Gib mir Fünf! gegen Langeweile
24. Dezember 2015Deutsche Welle: Sie haben eine Spielebox mit dem Namen "Five"! für Flüchtlinge entwickelt. Wo ist der Unterschied zwischen bekannten Spielen und denen, die Sie erfunden haben?
Steffen Mühlhäuser: In den Flüchtlingsunterkünften sind in der Regel gar keine Spiele vorhanden. Es gibt manchmal Spielespenden. Wir waren in einem Camp am Flughafen Hahn und haben gesehen, das dort höchstens ein zerfleddertes "Mensch ärgere dich nicht" existiert. Wir haben Spiele aus unserem Verlag zur Verfügung gestellt, aber dann war schnell klar: Es gibt eine Sprachbarriere. Sie können die Spielregeln meistens gar nicht lesen und es gibt auch kaum Leute, die dort wären, um ihnen die Spielregeln zu erklären. Meistens sind die Helfer oder die Flüchtlinge selber mit der Grundversorgung beschäftigt. Daher besteht für mich in erster Linie der Unterschied darin, dass die Regeln für die Flüchtlinge lesbar sind und dass die Spielesammlung handlich ist. Sie können damit auf dem begrenztem Raum, den sie zur Verfügung haben, überall spielen - auf einer Decke, auf ihrem Bett, auf dem Boden. Es ist kein Brett dafür notwendig.
Viele Flüchtlinge haben lange Wege hinter sich, sind erschöpft und leben, zumindest zu Beginn, auf beengtem Raum, wie Sie ja auch sagen. Wie können Spiele in so einer Situation helfen?
Die meiste Zeit des Tages verbringen die Menschen mit dem Warten. Manche von ihnen sind auch traumatisiert. Alles, was da für Ablenkung sorgt, hilft dabei, ein bisschen Abwechslung in den Alltag zu bringen. Wir haben es selber erlebt, wie gut sie angenommen wurden. Man denkt zuerst, das sei nicht möglich, aber sie haben total Spaß, sie lachen, sie freuen sich und sind dankbar für etwas, das einfach nicht zu ihrem alltäglichen Programm gehört wie Essen besorgen, auf Nachrichten warten oder auf das Handy starren.
Das heißt, Sie haben auch Feedback von den Flüchtlingen zu "Five!" bekommen?
Wir haben zum einen Aktionen veranstaltet mit den Spielen, die wir im Verlag haben. Wir waren aber auch schon mit dem Prototypen von "Five!" vor Ort in Hahn. Wir entwickeln schon seit langer Zeit Spiele selber und haben Erfahrungen sammeln können, wie ein schneller Einstieg in ein Spielekonzept möglich ist. Ob ein Spiel bei deutschen Kindern oder bei syrischen Kindern funktioniert, da mache ich bei der Konzeption keinen Unterschied. Spielen ist so universell, diese Sprache wird eigentlich auf der ganzen Welt verstanden.
Dann verstehen Sie die Spiele auch als kulturelle Brückenbauer?
Ja, ganz klar. Menschen, die jetzt aus anderen Ländern nach Deutschland gekommen sind und sich mit einer komplett fremden Kultur konfrontiert sehen, entdecken, dass es hier auch Aspekte gibt, die ihnen bekannt und vertraut sind - in Form von solchen Spielen. Die Grundziele vom abstrakten Spiel sind oft dieselben: Man will als erster irgendwohin kommen, es ist entweder ein Wettlauf, man möchte möglichst viel sammeln oder man möchte als erster ein bestimmtes Muster haben. Dieser Wettkampf in kleinster Form auf so einem begrenzten Raum ist etwas, das seit Tausenden von Jahren auf der ganzen Welt gleich ist, so dass deshalb auch ein Wiedererkennungseffekt eintritt, den ich sehr schätze.
Welche Art von Spielen befinden sich denn in der Box?
Es gibt ein einfaches Legespiel für Kinder, ein komplexes Strategiespiel für Erwachsene, dann gibt es ein Bluffspiel, bei dem man verdeckt Steine bietet und versucht, als erster seine Steine zu behalten. Es gibt ein kleines Memory-ähnliches Spiel, also ein Merkspiel, und es gibt ein Solitärspiel, wo jemand mit sich alleine spielen kann.
Viele Flüchtlinge kommen aus muslimischen Ländern und streng genommen sind im Islam Spiele verboten. Haben Sie sich darüber Gedanken gemacht?
Natürlich. Das war eine der ersten Fragen, die ich mir gestellt habe. Es gab einen Moment des Zögerns, aber man weiß ja auch, dass gerade Spiele wie Backgammon oder Schach aus der arabischen Welt kommen und dementsprechend auch dort verbreitet sind. Sie sind vielleicht auf dem Papier formell "haram", ein Tabu, aber sie gehören in der Öffentlichkeit eigentlich zum täglichen Leben dazu und werden geduldet. Die Menschen, die unsere Spiele gespielt haben, hatten überhaupt kein Problem in dieser Richtung.
Steffen Mühlhäuser entwickelt Spiele und leitet seit 2003 die Firma Steffen-Spiele. Sollte die Crowdfunding-Kampagne erfolgreich sein, wird der Verlag 5000 Exemplare in Flüchtlingsunterkünften verteilen.
Das Gespräch führte Diana Hodali.