Freiburg will kein Underdog mehr sein
9. März 2023Bescheidenheit, Kontinuität und Nachwuchsarbeit stehen beim SC Freiburg seit Jahrzehnten im Mittelpunkt. Die Strategie geht offensichtlich auf. Vereinspräsident Eberhard Fugmann sagte der DW, dass ein großer Teil des Verdienstes dem schillernden Frontmann zukommt.
"Ich kann eine gewisse Entwicklung in den letzten zehn Jahren mit Christian Streich als Cheftrainer erkennen. Auch unter ihm sind wir zweimal abgestiegen, aber wir sind immer wieder zurückgekommen. Die letzten drei Saisons immer unter den Top zehn, das zeigt mir auch, dass wir kein Underdog mehr sind."
Der Verein aus dem Südwestschwarzwald kämpft nun mit dem Konflikt zwischen seiner Kultur der Bescheidenheit und seinem großem Erfolg. Jeder im Verein besteht immer noch darauf, dass das Überleben in der Bundesliga Priorität hat. Und das obwohl es seit 2009 nur einen Abstieg gab.
"Wir sollten nie vergessen, dass wir als so genannte Underdogs angefangen haben. Als wir 1993 zum ersten Mal den Aufstieg in die Bundesliga schafften, erwartete jeder, dass es nur eine Saison dauern würde", sagte Fugmann. "Wir wären nicht der Verein, der wir sind, ohne unsere Geschichte, ohne diese Tradition, ohne diese Bescheidenheit. Aber heute gibt es eine Art romantische Vorstellung davon, ein Underdog zu sein. Wir sind nicht mehr der Underdog, nein."
Ein Gefühl der Vorsicht
Die Kontinuität im Verein wird auf dem Spielfeld von Kapitän Christian Günter verkörpert, der bereits mit 13 Jahren zur Freiburger Jugend-Akademie stieß. Im Gespräch mit der DW schlägt dieser einen mahnenden Ton an, wenn er über die Risiken des Erfolgs für die Werte des Vereins spricht.
"Teamgeist, Solidarität, sein Ego zurücklassen, all diese Dinge... Wenn wir das verlieren, verlieren wir ein Stück unserer Identität, und ich glaube, das dürfen wir niemals verlieren. Sollte das jemals passieren, sage ich, dass es besser ist, einen Schritt zurück zu machen, als das zu verlieren. Man kann wachsen, aber immer in einem vernünftigen Rahmen."
Auch Sportdirektor Klemens Hartenbach sieht in den jüngsten Ergebnissen eine gewisse Gefahr: "Ich möchte nicht derjenige sein, der auf die Bremse tritt. Aber es ist zwar eine positive Phase, aber auch eine gefährliche. Natürlich ist der Nektar an der Tabellenspitze süßer und es macht unheimlich viel Spaß, international zu spielen. Aber das darf nie zu einem Erwartungsdruck für uns werden."
Kontinuität als Schlüssel
Bislang sind die Veränderungen im Verein minimal. Hartenbach kümmert sich zusammen mit Sportdirektor Jochen Saier und Trainer Christian Streich um die Transfers, ein Trio, das der Präsident als "magisches Dreieck" bezeichnet. Tatsächlich waren Hartenbach und Streich während ihrer Spielzeit sogar Zimmergenossen.
"Dieses magische Dreieck ist ein weiteres Beispiel für die Kontinuität in unserem Verein", sagte Fugmann. "Christian Streich ist seit 25 Jahren dabei, Klemens Hartenbach und Christian Streich sind seit ebenso vielen Jahren befreundet und Jochen Saier arbeitet seit 20 Jahren für den Verein. Das ist einmalig. Und deshalb kann auch kein anderer Verein in Deutschland das Modell des SC Freiburg einfach kopieren. Denn es braucht Jahre, um dieses Niveau zu erreichen."
Streich ist derzeit der dienstälteste Trainer der Bundesliga und damit nach Diego Simeone von Atletico Madrid der zweitälteste Trainer in den fünf europäischen Topligen. Das Ethos der Kontinuität hat jedoch seine Wurzeln lange vor der aktuellen Aufstellung. Achim Stocker war ab 1972 37 Jahre lang Präsident des Vereins und Mentor von Volker Finke, der knapp 16 Jahre lang Trainer war. Beides deutsche Rekorde.
