1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Greta Thunberg - beharrlich konsequent

9. Oktober 2020

Sie war beim Papst, sprach vor Parlamenten und wurde zu Schwedens Frau des Jahres gekürt. Ihre Konsequenz macht sie glaubwürdig. Vor zwei Jahren begann Greta Thunberg ihre Aktion.

https://p.dw.com/p/3NdqV
Frankreich Aktivistin Greta Thunberg erhält den Freedom Award 2019 in Caen und hält ihre Rede
Greta Thunberg bei der Verleihung des Freedom Award 2019 in CaenBild: picture-alliance/NurPhoto/A. Widak

Am Morgen des 20. August 2018, dem ersten Schultag nach den Ferien in Schweden, war die damals 15-jährige Greta Thunberg vielleicht zum letzten Mal in ihrem Leben eine Privatperson. Dann setzte sie sich vor den schwedischen Reichstag in Stockholm und stellte neben sich ein handbemaltes Pappschild auf. "Skolstrejk för klimatet", also: "Schulstreik für das Klima“ war darauf zu lesen.

Drei Wochen lang, bis zur schwedischen Parlamentswahl im September 2018, blieb Greta Thunberg der Schule fern. Danach streikte sie freitags. Sie werde ihren Unterrichtsboykott so lange fortsetzen, bis die schwedische Regierung die Vereinbarungen des Pariser Klimaabkommens einhalte, kündigte sie an. Auf ihrem Twitter-Account nannten sie die Aktion "Fridays For Future".

Geburt einer globalen Bewegung

Bereits am ersten Freitag saßen mit Thunberg mehr als 30 Menschen vor dem schwedischen Reichstag. Es folgten Schulstreiks in anderen schwedischen Städten, in anderen Ländern wie Deutschland, Belgien, Großbritannien und weiteren. Bis Mitte März 2019 breiteten sich die Klimaproteste unter dem Hashtag #fridaysforfuture zu einer globalen Bewegung aus, mit Streiks auf allen Kontinenten.  Das Gesicht der Bewegung ist Greta Thunberg. Für viele Aktivisten wird sie zu einer Art Ikone.

Schweden Greta Thunberg Schulstreik Protest Klimawandel
Schon kein normales Mädchen mehr: Greta am 30.11.2018 vor dem schwedischen ParlamentBild: picture-alliance/DPR/H. Franzen

Zwar gab es in den Industrienationen bereits ein gestiegenes Interesse an Umweltthemen, wie etwa Plogging, Veganismus und die Zero-Waste-Bewegung zeigen. Doch Greta Thunbergs Bruch mit der Schulpflicht schien das richtige Maß an Revolution zu bieten, das es brauchte, um Massen junger Menschen auf die Straße zu treiben.

Reden vor der UN, in Davos, Brüssel, Paris und London

Innerhalb von nur drei Monaten war die Initiatorin der Klimaproteste so bekannt, dass sie im Dezember 2018 auf dem UN-Klimagipfel im polnischen Kattowitz eine Rede hielt. Unbeeindruckt von ihrem großen Publikum las die Schülerin diesem die Leviten. "Unsere Biosphäre wird geopfert, damit reiche Menschen in Ländern wie meinem in Luxus leben können", klagte sie an.

Wenige Wochen später sprach Greta Thunberg auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos: "Ich will, dass ihr in Panik geratet. Ich will, dass ihr dieselbe Angst empfindet, die ich jeden Tag spüre. Und dann will ich, dass ihr handelt, als ob unser Haus in Flammen stünde. Denn das tut es."

Es folgten Reden vor dem Europaparlament, der französischen Nationalversammlung und dem Parlament in London. Immer wieder verkündete Thunberg eindringlich, welch verheerende Zukunft der Menschheit laut aller Prognosen der Wissenschaft bevorstehe, sollte nicht entschieden etwas gegen die Erdererhitzung getan werden.

