Finnland und die fehlenden Arbeitskräfte
1. April 2023Finnland fehlen die Arbeitskräfte. Das Problem besteht schon lange, doch in den vergangenen Monaten waren die Augen der Öffentlichkeit auf andere Ereignisse gerichtet, darunter vor allem die Umorientierung des nordischen Landes in Richtung NATO. An diesem Sonntag (2. April) stehen in Finnland Parlamentswahlen an - und bei der Entscheidung, wer in Zukunft die Geschicke des Landes lenken wird, könnten das Thema Fachkräfte diesmal eine entscheidende Rolle spielen.
Seit Aufhebung der Corona-Einschränkungen hat sich der Arbeitskräftemangel noch verschärft. In Uuisimaa, der bevölkerungsreichsten Region des Landes, zu der auch Helsinki gehört, stieg der Anteil der offenen Stellen von 25 Prozent im Jahr 2019 auf nahezu 60 Prozent im Jahr 2022.
Nach Einschätzung des finnischen Ministeriums für Wirtschaft und Arbeit besteht in 56 Berufen ein Mangel an Arbeitskräften. Unter den Top-15 dieser Berufe befinden sich hauptsächlich Tätigkeiten aus den Bereichen Gesundheit und soziale Dienstleistungen. Im Mai gaben die Spitzen aller Parteien während einer Fernsehdebatte offen zu, dass das Land gegenwärtig mit einem unzureichend funktionierenden Gesundheitssystem klarkommen muss. Unter anderem fehlt Krankenpflegepersonal.
Löhne für qualifizierte Arbeitskräfte müssen steigen
Das Problem macht auch vor dem Niedriglohnsektor nicht halt. Restaurantmitarbeiter und Bauarbeiter befinden sich ebenfalls auf der Liste fehlender Arbeitskräfte der Regierung.
Nico Flinkman ist Koch im Fischrestaurant Fisken pa Disken in Helsinki. Für ihn besteht das Problem nicht so sehr in einem Mangel an Bewerbern als an einem Mangel an Arbeitskräften mit entsprechender Qualifikation. "Sie müssen immer noch ausgebildet werden", klagt der gebürtige Finne, der sein Handwerk selbst in Lyon in Frankreich lernte, bevor er wieder in die Heimat zurückkehrte.
"Die Löhne sind nicht sonderlich hoch und die Arbeitszeiten können ziemlich lang sein. Wir brauchen also ein höheres Grundgehalt", betont er gegenüber der DW. Einen gesetzlichen Mindestlohn gibt es in Finnland nicht. Arbeitgeber und Gewerkschaften verhandeln Tarifverträge über branchenspezifische Löhne.
Einwanderung soll die Lücken füllen
Die Kleinstadt Kankaanpää, rund 270 Kilometer westlich von Helsinki gelegen, konnte mehr als 100 ukrainische Flüchtlinge anwerben, die hier studieren und in den ansässigen Fabriken Elektrogeräte zusammenbauen. Fehlende Sprachkenntnisse in Finnisch und Englisch erschweren die Integration mancher Ukrainer. Doch der Bürgermeister der Stadt ist überzeugt, dass Zuwanderung eine Lösung bieten kann.
"Unsere eigene Bevölkerung reicht einfach nicht aus, um genügend Arbeitskräfte zu stellen, selbst wenn wir unsere Studenten und Arbeitslosen besser an das Arbeitsleben heranführen", bekräftigt Bürgermeister Mika Hatanpää im Gespräch mit der DW.
Bei den großen Parteien Finnlands herrscht Einigkeit darüber, dass das Land seine Türen für mehr Beschäftigte aus dem Ausland öffnen muss. Doch die rechten Parteien im Land sehen das anders. "Sie behaupten, dass die Menschen keinen Anreiz haben zu arbeiten, wenn die Sozialleistungen und das Arbeitslosengeld zu hoch sind", erklärt Merja Kauhanen, Wissenschaftlerin am finnischen Labour Institute for Economic Research.
Finnlands Bevölkerung schrumpft
Etwa 20.000 Menschen zieht es jährlich wegen der Arbeit nach Finnland. Doch viele fürchten, dass dies aufgrund demografischer Veränderungen nicht genug sein wird. Verläuft die Entwicklung weiter wie bisher, wird die finnische Bevölkerung ab 2034 abnehmen. In jedem der vergangenen vier Jahre verzeichnete das Land jeweils weniger als 50.000 Geburten.
"Unsere Bevölkerung wird immer älter. Wir bekommen nicht genügend Babys, wir haben nicht genügend Einwanderung und die Menschen leben länger", betont Leena Pöntynen von der Interessengruppe Technology Industries of Finland (TIF).
Finnlands Technologiesektor ist für mehr als die Hälfte der Exporte des Landes verantwortlich. 317.000 Techniker arbeiten in diesem Bereich. "Innerhalb der nächsten zehn Jahre brauchen wir hier 130.000 neue Mitarbeiter", so Pöntynen.
Branchenführer plädieren für mehr Einwanderung
Innovative Lösungen sind bereits entwickelt. Der multinationale US-amerikanische Konzern Microsoft bietet einen "Mikro-Abschluss" an, der nur 90 Tage dauert und den Mangel an Technologieexperten beheben soll. Damit hofft das Unternehmen, innerhalb von fünf Jahren etwa 100.000 Fachkräfte heranzuziehen. Und Pekka Lundmark, CEO von Nokia, lieferte sich auf Twitter einen Streit mit der Vorsitzenden der finnischen Rechtspopulisten, nachdem die Politikerin behauptet hatte, Arbeitsmigranten schadeten der Wirtschaft.
Obwohl Finnland seit Jahren die Liste der glücklichsten Länder weltweit anführt, meint Pöntynen, das Land tue nicht genug dafür, Arbeitskräfte aus dem Ausland auf sich aufmerksam zu machen. Es müsse die hohe Lebensqualität nutzen, um qualifizierte ausländische Arbeitskräfte ins Land zu bringen - und die sei geprägt durch die "die frische Luft und die Sicherheit im Land, in dem Fünfjährige alleine draußen spielen können".
Adaptiert aus dem Englischen von Phoenix Hanzo.