Garissa: Ein Jahr nach dem Horror
1. April 2016Es ist ein merkwürdiges Gefühl, über den Campus der Universität Garissa zu gehen. 148 Menschen wurden hier bei einem Angriff der islamistischen Miliz Al-Shabaab am 2. April 2015 getötet. Im Visier der Terroristen: das Studentenwohnheim Mount Elgon. Heute ist es verlassen, eine gespenstische Stille liegt auf den Fluren. Man sieht Einschusslöcher in Fenstern und Türen.
Vorbei am Innenhof, wo nach der Attacke mehr als 80 leblose Körper auf dem Boden lagen, die Treppen hinauf, ist ein Zimmer mit zugenagelter Tür. Durch das Fenster kann man Blutflecken in der Form eines menschlichen Körpers sehen. Versuche, das Blut zu entfernen, seien bislang gescheitert, sagt eine Mitarbeiterin der Universität.
Ein neuer Anfang?
Einige Gebäude auf dem Campus wurden renoviert und frisch gestrichen. Erst diesen Januar öffnete die Universität wieder. Um das Wohnheim herum wurden Bäume gepflanzt, im Andenken an die Studenten, die hier am vor einem Jahr ihr Leben ließen. Das Mount Elgon wurde in Ewaso-Ngiro-Wohnheim umbenannt. Das soll den Studenten und Mitarbeitern helfen, die Ereignisse hinter sich zu lassen.
"Ich hatte viele Freunde, die bei der Attacke gestorben sind. Es fühlt sich so schrecklich an", sagt die 24-jährige Sofia Noor Soiyan, eine Studentin im dritten Jahr. "Wir denken jeden Tag an sie."
Den meisten Studenten fällt es bis heute schwer, mit den Nachwirkungen der Attacke umzugehen. "Ich hatte eine sehr schwere Zeit. Die meisten meiner Freunde wurden bei dem Angriff kaltblütig ermordet", erzählt Mohammed, der seinen Nachnamen nicht nennen möchte. Er selbst hatte Glück - er war krank an jenem 2. April und blieb bei seinen Eltern. "Ich hätte einer der Getöteten sein können. Alle aus dem Wohnheim sind tot", sagt er.
Studenten sind traumatisiert
Nach dem Angriff wurde die Universität Garissa geschlossen, die meisten Studenten wechselten an die Moi-Universität. Manche brachen ihr Studium ganz ab - sie seien zu traumatisiert gewesen, erklärt Universitätsrektor Ahmed Warfa. "Selbst heute sind noch einige von ihnen in Therapie. Es ist nicht einfach", sagt er. "Einige wurden depressiv, aber die meisten sind über den Berg und studieren wieder."
Warfas Haus ist nur wenige Meter vom Tor der Universität entfernt. Heute, am Schreibtisch in seinem Büro, erinnert er sich noch genau an den Moment, als der Angriff begann. "Sie kamen hier vorbei", sagt er und zeigt durch das Fenster auf den Haupteingang. "Dann gingen sie durch den Flur und hörten die Studenten von der Christlichen Union beten. Dort töteten sie die ersten zwölf Opfer."
Behörden in der Kritik
Der Rektor dachte, dass das Töten mit dem Eintreffen von Polizei und Soldaten ein Ende haben würde. Doch das war nicht der Fall. "Anstatt hineinzugehen, schossen die Soldaten aus weiter Entfernung", erzählt er. "Es wäre für drei oder vier Männer ein Leichtes gewesen, das Gebäude zu stürmen und die Studenten zu retten. Aber das taten sie nicht."
Die kenianischen Behörden wurden für ihre langsame Reaktion auf den Angriff immer wieder scharf kritisiert - auch, weil sich eine Militärbasis in unmittelbarer Nähe zur Universität befindet. Von Tor zu Tor sind es lediglich 500 Meter.
Erhöhte Sicherheit auf dem Campus
Als späte Reaktion auf die Attacke wurde eine Polizeistation auf dem Universitätsgelände eingerichtet. 25 schwer bewaffnete Polizisten haben dort nun Dienst. Sie kontrollieren jeden Besucher, der durch das Tor möchte. Zusätzlich hat die kenianische Regierung den Bau einer 2,6 Millionen Euro teuren Mauer um den gesamten Campus versprochen. Trotzdem ist die Stimmung angespannt.
"Die aufgebauschte Sicherheit hier hat die Stimmung in der ganzen Region verändert", sagt Faisal Aden, eine Student der Universität. "Auch die Anwohner merken, dass die Sicherheitsmaßnahmen erhöht wurden."
Nach dem Angriff kam es zu einem regelrechten Exodus aus Garissa. Selbst Geschäftsleute und Händler packten ihre Sachen und kehrten in ihre Heimatstädte zurück. Sie gingen aus Angst um ihre Leben - und weil ihre einzigen Kunden, die Studenten, nicht mehr da waren. Aden freut sich, dass nun auch wieder neue Studenten die Universität besuchen. Mehr als 160 sind es derzeit. "Ein Jahr nach dem Angriff können die Wunden endlich heilen - und die Universität kann wieder so werden, wie sie einmal war", hofft er.