Klimaneutralität bis 2050 reicht nicht: Greta Thunberg hält ihre Rede im Europaparlament am 6. März 2020
Die EU muss viel mehr tun: Greta Thunberg greift die EU-Politik im Europaparlament scharf an Bild: Getty Images/K. Tribouillard

Es bleibt keine Zeit: Führen statt ignorieren 

Im diesem März besuchte Thunberg die EU-Kommission und kritisierte scharf den Entwurf des EU-Klimaschutzgesetzes. Es sieht vor, dass ab 2050 die EU klimaneutral wirtschaftet. "Dieses Gesetz stellt eine Kapitulation dar. Sie geben die Klimaschutzziele von Paris und die Absicht, die Welt zu retten, auf", zürnte sie im Parlament. Das Gesetz sei wirkungslos, weil es die jüngsten wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Erderwärmung ignoriere. Europa fehle es an Bewusstsein und Führung, vor allem aber an Zeit.

Bei einem Treffen mit Angela Merkel im August dieses Jahres forderte Thunberg Mut und Führung, um eine Chance zu haben, die Klimakatastrophe zu vermeiden. Die Klima-Krise müsse genauso ernst genommen werden wie das Corona-Virus. In einem offenen Brief an alle EU-Staats-und Regierungschefs fordert Thunberg zusammen mit anderen Aktivisten von Fridays for Future "sich dem Klimanotfall zu stellen", nicht zu ignorieren und deshalb ein verbindliches Klimagas-Budget zur Einhaltung des Temperaturanstiegs auf unter 1,5 Grad. Damit verbunden sei der unverzügliche Stopp der Gewinnung und Subventionierung fossiler Brennstoffe. 

Brüssel | EU-Kommission: Ursula von der Leyen neben Greta Thunberg
Mit EU-Präsidentin von der Leyen: Thunberg fordert enkeltaugliche Führung Bild: picture-alliance/AA/EU Commission

Preise, Prominenz und große Aufmerksamkeit 

Treffen mit Persönlichkeiten, wie Papst Franziskus, UN-Generalsekretär António Guterres, Angela Merkel, Schauspieler Arnold Schwarzenegger oder Ex-US-Präsident Barack Obama scheinen bei Thunberg keine besondere Aufregung zu erzeugen, sie hat eine Botschaft.

Inzwischen erhielt die heute 17-Jährige zahlreiche Preise, wurde zu Schwedens Frau des Jahres gekürt und für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen. Das US-Magazin "Times" zählt Greta Thunberg zu den 100 wichtigsten Persönlichkeiten des Jahres 2019.

Vatikan Greta Thunberg bei Papst Franziskus
Schöpfung bewahren, gemeinsames Ziel: Große Freude beim Papst über den Besuch der jungen AktivistinBild: picture-alliance/Catholic Press Photo

"Ich kann keinen Small-Talk"

Sie stehe äußerst ungerne im Mittelpunkt, sagt Greta in einem deutschen Fernseh-Interview. "Aber ich kann mich nicht beschweren, ich habe mich selbst in diese Situation gebracht. Und damit ich etwas bewirken kann, macht es mir nichts aus, diesen Preis zu zahlen."

Mit ihrer Initialzündung zu den Schülerprotesten hat Greta Thunberg bewirkt, was  mahnende Wissenschaftler, und zahlreiche Klimagipfel bisher nicht vermochten: In der öffentlichen Debatte steht das Thema Klimaschutz seit Monaten ganz oben auf der Agenda - und setzt die Politik zunehmend unter Druck. Bei der Europawahl im Mai 2019 fuhren Umweltparteien fast überall deutliche Gewinne ein.

Greta Thunberg besichtigt den Braunkohletagebau Hambach. Luisa Neubauer von Fridays for Future und Kathrin Henneberger von Ende Gelände zeigen ihr die Landschaftszerstörungen von RWE und wo die Braunkohle von RWE verfeuert wird und so der Klimaschutz aus Profitgründen torpediert wird.
Im Braunkohlerevier von RWE bei Köln. Der Konzern ist größter CO2-Emittent der EU und im Fokus von Klimaaktivisten Bild: picture-alliance/dpa/O. Berg

Viel Ehr, viel Feind

Mag sie auch nicht gern im Mittelpunkt stehen, wie Thunberg sagt, so versteht sie es doch perfekt, ihre Auftritte in Szene zu setzen. Kaum eine Zugfahrt ohne Tweet. Kein klassisches Teenager-Selfie, sondern Werbung für klimafreundliches Reisen.

