Lockdown bedroht Weihnachtsgeschäft
27. November 2020Das Hemingway in Thessaloniki ist ein gemütliches Café-Bistro nur einen Steinwurf entfernt von der berühmten Agia-Sofia-Kirche. Im Sommer sitzen die Menschen an den Tischen im Schatten der großen Bäume. Jetzt, im Winter, würden sich eigentlich Gäste im gemütlichen Souterrain mit Kaffee und Tee aufwärmen. Die Straßen wären voll mit Menschen, die sich in den Geschäften der Stadt auf Weihnachten vorbereiten. Für Besitzer Nikos Koasidis war bereits der erste Lockdown im Frühjahr eine wirtschaftliche Katastrophe. Seit dem 30. Oktober sind die Türen des Hemingways und der meisten Läden, Restaurants und Bars wieder geschlossen. "Uns plagt vor allem die Ungewissheit. Wir wissen nicht, wann oder unter welchen Auflagen wir wieder öffnen dürfen. Aber mit der derzeitigen Ansteckungsrate und den Todesfällen sehe ich kein Licht am Ende des Tunnels", erklärt Koasidis.
Selbst wenn er, so wie es gerade von der Regierung versprochen wird, im Dezember für zehn Tage öffnen kann, müsste er danach wohl wieder schließen. Dafür würde es sich kaum lohnen, Essen und Getränke zu bestellen. Vielleicht könne man an diesen Tagen die laufenden Kosten decken. An Gewinn aber sei nicht zu denken. Dabei ist gerade der Dezember ein wichtiger Monat für den Einzelhandel und die Gastronomiebranche. Die Stadt bekommt Besuch der vielen Griechen, die im Ausland leben und die Feiertage in der Heimat verbringen. In West-Europa verdienen sie gutes Geld, das sie im Dezember gerne in Griechenland ausgeben. Im Normalfall nimmt Koasidis dann mit seinem Café-Bistro den Gewinn von zwei Monaten ein. In diesem Jahr wird sein Laden leer bleiben. Nur vereinzelt sieht man Menschen auf der Straße, und auch viele der Auslandsgriechen werden Weihnachten wohl nicht kommen können. Einige Flüge für Dezember sind bereits storniert worden. Jetzt ist Koasidis auf die Unterstützung von Freunden und der Familie angewiesen. Große Unternehmen, wie kürzlich die Fluggesellschaft AEGEAN, erhalten Millionenhilfen. Die Zukunft kleiner Betriebe aber ist ungewiss.
Liquidität garantieren
Nur auf eines ist Verlass: Trotz des Totalausfalls schicken Strom,- Wasser,- und Gasversorger weiter ihre Rechnungen. Ungläubig sitzt auch Nikos Koasidis vor einem Stapel Briefe. Es gab ein paar Hilfskredite von der Regierung. Wie er die zurückzahlen soll, weiß er nicht. Für den ersten Lockdown vom 16. März bis zum 4. Mai 2020 erhielt er eine staatliche Hilfe von 1344 Euro. Für den zweiten Lockdown hat er lange auf Gelder warten müssen. Jetzt hat er 4000 Euro Zuschuss erhalten, mit denen er Miete, laufende Kosten für zwei Monate sowie das Weihnachtsgeld seiner Mitarbeiter decken kann.
Für Geschäfte mit hohen Mieten reichten staatliche Hilfsgelder oder Kredite oft nicht, berichtet Koasidis mit Blick auf ihm bekannte Ladenbesitzer, die der Lockdown noch härter getroffen hat. Das weiß auch Christos Nikolaidis, Pressesprecher der Berufskammer für Einzelhändler. Gerade für kleine Unternehmen sei das Überleben vor allem eine Frage der Zeit. Griechenland habe sich in den letzten Jahren nur langsam von der Staatsschuldenkrise erholen können. Rekordzahlen im Tourismus und steigende Besucherzahlen auch in Thessaloniki sorgten für volle Kassen, doch für Rücklagen habe es kaum gereicht.
Die Corona-Pandemie scheint das Land erneut in die Krise zu führen: "Was uns Sorgen bereitet, sind die Schulden, die sich während des Lockdowns ansammeln. Die sind wie ein schwarzes Loch, das die Unternehmen aufsaugt. Außerdem ist die Frage, wie viel Geld in den Markt fließen wird, wenn die Geschäfte wieder öffnen." Es würde sich erst dann zeigen, ob die Kaufkraft der Griechen ausreiche, um auch die Solvenz der Unternehmen wieder herzustellen. Wenn diese Periode der Ungewissheit lange andauern würde, dann würden das viele kleine Unternehmen wohl nicht überleben. "Unserer Meinung nach ist es wichtig, dass die Regierungen überall in Europa Liquidität garantieren. Die Griechen brauchen Kaufkraft und die Unternehmen müssen zahlungsfähig bleiben." Schulden, die durch Steuern, Versicherung und laufende Kosten entstehen, müssten eingefroren werden, so Nikolaidis.
Keine bürokratischen Hürden
Der Einzelhandel hat für den griechischen Markt einen hohen Stellenwert, erklärt Wirtschaftswissenschaftler Nikos Varaskelis von der Universität Thessaloniki. "Schon seit vielen Jahrzehnten spielen kleine Betriebe eine große Rolle. Das ist in gewisser Weise auch kulturell verankert. Gleichzeitig sind sie in Situationen wie der jetzigen besonders anfällig." Gerade in Griechenlands zweitgrößter Stadt hatten ausbleibende Besucher während des Sommers, die geschlossenen Grenzen zu den Nachbarländern, aus denen viele Menschen zum Einkaufen nach Thessaloniki kommen, sowie das Ausbleiben der Studenten, die normalerweise die Straßen bevölkern, Löcher hinterlassen. "Konservative Unternehmen, die Geld zurückgelegt haben, werden besser durch die Krise kommen", erklärt Varaskelis,
Dem kann Koasidis nur zustimmen. Er hatte sich Geld zurückgelegt, dieses aber sei im Coronajahr den laufenden Kosten zum Opfer gefallen. "Wer hat nach 10 Jahren Wirtschaftskrise schon Geld auf der hohen Kante?", fragt er ungläubig. Nur mit einem zweiten Job hätte er etwas sparen können: "Ich habe nur gearbeitet, gegessen und geschlafen", berichtet er. Außerdem seien mit der wieder steigenden Arbeitslosigkeit die Aussichten auf bezahlte Jobs derzeit sehr gering.
Alle hoffen nun darauf, dass Polen und Ungarn ihr Veto für den EU-Haushalt aufgeben, damit Hilfsgelder aus Brüssel fließen. Auch Athen ist dringend auf finanzielle Unterstützung angewiesen, um die ausbleibenden Steuereinnahmen und die zusätzlichen Kosten in der Pandemie abzufedern. Nikos Varaskelis hofft dann, dass diese Gelder auch bei denen ankommen, die sie benötigen - und zwar rechtzeitig. Die Mühlen der griechischen Bürokratie mahlen langsam, das weiß der Wirtschaftswissenschaftler aus eigener Erfahrung. Um die Wirtschaft nach der Corona-Pandemie wieder in Fahrt zu bringen, könnten bürokratiebedingte Verzögerungen schwerwiegende Folgen haben.