Gedenken an Mandela in Südarfrikas in Wohnzimmern
15. Dezember 2013Seit sechs Uhr morgens schon läuft der Fernseher bei Sam Hlatshwayo und seiner Frau Rhoda in Soweto, dem berühmten Vorort von Johannesburg. "Seit Nelson Mandela gestorben ist, schalten wir den Fernseher nur noch aus, wenn wir schlafen gehen", sagt der 63-jährige Hausherr. "Wir wollen nichts verpassen." Auf dem Bildschirm ist gerade zu sehen, wie der Sarg Mandelas auf einer Lafette hinter einem Lastwagen in Richtung Qunu gefahren wird. In seinem Heimatdorf wird die Beerdigung stattfinden.
Das Staatsbegräbnis an diesem Sonntag (15.12.2013) ist der Abschluss einer beispiellosen Folge von Trauerfeiern- und -Ritualen, seit der erste schwarze Präsident Südafrikas am 05.12.2013 im Alter von 95 Jahren gestorben ist. Zum offiziellen Festakt in Johannesburg waren bereits fast 100 Staats- und Regierungschefs aus aller Welt angereist. Zehntausende Südafrikaner nahmen in den vergangenen Tagen in Pretoria von Mandela Abschied, wo sein Leichnahm im Regierungssitz aufgebahrt war.
Sam Hlatshwayo will auch bei der abschließenden Etappe von Mandelas letzter Reise immer dabei sein. Seine Frau Rhoda und er leben seit fast 30 Jahren in dem kleinen weißen Haus, dass die Apartheidregierung ihnen zuwies. "Es war ein Geschenk an uns ,die Teufel‘", sagt der große Mann in der weißen Leinenhose und grinst. Hier haben sie die Diktatur und die Unterdrückung erlebt, gegen die Nelson Mandela sein Leben lang kämpfte.
"Wegen Mandela geht es uns gut"
"Heute geht es uns gut, wegen Nelson Mandela", sagt Sam. Als schwarzer Taxifahrer durfte er bis zum Ende der Apartheid keine weißen Passagiere fahren und keine weißen Wohngebiete betreten. Für den Besuch bei seinen Verwandten am anderen Ende der Stadt brauchte er eine schriftliche Genehmigung.
Das Fernsehen zeigt inzwischen, wie der Sarg Nelson Mandelas im eigens errichteten Festzelt in Qunu ankommt. Ein Chor singt. Die Kamera schwenkt auf die Familie. Mandelas Witwe, Graca Machel, kämpft mit den Tränen. Enkel Mandla hält den Kopf gesenkt. Mandelas Ex-Frau Winnie hat die Augen hinter einer großen Sonnenbrille verborgen.
"Mir tut vor allem Mandelas Familie leid. Darauf, dass Nelson Mandela eines Tages sterben würde, hatte ich mich schon eingestellt", sagt Sams Frau Rhoda. Sie unterbricht die Arbeit in der Küche und setzt sich auf das kleine Sofa vor dem Fernseher, den Rücken gerade, die Hände im Schoß gefaltet. Ihr Vater war Mitglied von Mandelas Befreiungsbewegung Afrikanischer Nationalkongress (ANC) und gehörte eine Zeit lang zum Führungskreis der Partei in Johannesburg.
95 Kerzen für den Toten
Wie schon der Festakt am Dienstag (10.12.) ist auch die Beerdigung ein Stück weit Parteiveranstaltung. Die Vorsitzende der heutigen Regierungspartei ANC Baleka Mbete, begrüßt die Anwesenden. ANC-Vize Cyril Ramaphosa folgt kurz darauf. Die Führungsrolle der Partei bei der Trauer um Mandela ist nicht unumstritten: Der ANC habe Mandelas Tod "seit dem ersten Moment" für seinen Wahlkampf genutzt, wettert etwa die Wochenzeitung "Mail & Guardian". 2014 finden in Südafrika Wahlen statt. Rhodas Sohn Siyabonga auf dem Sofa gegenüber kann daran aber nichts Falsches finden. "Nelson Mandela hat doch selbst gesagt, dass er im Himmel als erstes nach einer ANC-Ortsgruppe suchen werde. Sie sind die Regierungspartei, natürlich sollen sie bei der Trauerfeier eine wichtige Rolle spielen."
