei seiner Ansicht nach nicht die Regierung der Moldau, sondern eine große Verschwörung der USA schuld: "Jugoslawien war früher ein Paradies, doch die Amerikaner haben es in eine Hölle verwandelt. Das haben sie jetzt mit der Ukraine gemacht - und das wird in der Moldau passieren."

Hauptsache, "kein Chaos wie in der Ukraine", meint auch eine Mathematiklehrerin mittleren Alters - dafür würden die russischen Soldaten in Transnistrien schon sorgen. Eine Vereinigung mit Russland befürworte sie bedenkenlos. Vor der Krise in der Region habe sie keine Angst: "Denn die Truppen aus Russland schützen unsere Grenzen gut." Dass russische Soldaten Militärübungen in Transnistrien durchgeführt haben, scheint sie überhaupt nicht zu stören - sondern eher zu beruhigen.

Die Republik Moldau (Moldova) und die Region Transnistrien (Foto: DW)
Die Republik Moldau (Moldova) und die Region TransnistrienBild: DW

Ein Freilichtmuseum der Sowjetunion?

Doch nicht alle sehen in Moskau einen Freund und Helfer. Eine ältere Frau, die in der Sonne ein Buch liest, schaut sich zuerst vorsichtig um, bevor sie spricht. "Ich bin Ukrainerin", sagt sie leise. "Wie könnte ich also eine Angliederung Transnistriens an die Russische Föderation befürworten?" Wie auch die anderen Gesprächspartner möchte sie ihren Namen lieber nicht nennen und auch nicht fotografiert werden.

In westlichen Reiseführen wird Transnistrien häufig als "Freilichtmuseum der Sowjetunion" bezeichnet. Doch die Zeit steht auch hier nicht still. Vielmehr scheinen auf den ersten Blick mehrere Epochen nebeneinander zu existieren. Der Geheimdienst des autoritär regierten Staates, der eigentlich kein richtiger Staat ist, heißt KGB, genau wie in der Sowjetunion. Die kommunistische Hammer-und-Sichel-Symbolik und die Statuen sowjetischer Helden würden das Herz eines jeden Sowjet-Nostalgikers höher schlagen lassen. Doch auch bunte Plakate mit neuen Smartphones oder einem strahlenden Baby - als Werbung für eine moderne Klinik, in der künstliche Befruchtungen vorgenommen werden - sind an der Straße zwischen Tiraspol und dem Grenzort Bender zu sehen.

Der "Oberste Sowjet", das Parlament Transnistriens, vor dem eine Lenin-Statue steht (Foto: DW/Alexandra Scherle)
Der "Oberste Sowjet", das Parlament Transnistriens, vor dem eine Lenin-Statue stehtBild: DW/A. Scherle

Hoffen auf Studienplatz in der Moldau

In der Hauptstadt sprechen modern gekleidete Jugendliche über ihre Zukunft - die sie nicht immer in Transnistrien sehen. Nach dem Abitur wird sie wahrscheinlich in der Moldau studieren, sagt eine junge Frau mit blonden Locken zuversichtlich: "Denn dort gibt es ein Bildungswesen auf europäischem Niveau."

Auch ein durchtrainierter junger Mann im Jogginganzug erklärt in rumänischer Sprache, dass er eine positive Haltung zur Republik Moldau habe. Doch alles sei eine Frage des Lebensstandards. "Wenn dieser in der Moldau so hoch wäre wie in Russland, würden sogar die Leute aus Russland dorthin ziehen wollen", glaubt er. In Russland habe er schon auf dem Bau gearbeitet, "für einen guten Lohn". Ein anderer Grund für seine Sympathie für Russland: Er weiß, dass Moskau die abtrünnige Region Transnistrien wirtschaftlich unterstützt - zum Beispiel werden die Renten vom russischen Staat subventioniert. Außerdem seien Benzin und Gas billiger als in der Moldau. Seine Ehefrau, die er auch während des Gesprächs liebevoll im Arm hält, fügt hinzu, dass die Menschen auf der Krim sicherlich von der Angliederung an Russland profitieren: "Sie werden jetzt bessere Renten bekommen als vorher."

ein blinder Straßenmusikant am Flomarkt (Foto: DW/Alexandra Scherle)
Alltag in Tiraspol - ein blinder Straßenmusikant auf dem FlohmarktBild: DW/A. Scherle

Und wieso ist ausschließlich Russland so attraktiv für junge Menschen, die sich eher als Pragmatiker sehen - und nicht etwa die Europäische Union mit ihrem viel höheren Lebensstandard? Der Mann im Jogginganzug zuckt die Schultern und lässt seinen Blick in die Ferne schweifen. "Weil ich noch nie in Europa war. Ich weiß eben nichts darüber."