Freiburgs letzte Party im Dreisamstadion
26. September 2021Als der Abpfiff ertönte, schossen Freiburgs Trainer Christian Streich die Tränen in die Augen. Die Fans sangen "Oh, wie ist das schön!" und auf der Tribüne jubelte auch die Freiburger Trainerlegende Volker Finke mit. Während sich auf dem Rasen Spieler und Trainer umarmten, schwangen die Fans auf der Tribüne ihre schwarz-roten Schals und huldigten noch einmal ihrem Stadion, in dem und mit dem sie in den vergangenen 28 Jahren so viel erlebt hatten.
Mit dem 3:0-Sieg des SC Freiburg gegen den FC Augsburg am 6. Spieltag der laufenden Saison ist das Dreisamstadion in Freiburg Bundesliga-Geschichte. Nach 394 Spielen in Deutschlands oberster Fußballliga, etlichen weiteren in 2. Liga und DFB-Pokal und sogar einigen Europapokal-Partien macht der Sportclub in seiner alten Heimstätte das Licht aus und zieht zum nächsten Heimspiel in sein neues, modernes Stadion um.
Letzter Exot unter Deutschlands Arenen
Das Dreisamstadion war so etwas wie der letzte Exot unter den deutschen Fußball-Arenen. Das Spielfeld ist fast quadratisch und in der Länge etwa 4,5 Meter zu kurz, um die offiziellen Vorgaben der UEFA zu erfüllen, weshalb internationale Spiele stets nur mit Sondergenehmigung möglich waren. Zudem weist der Rasen vom einen zum anderen Tor ein Gefälle auf. Der Höhenunterschied: etwa ein Meter. Als erste Arena der Bundesliga hatte das Dreisamstadion eine Photovoltaik-Anlage auf dem Dach, die Rasenheizung wird von Wärmekraftmaschinen betrieben - ganz gemäß der umweltbewussten Gesinnung der Freiburger Macher.
Mit dem ersten Bundesliga-Aufstieg des Sportclubs rückte das Dreisamstadion im Sommer 1993 so richtig auf die deutsche Fußball-Landkarte. Damals bekam es auch sein erstes Flutlicht - zuvor, in der zweiten Liga, war es noch ohne gegangen. Erfolgstrainer Volker Finke zog mit seiner talentierten Mannschaft ein gepflegtes Kurzpassspiel auf, das den Freiburgern bald den Spitznamen "Breisgau-Brasilianer" einbrachte. Und diese "Brasilianer", bei denen der einzige echte Südamerikaner Rodolfo Cardoso aus Argentinien war, hatten auch vor den Großen keine Scheu: Im November 1993 besiegte Finkes Team den FC Bayern zu Hause mit 3:1, dreifacher Torschütze damals Uwe Wassmer.
Die Ära der "Willis"
Wassmer, ein gelernter Maschinenschlosser, hielt den SC in den kommenden Jahren mit seinen Toren in der Bundesliga. An seiner Seite spielten mit Torhüter Jörg Schmadtke, Mittelfeldspieler Ralf, genannt "Kanzler", Kohl, dem späteren Nationalspieler Jörg Heinrich und dem "Knipser" Harry Decheiver Spieler, die auch jenseits der Freiburger Stadtgrenzen die Fans begeisterten. Nach Abstieg 1997 und direktem Wiederaufstieg begann die nächste Ära im Schwarzwald, die der "Willis". Mit Alexander Iashvili und Lewan Kobiashvili wechselten zwei Georgier nach Freiburg. Lewan Tskitishvili vervollständigte das Trio. Da passte es, dass mit dem Deutschen Tobias Willi auch ein vierter Willi im Team stand.
Die Konstante in Freiburg waren neben dem Stadion immer die Trainer. Bis 2007 Volker Finke, der nachdem die Nordseeinsel Langeoog ihn als Sponsor zur Verfügung gestellt hatte, die Spiele seiner Mannschaft aus einem Strandkorb verfolgte. Ihm folgte für vier Jahre Robin Dutt, bevor - nach kurzem Intermezzo Marcus Sorgs, im Jahr 2011 Christian Streich übernahm. Viermal ist der SC Freiburg seit 1993 abstiegen, viermal ging es fast postwendend wieder hinauf. Das ungewöhnliche Stadion mit dem sehr breiten Platz, auf dem sich die anderen Mannschaften stets ein wenig umgewöhnen mussten, galt in all den Jahren als kleiner Vorteil.
Günter: "Gebührender Abschluss"
Passend dazu sangen die Freiburger Fans nach dem letzten Spiel gegen Augsburg, angestimmt vom mit Megaphon bewaffneten Trainer Streich, der zu den Fans auf den Zaun geklettert war: "Hier im Dreisamstadion, da sind wir zu Haus'. Und wer das nicht kapiert, den schmeißen wir raus."
"Die Stimmung war immer überragend hier, im Verein mit den Fans und dem Stadion - das wird man vermissen", sagte Lucas Höler. "Es war ein gebührender Abschluss in einem denkwürdigen Stadion", meinte SC-Kapitän Christian Günter. "Wir sind sehr glücklich, dass wir uns so verabschieden konnten."
Der erste Bundesliga-Tor für Freiburg im Dreisamstadion hatte im Sommer 1993 der Albaner Altin Rraklli gegen die SG Wattenscheid 09 erzielt, das letzte schoss Vincenzo Grifo mit dem 3:0 gegen Augsburg. Es war das 999. Dass es keine 1000 wurden, passt ein wenig zur Freiburger Bescheidenheit.