Im Fernsehen ist jetzt Ahmed Kathrada zu sehen, Freund und Kampfgefährte Mandelas. Mehrmals bricht bei seiner bewegenden Rede seine Stimme. "In unsere Trauer mischt sich der Stolz, dass einer von uns zu seinen Lebzeiten und in seinem Tod die Menschen Südafrikas und der ganzen Welt in einer Art und Weise vereint hat, wie noch nie zu vor", sagt er. Auch für Sam ist die feierliche Beerdigung eine Art späte Erkenntnis, dass die Apartheidzeit wirklich zu Ende ist. "Ich hätte nie gedacht, dass es in Südafrika jemals eine so große Beerdigung geben würde - und schon gar nicht für einen Schwarzen".
Public Viewing auf historischem Boden
Einen Steinwurf von seinem Haus entfernt liegt die Kirche Regina Mundi. Historischer Boden: 1976 fand hier der berühmte Soweto-Aufstand statt. Schwarze Schüler demonstrierten dagegen, dass in den Schulen die verhasste Weißen-Sprache Afrikaans als Unterrichtssprache eingeführt werden sollte. Am 19.06.1976 eröffnete die Polizei das Feuer auf die demonstrierenden Schüler. Von 1995 bis 1998 tagte hier die Wahrheits- und Versöhnungskommission, die die Verbrechen der Apartheidzeit aufklären sollte.
Im Park vor der Kirche hat die Stadtverwaltung eine Leinwand aufgebaut. Die Beerdigung wird live übertragen. Nebenan auf dem Spielplatz lachen Kinder und klettern die bunten Spielgeräte hoch. Ein Mann grillt Würstchen. Lizza Smakhzubele ist mit ihrer Freundin Lerato gekommen, um die Beerdigung zu schauen. Sie sitzen auf grünen Klappstühlen und tragen weiße T-Shirts mit dem Gesicht des lächelnden Mandelas.
Die jungen Frauen sind gekommen, weil sie heute "Teil der Menge" sein möchten, statt allein fern zu sehen. Lieber hätten sie allerdings - wie viele andere Menschen hier auch - selbst an der Beerdigung teilgenommen, sagt Lizza. "Wir Südafrikaner sind von der Beerdigung abgetrennt." Sie hätte sich gewünscht, dass die Beerdigung im Stadion in Johannesburg stattgefunden hätte, damit mehr Südafrikaner persönlich Abschied von Mandela hätten nehmen können. "Wenigstens haben wir ja die Public-Viewing-Plätze", wirft ihre Freundin Lerato ein.
Noch nicht das Land aus Mandelas Träumen
Seit drei Stunden läuft nun die Beerdigung - angesetzt waren ursprünglich nur zweieinhalb. In Qunu tritt jetzt Staatspräsident Jacob Zuma ans Rednerpult. Der Präsident spielt wieder seine Lieblingsrolle - die des politischen Erben Mandelas. Mandela sei "ein Pfeiler der Weisheit, ein Pfeiler der Stärke und ein Leuchtfeuer der Hoffnung für alle gewesen, die für eine gerechtere und gleiche Welt kämpfen", sagt Zuma in getragenem Tonfall.
Sam Hlatshwayo hört die Worte des Präsidenten in seinem Wohnzimmer. Er hat den Platz vor dem Fernseher noch immer nicht verlassen. Loyaler ANC-Anhänger ist er immer noch - trotz aller Skandale der derzeitigen Parteiführung, trotz des umstrittenen Mediengesetzes, das die Regierung jüngst durchs Parlament boxte, und trotz des Verdachts, Zuma habe sein Privathaus mit Steuergeldern ausgebaut.
Am Ende läuft die Beerdigung schon mehr als vier Stunden, bis das Staatsfernsehen seine Übertragung einstellt. Die eigentliche Beisetzung findet nun als private Zeremonie statt, ohne die Öffentlichkeit. Es ist ein Wunsch der Mandela-Familie.
Nun kann auch Sam Hlatshwayo seinen Fernseh-Platz verlassen. Vor dem Haus zündet er sich eine Zigarette an. "Südafrika ist sicherlich noch nicht das Land, das sich Mandela gewünscht haben", sagt er zum Abschied. "Es gibt immer noch zu viele Menschen, die in Hütten leben müssen".