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Politik

Griechenland: Die Polizei mag keine Blumen

8. Dezember 2020

Die rechtskonservative griechische Regierung ist beim Kampf gegen die Corona-Pandemie nicht sehr erfolgreich - und betreibt deshalb eine "Law-and-Order"-Politik.

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Polizeieinsatz gegen Demonstranten in Athen
Polizeieinsatz gegen Demonstranten in Athen (6.12.2018)Bild: picture-alliance/dpa/P. Giannakouris

Manchmal reicht ein Bild, eine Momentaufnahme, um den letzten Rest von Vertrauen in die Polizei zu verspielen. Ein Polizist hält einen Blumenstrauß in der Hand, den eine Frau an einer Gedenkstätte niederlegen wollte. Er scheint zu überlegen, was er mit ihnen machen soll. Dann schlägt er die Blumen kaputt und wirft sie voller Verachtung auf die Straße. Zu sehen ist die wenige Sekunden lange Szene in einem Telefonvideo.

Athen am 6. Dezember. Es geht nicht um irgendeine Gedenkstätte und einen beliebigen Tag. Es geht um die Gedenkstätte für den 15-jährigen Alexis Grigoropoulos in der Athener Innenstadt und um den 6. Dezember. An diesem Tag im Jahre 2008 kommt der Jugendliche von einer Feier und gerät mit zwei Polizisten in einen verbalen Streit. Einer der Polizisten erschießt den unschuldigen Grigoropoulos. Einfach so.

Der Mord führte damals nicht nur zu einer großen Jugendrevolte - der 6. Dezember ist bis heute auch ein Gedenktag gegen Polizeiwillkür. Ein Tag, an dem viele Griechen am Ort des Verbrechens Blumen niederlegen.

Alexandros Grigoropoulos
Der 15jährige Alexis Grigoropoulos wurde am 6. Dezember 2008 von einem griechischen Polizisten erschossen.Bild: picture-alliance/dpa/Handout Family

Und nun am Jahrestag diese Geste eines Polizisten, jener Frau einen Blumenstrauß zu entreißen und ihn zu zerstören. Diese Geste ist nicht einfach respektlos. Man kann sie nur als Entweihung der Erinnerung an einen Verstorbenen betrachten. Etwas Unverzeihliches im Land von Sophokles, in dem Land, in dem jede Schülerin und jeder Schüler dessen Tragödie "Antigone" lesen und schätzen lernt. Jene Antigone, die bereit ist zu sterben, um Respekt, Ehrfurcht und Würde gegenüber den Toten zu verteidigen.

Verbotener Gedenktag

Das Video des Polizisten, der seine Wut an einem Blumenstrauß auslässt, wurde am Sonntag in Griechenland hunderttausendfach angeklickt und zwang den Minister für Bürgerschutz, Michalis Chrysochoidis, binnen weniger Stunden einen Untersuchungsausschuss einzuberufen. Ansonsten allerdings fand der Minister alles richtig, was die Polizei an diesem - wegen der Corona-Beschränkungen - "verbotenen" Gedenktag tat: "Von den 5000 Beamten haben 4999 ihren Job gut gemacht", sagte er und ignorierte alle Vorwürfe wegen Polizeiwillkür.

Seit dem zweiten Lockdown sind in Griechenland Demonstrationen verboten - aus Gesundheitsgründen, wie es heißt. Für den Gedenktag an Alexis Grigoropoulos gab es weitere Einschränkungen: Der griechische Polizeichef Michail Karamalakis entschied, Zusammentreffen von mehr als drei Menschen generell zu verbieten. Im Parlament wurde darüber nicht diskutiert, denn die Regierung arbeitet wegen der Pandemie im Modus des Ausnahmezustands. Und das tut sie gern.

Polizeiwillkür gegen Migranten, Schwule, Linke

Mit Volksgesundheit hatte die Machtdemonstration der Polizei am Sonntag wenig zu tun. Es sah vielmehr so aus, als ob das Ziel war, jeden festzunehmen, der des ermordeten Alexis Grigoropoulos gedenken und eine Blume niederlegen wollte. Selbst diejenigen, die allein, zu zweit oder zu dritt kamen - was erlaubt gewesen wäre.

