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Klimawandel trifft Frauen stärker als Männer

Ajit Niranjan
4. Oktober 2022

Ob Dürren oder Überschwemmungen: Frauen sind Wetterextremen, die der Klimawandel weiter verschärft, viel stärker ausgesetzt als Männer. Die Wissenschaft zeigt Gründe für die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern auf.

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Eine Frau trägt ein Kind durch die Überschwemmungen in Zhengzhou, China
Klimaschocks verschärfen bestehende Diskriminierungen Bild: Aly Song/REUTERS

Wirbelstürme, die an den Küsten ganze Fischerdörfer zerstören, gewaltige Brände, die den Himmel rot und schwarz zugleich färben, und lang anhaltende Dürren, die ganze Ernten verdorren und die Getreidepreise in die Höhe schnellen lassen - solche Wetterextreme nehmen unter dem Klimawandel immer mehr zu. Von ihren Auswirkungen sind aber Männer und Frauen ganz unterschiedlich betroffen.

Als 1991 der Zyklon "Gorki" an der Küste von Bangladesch wütete, kamen neunmal mehr Frauen ums Leben als Männer. Bei den verheerenden Buschbränden 2009 in Australien wollten sich doppelt so viele Frauen wie Männer in Sicherheit bringen. Und als 2016 in Kenia wegen einer schweren Dürre zwei Millionen Menschen hungern mussten, waren es jeweils die Frauen, die als letzte Lebensmittel erhielten.

Seit Jahrzehnten warnen Experten, dass tradierte Geschlechterrollen die Menschen anfälliger machen für extreme Wetterereignisse. Politische Entscheidungsträger haben diese Warnungen lange ignoriert. Heute sind sie gezwungen umzudenken und sich zu fragen, wie sich Ungleichheiten abbauen lassen, die sich anderenfalls immer weiter zu verstärken drohen.

Eine Frau hat den Rest einer verdorrten Maispflanze in der Hand
Frauen besitzen nur selten eigenen Grund und Boden, umso stärker sind sie bei Dürren unmittelbar vom Hunger bedroht Bild: Alkis Konstantinidis/REUTERS

Die Klimakrise bedrohe vor allem arme Bevölkerungsschichten, die keinen politischen Einfluss hätten, sagt Lisa Schipper, Mitautorin des im Februar veröffentlichen Zwischenberichts des Weltklimarates IPCC. "In den meisten Ländern sind die Frauen außen vor, wenn es darum geht, grundlegende Entscheidungen zu treffen. Das betrifft auch die Diskussion um die Verwendung und Nutzung von Ressourcen. Die meisten Frauen haben hier kein Mitspracherecht."

Klimawandel verschärft die Benachteiligungen von Frauen

Frauen leben oft aufgrund ihres Geschlechts am Rande der Gesellschaft. Von dort aus sind sie weniger in der Lage, sich dem Klimawandel anzupassen oder sich von seinen negativen Auswirkungen zu erholen. Diese Erkenntnis gewannen Wissenschaftler im Rahmen eines Mega-Reviews wissenschaftlicher Literatur über die Auswirkungen des Klimawandels und das Anpassungsverhalten der Menschen.

Frauen haben oft weniger Geld, ihre Bedürfnisse werden von politischen Entscheidungsträgern - meist Männern - oft nicht berücksichtigt. Das macht die Frauen wiederum anfälliger für weitere Diskriminierung.

In vielen Kulturen ist die Versorgung der Familie mit Wasser Frauensache. Doch in Zeiten von Dürren müssen Frauen und Mädchen immer weitere Wege zurücklegen, um Wasser zu holen. Oft brechen sie schon im Dunkeln auf oder kehren erst spät am Abend zurück. In der Dunkelheit sind sie jedoch einem größeren Risiko sexualisierter Gewalt ausgesetzt.