Bei dieser Präsenz bleibt Ablehnung nicht aus. Im Netz wird viel gegen die Schülerin gehetzt, besonders von rechtspopulistischen Parteien, die den Klimawandel leugnen. Aber auch von konservativer Seite kommt Kritik. In Deutschland etwa machten sich Politiker wie der CDU-Generalsekretär Paul Zimiak und FDP-Chef Christian Lindner über die Schülerin lustig und behaupteten, ein 16-jähriges Mädchen sei nicht in der Lage, globale Zusammenhänge zu verstehen.

Auch auf dem Asperger-Syndrom der Umweltschützerin reiten viele ihrer Gegner herum - dieses mache sie zu einem naiven und willfährigen Opfer einer grünen Öko-Lobby, so der Tenor.

Dieser Hass gepaart mit falschen Darstellungen der Fakten mache sie traurig, sagt Thunberg im Interview mit einem deutschen öffentlich-rechtlichen Sender. "Aber die heftigen Reaktionen zeigen auch, dass unsere Klimastreiks einen Nerv treffen und eine Wirkung haben. Und das ist positiv."

Ihre Beharrlichkeit führt die junge Schwedin selbst auf das Asperger-Syndrom zurück. "Wenn ich kein Asperger hätte, wäre das hier nicht möglich gewesen. Aber ich bin anders. Ich sehe die Welt aus einer anderen Perspektive - schwarz und weiß. Wenn mir etwas wichtig ist, dann gebe ich 100 Prozent."

Preisverleihung der Goldenen Kamera - Greta Thunberg
Die "Goldene Kamera" für Klimaschutz ist nur einer von vielen Preisen, mit denen Gretas Engagement ausgezeichnet wurdeBild: picture-alliance/dpa/H. Hanschke

Emissionsfrei über den Atlantik

Wohin auch immer, die Umweltaktivistin reist per Zug oder Elektroauto. Seit ihrem 12. Lebensjahr ernährt sie sich vegan und hat auch ihre Familie überzeugt, weder Fleisch zu essen noch per Flugzeug zu reisen - besonders für ihre Mutter, Opernsängerin von Beruf, war das kein leichter Schritt.

Zu Greta Thunbergs klimaschonenden Reisemitteln kam in letzten Jahr noch ein weiteres hinzu: Mit der Hochseejacht "Malizia II" segelte sie ohne fossile Brennstoffe in die USA zum UN-Klimagipfel und wieder zurück. Zwei Wochen dauerten jeweils die Überfahrten. Der an Bord benötigte Strom wurde mittels Solarpaneelen und Unterwasserturbinen erzeugt.

Atlantiküberquerung von Klimaaktivistin Greta Thunberg. Thunberg winkt von der Yacht.
Reisen ohne klimaschädliches CO2: Greta Thunberg ist konsequent und überquert den Atlantik mit einer SegelyachtBild: picture-alliance/B. Birchall

Das Reiseangebot kam von der Crew der Sportjacht, dem deutschen Segelsportler Boris Herrmann und Pierre Casiraghi, Sohn von Prinzessin Caroline von Monaco.

Auch wenn der Segeltörn über den Atlantik noch weit davon entfernt war, Vorbild für eine massentaugliche Atlantiküberquerung zu werden, so hatte er dennoch großen Symbolcharakter. Und zeigte einmal mehr die unnachgiebige Konsequenz der Greta Thunberg.

Dieser Artikel von 2019 wurde am 9.10.2020 aktualisiert

 

DW-Redakteurin Jeannette Cwienk
Jeannette Cwienk Autorin und Redakteurin, Fokus unter anderem: Klima- und Umweltthemen