So passierte es auch Maria Oshana, der Geschäftsführerin der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Athen, die zusammen mit einem Freund eine Blume am Gedenkort niederlegen wollte. Sie wurde daran gehindert und mit einem Streifenwagen zur Polizeiwache eskortiert. Zwar fragte sie gleich mehrfach nach, ob sie etwas Illegales getan hätte, erhielt aber keine Begründung. Da sie nichts Illegales getan hatte, wurde sie schnell wieder freigelassen. Zwischenzeitlich verdorrten ihre Blumen im Streifenwagen.

Viele werfen der Polizei - oder genauer gesagt: einem Teil der Polizei - vor, dass sie es regelrecht genieße, Gewalt anzuwenden. Dass sie gern und meistens ungestraft Jugendliche, Migranten, Schwule oder Linke verprügele. Dass sie aber Rechtsradikale und Neonazis mit Samthandschuhen anfasse.

Verhaftete Rechtsanwälte

Das ist nicht aus der Luft gegriffen. Aktuelles Beispiel: Während nach der Nummer Zwei der verbotenen rechtsextremen Partei "Goldene Morgenröte" bisher immer noch erfolglos gefahndet wird, nahm die Polizei am Gedenktag zwei Rechtsanwälte von Opfern dieser Partei fest, die inzwischen nicht nur verboten, sondern auch als kriminelle Organisation eingestuft ist. Die Festnahme der Rechtsanwälte erfolgte, als sie anderen Verhafteten rechtlichen Beistand leisten wollten.

Kyriakos Mitsotakis
Der griechische Premierminister Kyriakos Mitsotakis setzt auf eine "Law an Order"-PolitikBild: REUTERS

Sämtliche Verhaftungen begründete die Polizei damit, dass sich die Betreffenden nicht an die Schutzmaßnahmen gegen die weitere Ausbreitung des Coronavirus gehalten hätten. Doch Bilder von Fotoreportern erzählen eine andere Geschichte: Die Festgenommenen trugen ausnahmslos Masken und kamen einander erst zu nahe, als Polizisten sie dazu zwangen. Am Ende des Tages lautete die Bilanz: 374 Personen waren festgenommen worden, 135 kamen in Untersuchungshaft.

Law and Order

Am Sonntag verpulverte der griechische Staat eine Menge Geld - für Überstunden von Polizei-Hundertschaften und für Helikopter, die den ganzen Tag lang am Himmel über Athen kreisten und Lärm verbreiteten. Unterdessen bleiben die Überstunden des medizinischen Personals in überlasteten Krankenhäusern unbezahlt.

Für die konservative Regierung des Premiers Kyriakos Mitsotakis scheinen sich diese Ausgaben zu lohnen, zumindest vorläufig. Sie ist derzeit nicht besonders erfolgreich im Corona-Management, daher versucht sie auf dem Feld der inneren Sicherheit als radikal entschlossen aufzutreten. Einem großen Teil ihrer Wähler gefällt die "Law-and-Order"-Politik. Hinzu kommt, dass zwölf Jahre nach der Jugendrevolte und zehn Jahre nach dem Beginn der Schuldenkrise die meisten Bürger demonstrationsmüde sind. Augenblicklich stört sie die Polizeiwillkür gegen Menschen, die Blumen niederlegen wollen, nicht besonders. Viele haben andere Sorgen. Sie haben Angst um ihre Gesundheit und um ihr finanzielles Überleben nach dem Lockdown.

Das Dumme dabei ist, dass bei Einsätzen wie am Sonntag selbst viele Polizisten mit dem Coronavirus infiziert werden. Und zwar meistens, weil sie die Schutzmaßnahmen, die sie eigentlich durchsetzen müssen, selbst nicht einhalten.

Foto-Porträt einer Frau mit braunen Haaren, blauen Blazer und grauem T-Shirt
Kaki Bali DW-Korrespondentin in Griechenland