Werden die Wege zu den Wasserstellen weiter, kosten sie auch immer mehr Zeit. Das hat zur Folge, dass sie seltener bewältigt werden können und Familien insgesamt weniger Wasser zur Verfügung haben. In Kulturen, in denen die Männer als erste essen und trinken, bleibt am Ende dann kaum noch etwas für die Frauen übrig. Dabei benötigen Frauen in Zeiten ihrer Menstruation ausreichend Wasser für die Hygiene - doch genau das wird in Dürrezeiten immer schwieriger. Mädchen können wegen ihrer Blutungen häufig nicht zur Schule gehen.

Frauen laufen in Bangladesch an Dämmen aus Sandsackdämmen vorbei
In vielen Ländern lernen Frauen nicht schwimmen - das erhöht an den Küsten bei Überschwemmungen oder steigendem Meeresspiegel ihr RisikoBild: Mahmud Hossain Opu/AP/picture alliance

Ganz ähnlich sind die Folgen für Frauen, wenn Extremwetter zu viel Wasser mit sich bringt. So verlieren die Menschen bei Überschwemmungen ihre Häuser, Toiletten sind zerstört, Hygieneprodukte werden knapp. In Ländern, in denen die Menstruation tabuisiert wird, ist das für Frauen ein zusätzliches Problem. Laut einer Studie des Schweizer Wissenschaftsjournals Frontiers in Water aus dem Jahr 2020 können in Bangladesch zwei Drittel der Frauen jeden Monat sechs Tage lang nicht arbeiten. Während ihrer Menstruation haben sie keinen sicheren Ort zum Wechseln und Entsorgen ihrer Menstruationsartikel.

Geschlechterrollen können auch für Männer tödlich sein

Doch es gibt auch Folgen extremer Wetterbedingungen, die Männer sehr viel stärker treffen als Frauen. So ist in den USA die Wahrscheinlichkeit an einer hitzebedingten Krankheit zu sterben bei Männern doppelt so hoch, wie bei Frauen. Denn körperlich schwere Arbeiten, etwa in der Landwirtschaft oder auf dem Bau, werden eher von Männern verrichtet.

Die meisten Todesopfer bei den verheerenden Buschbränden des "Schwarzen Samstags" im Februar 2009 in Australien waren Männer. Viele versuchten zu lange, ihre Häuser vor den Flammen zu verteidigen. Und viele befolgten zu spät den Rat ihrer Familien oder Freunde, sich in Sicherheit zu bringen, zeigt eine Studie, die 2016 im Fachmagazin Geographical Research veröffentlicht wurde.

Ein Mann schaut von einem Dach auf einen Waldbrand in Kalifornien, USA
Starre Geschlechterrollen erhöhen den Druck auf Männer, in gefährlichen Situationen Hab und Gut zu schützenBild: David McNew/Getty Images

Die Auswirkungen des Klimawandels auf Transgender ist bis jetzt hingegen nur wenig erforscht. In Ländern, in denen dennoch Daten vorliegen, fanden Wissenschaftler heraus, dass Transgender häufiger obdachlos sind als Nicht-Transgener und öfter bei der Gesundheitsversorgung diskriminiert werden. Durch extreme Wetterereignisse wie Hitze oder Stürme könnten sie demnach starker gefährdet sein.

Wie gelingt die geschlechtergerechte Anpassung an den Klimawandel?

Im Pariser Klimaabkommen von 2015 haben sich die Staats- und Regierungschefs der Welt nicht nur darauf geeinigt, die globale Erderwärmung auf durchschnittlich 1,5 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau begrenzen. Die Unterzeichner einigten sich darin auch auf einen "geschlechtergerechten" Ansatz bei der Anpassung an den Klimawandel. Der sollte sich an den besten verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnissen orientieren.

Gelingen könnte das, indem solche Systeme umgestaltet werden, die noch immer an alten Ungleichheiten festhalten. Machtverhältnisse müssten neu ausgehandelt werden, so der IPCC in seinem Bericht über Anpassungen. Das könnte bedeuten, dass Reichtum und Ressourcen gleichmäßiger verteilt werden müssen und eine gerechte Vertretung bei umweltpolitischen Entscheidungen gewährleistet werden muss.