Immer noch ein Verkaufsklub
Hartenbach merkt, dass der Verein in den vergangenen Saisons anders gesehen wird, vor allem wenn es um Verhandlungen geht: "Wenn ich jetzt zum Telefon greife, egal ob es ein Kollege oder ein Agent ist, sagen sie: 'Du kannst mir nicht mehr sagen, dass ihr nur 40 Punkte bekommen und den Abstieg vermeiden wollt.'"
Doch Freiburg bleibt seiner Linie treu und gibt weiterhin einige seiner Top-Talente ab. Nico Schlotterbeck ging im Mai 2022 für rund 25 Millionen Euro nach Dortmund, Kevin Schade wird dem SC am Ende der Saison die gleiche Summe mit dem Weggang zum englischen Premier-League-Klub Brentford einbringen.
Im Oktober 2021 zog Freiburg in ein nagelneues, 34.700 Zuschauer fassendes Stadion um, was sich wohl auf die Strategie in den kommenden Spielzeiten auswirken wird. "Mit dem bisherigen Stadion hätten wir auf Dauer nicht in der ersten Liga, in der Bundesliga überleben können", gesteht Fugmann. "Dieses Stadion bietet endlich finanzielle Möglichkeiten, die wir vorher nicht hatten."
Der nächste Schritt
Nun, da sich Kontinuität und Bescheidenheit ausgezahlt haben, könnte Freiburgs nächster Schritt durch das neue Stadion und regelmäßigen europäischen Fußball finanziert werden. Doch für den Sportdirektor ist es besser, an den bisherigen Prinzipien festzuhalten.
"Wenn der Trainer alle halbe Jahre wechselt, weil ein Verein Ziele wie die Qualifikation für Europa oder die Champions League ausgibt und so der Kader gestärkt wird, dann haben es junge Leute bei bestimmten Vereinen schwer, den nächsten Schritt zu machen", so Hartenbach. "Unser Ansatz ist, dass wenn ein junger Spieler die Qualität hat, wir es uns zur Aufgabe machen, diese jungen Spieler immer nach und nach zu integrieren. Das motiviert die Spieler hier in der Akademie sehr."
Ein kleiner Verein kommt groß raus
Die Zeiten, in denen Freiburg als Außenseiter gehandelt wurde, scheinen vorbei zu sein. Ist das etwas, was man sich im Verein zurück wünscht? "Überhaupt nicht", sagte Kapitän Günter. "Ich habe hier einige Jahre erlebt, in denen man bis zum letzten Spieltag einen unglaublichen Druck hatte, Punkte zu holen, weil man sonst absteigen würde. Jetzt gibt es mehr positiven Druck. Die Fans haben sich aber überhaupt nicht verändert."
Der Klub-Präsident stimmt dem zu und betrachtet das Ablegen der Außenseiter-Etikette als eine Art Ehrenabzeichen.
"Ich denke, die Menschen, die für den Verein arbeiten, können stolz darauf sein, was im Laufe der Jahre daraus geworden ist. Es ist eine Leistung, kein Außenseiter mehr zu sein. Das ist ein Teil unserer Geschichte, der sehr wichtig ist.
Die Mitgliederzahl hat sich in den vergangenen fünf Jahren mehr als verdoppelt. Allein in den letzten sechs Monaten sind 10.000 neue Mitglieder hinzugekommen, womit sich die Gesamtzahl auf 50.000 erhöht hat. Im Moment ist Freiburg noch ein Aufsteiger mit der Mentalität eines abstiegsbedrohten Vereins. Wo steht der Sport-Club im Vergleich zur Bundesliga-Konkurrenz?
"Wir sind kein großer Verein, aber in Bezug auf die Werte, für die wir stehen, sind wir ein Riese", sagte Fugmann. "Das Ethos, für das wir stehen, unsere Werte, machen uns zu einem großen Verein. Aber in einer metaphorischen Weise, nicht in Bezug auf unsere schiere Größe".
Der Text wurde aus dem Englischen adaptiert.