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Griechenland-Hilfe vor Gericht in Karlsruhe

5. Juli 2011

Verletzen die deutschen Finanzhilfen für hochverschuldete Euro-Staaten wie Griechenland das Grundgesetz? Darüber muss nun das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe entscheiden.

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Verschieden Euromuenzen liegen für eine Fotoillustration auf einer Fahne der Europäischen Union waehrend daneben eine griechische und eine deutschen Fahne zu sehen sind (Foto: dapd)gsgerichts. In der muendlichen Verhandlung duerfte es jedoch weniger darum gehen, ob die milliardenschweren Unterstuetzungsmassnahmen wirtschaftlich sinnvoll sind, um etwa Griechenland vor einen Staatsbankrott zu bewahren. (zu dapd-Text) Foto: Ronald Wittek/dapd
Bild: dapd

Vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat am Dienstag (05.07.2011) die mit Spannung erwartete mündliche Verhandlung über die deutsche Beteiligung am Euro-Rettungsschirm und die direkten Griechenland-Hilfen begonnen. Das deutsche Gesetz zum Euro-Rettungsschirm sieht vor, dass Deutschland mit maximal 147,6 Milliarden Euro haften könnte - und zwar mit Bürgschaften für Notkredite des Euro-Krisenfonds EFSF. Nach dem Gesetz zum ersten Hilfspaket für Griechenland vom Mai 2010 übernimmt Deutschland überdies Bürgschaften für Kredite der bundeseigenen Förderbank KfW an Griechenland in Höhe von 22,4 Milliarden Euro. Die erste Tranche für 2010 belief sich bereits auf 8,4 Milliarden Euro.

Kritik an "Haftungs- und Transfergemeinschaft"

Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts,Udo Di Fabio, Andreas Voßkuhle und Rudolf Mellinghoff, v.l. (Foto: dpa)
Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts: Udo Di Fabio, Andreas Voßkuhle und Rudolf Mellinghoff (v.l.)Bild: picture alliance/dpa

Gegen die beiden Gesetze klagen der CSU-Bundestagsabgeordnete Peter Gauweiler und eine Professorengruppe um den emeritierten Nürnberger Staatsrechtler Karl Albrecht Schachtschneider, der sich auch der ehemalige Thyssen-Chef Dieter Spethmann angeschlossen hat. Aus Sicht der Kläger entwickelt sich die europäische Währungsunion durch die Milliardenbeihilfe ohne ausreichende rechtliche Grundlage zu einer "Haftungs- und Transfergemeinschaft". Dadurch werde die Stabilität des Euro gefährdet.

Eines stellte der Präsident des Verfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, gleich zu Beginn der mündlichen Verhandlung klipp und klar fest: "Wir wollen hier keine ökonomische Debatte. Es geht hier um reine Rechtsfragen." Über die Zukunft Europas und die richtige ökonomische Strategie zur Bewältigung der Staatsschuldenkrise innerhalb der Europäischen Währungsunion werde in Karlsruhe "nicht verhandelt". Dies sei Aufgabe der Politik und nicht der Rechtsprechung. "Das Bundesverfassungsgericht hat aber die Grenzen auszuloten, die das Grundgesetz der Politik setzt", so Voßkuhle weiter. Der Gedanke der Selbstbindung der Regierung und des Parlaments durch Verfassungsrecht sei das Fundament des demokratischen Verfassungsstaates und müsse sich gerade in der Krise bewähren.

Verletzung der europäischen Währungsverfassung

Die Beschwerdeführer: ilhelm Hankel, Karl Albrecht Schachtschneider, Wilhelm Nölling und Joachim Starbatty, v. l. (Foto: dpa)
Die Beschwerdeführer: Wilhelm Hankel, Karl Albrecht Schachtschneider, Wilhelm Nölling, Joachim Starbatty (v.l.)Bild: picture alliance/dpa

Dann kam es zum ersten Schlagabtausch zwischen Kritikern und Verteidigern von Rettungsschirm und Griechenland-Hilfen. Die Kläger warfen der Bundesregierung schwere Rechtsbrüche vor. Mit dem Rettungspaket für Griechenland und dem Euro-Rettungsschirm seien Fundamentalnormen der europäischen Währungsverfassung verletzt worden, sagte der Freiburger Verfassungsrechtler Dietrich Murswiek als Vertreter Gauweilers. Dies seien das Bail-out-Verbot, nach dem die EU-Staaten nicht wechselseitig für ihre Schulden aufkommen dürften, sowie das Verbot der Staatsfinanzierung durch die Zentralbank.

Auch das Grundgesetz sei verletzt worden, kritisierte Murswiek. So habe das deutsche Gesetz zum Euro-Rettungsschirm gar keine demokratische Legitimation. Denn der Bundestag habe es in einer Zwangssituation beschlossen, in der er zu einer freien Entscheidung nicht mehr in der Lage gewesen sei. Zudem verstoße das Gesetz gegen das Haushaltsrecht des Parlaments. Die Frage sei, ob man deutsches Verfassungsrecht brechen dürfe, um einen "übereuropavertraglichen Notstand" zu beheben. In Wirklichkeit hätten mit dem Rettungsschirm doch nur die Risiken einiger Großbanken aufgefangen werden sollen. Nach Aussage der Politiker sei es um die Rettung des Euro gegangen. Murswiek sagte: "Den Euro zu retten, indem man die Fundamentalnormen der Währungsverfassung zerstört - das ist so, als wolle man einen Wasserschaden beheben, indem man das Haus in die Luft sprengt."

"Die Regierung machte Druck"

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe (Foto: dpa)
Der Verteidiger von Schirm und Hilfen: Bundesfinanzminister Wolfgang SchäubleBild: picture alliance/dpa

Das wollte die schwarz-gelbe Koalition nicht auf sich sitzen lassen. Für sie ergriff vor den Karlsruher Richtern unter anderem Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble das Wort. Er verteidigte Rettungsschirm und Griechenland-Hilfen vor allem damit, dass ein stabiler Euro gerade für Deutschland von tragender Bedeutung sei. Zwei Drittel des deutschen Exports gingen in europäische Länder. Die Zahlungsunfähigkeit eines Landes bringe aber "die Gefahr der Ansteckung anderer Euro-Länder". Die Bundesregierung arbeite deshalb daran, diese Ansteckungsgefahr zu verringern, betonte der CDU-Politiker. Und deshalb seien auch die Finanzhilfen erforderlich gewesen.

Schäuble verwahrte sich zudem gegen den Vorwurf der Kläger, dass das Demokratieprinzip verletzt worden sei: "Keine Maßnahme erfolgt ohne Zustimmung des Parlaments." Auch der Vorsitzende des Rechtsausschusses des Bundestags, Siegfried Kauder (CDU), wies den Vorwurf zurück, das Parlament habe die Griechenland-Hilfen im Frühjahr 2010 ohne ausreichende Diskussion verabschiedet. "Ich räume ein, die Regierung machte Druck", sagte Kauder in Karlsruhe. Aber das Parlament habe seine parlamentarischen Rechte sehr selbstbewusst wahrgenommen und sich die Arbeit nicht leicht gemacht. Jeder habe seine freie Entscheidung treffen können. "Erpressung hat es nicht gegeben", bekräftigte Kauder. Die Ausführungen Gauweilers, der in Karlsruhe wegen Verletzung der demokratischen Rechte klagt, schmerzten ihn deshalb.

Nach Einschätzung von Experten dürfte sich die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bis zum Herbst hinziehen.

Autor: Stephan Stickelmann (afp, dapd, dpa, afp)
Redaktion: Ursula Kissel