Doch: "Bislang gibt es nur wenige empirische Belege für einen solchen Wandel", heißt es im Bericht. Stattdessen geht es nur in kleinen Schritten voran. Eine ausreichende Beteiligung von Frauen an Anpassungsprojekten fanden die Autorinnen und Autoren lediglich in Einzelfällen. Dasselbe gilt für die besondere Berücksichtigung der Geschlechterfrage in der nationalen Klimapolitik.

"Was wir in unserem Bericht geschrieben haben, war keine bahnbrechende Neuigkeit", sagt Martina Caretta, eine Mitverfasserin des IPCC-Berichts. "Was mich jedoch als Wissenschaftlerin frustriert, ist, dass keine Schritte unternommen wurden, um die Vertretung und Entscheidungsgewalt von Frauen zu verbessern."

Frauen verhalten sich umweltfreundlicher als Männer

Dabei könnte eine stärkere Gleichberechtigung von Mann und Frau den Klimawandel sogar verlangsamen. Denn Frauen haben viel weniger Emissionen zu verantworten als Männer. Sie essen tendenziell weniger Fleisch und fahren weniger Auto, so einweiterer IPCC-Bericht über Klimalösungen von April dieses Jahres. In Deutschland und Schweden etwa verbrauchen Männer acht bis 22 Prozent mehr Energie als Frauen.

"Frauen verhalten sich oft umweltbewusster", sagt Minal Pathak, eine leitende IPCC-Wissenschaftlerin. Das liege jedoch häufig daran, dass Frauen weniger befugt seien, einen stark umweltbelastenden Lebensstil zu führen. "In gewisser Weise ist das daher häufig keine bewusst getroffene Entscheidung von Frauen."

Die Klimaaktivistinnen Thunberg und Neubauer bei einem Klimaprotest von Fridays for Future in Berlin, Deutschland
Die Klimaprotestbewegung Fridays for Future wird hauptsächlich von Frauen angeführtBild: Michael Sohn/AP/picture alliance

Dennoch ist dem IPCC-Bericht zufolge die Kohlenstoffverschmutzung in den Ländern geringer, in denen Frauen ein größeres politisches Mitspracherecht haben - selbst wenn man das Einkommen und andere Faktoren berücksichtigt. Außerdem tragen Frauen stärker zu strukturellen Veränderungen bei als Männer. So sind laut wissenschaftlichen Untersuchungen von Schweden bis Uganda, von Indien bis zu den Philippinen unter den führenden Köpfen der Klimaprotestbewegung "Fridays for Future" überproportional viele Frauen und Mädchen.

Es gibt zwar auch Beispiele von Ländern, in denen Frauen, die Klimapolitik behindern oder behindert haben. So blockierte die Regierung der ehemaligen deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel beispielsweise Reformen in der EU-Autoindustrie. Dennoch ist die Politik von Frauen der Wissenschaftler zufolge in der Regel weniger umweltschädlich ist als die von Männern.

Der Bericht zeigt zudem, dass Frauen in allen Bereichen der Gesellschaft dem Klimawandel Priorität einräumen: bei politischen Wahlen, bei der Arbeit, beim Einkaufen und beim Engagement in ihren Gemeinden. Sie engagieren sich häufiger als Männer für die Umwelt und leugnen weniger oft den Klimawandel.

Verbessere man die Beteiligung von Frauen sowie ihre Möglichkeiten, sich politisch zu engagieren, verbessere man automatisch den Klimaschutz, so das Fazit von IPCC-Wissenschaftlerin Pathak. "Länder, in denen Frauen eine stärkere Stimme haben - eine stärkere politische Stimme - treiben den Klimaschutz schneller voran."

Adaption aus dem Englischen: Jeannette Cwienk