FDP setzt auf Angriff und Harmonie
9. März 2013Philipp Rösler hat die FDP auf dem vorgezogenen Bundesparteitag in Berlin zu Geschlossenheit und Zuversicht aufgefordert. Ein halbes Jahr vor der Bundestagswahl im September überraschte er die Delegierten mit einer ungewohnt kämpferischen und angriffslustigen Rede. Der Lohn: Er wurde mit 85,7 Prozent im Amt bestätigt. Bei seiner ersten Wahl vor knapp zwei Jahren in Rostock waren es noch gut 95 Prozent. Trotzdem darf sich Rösler (im Artikelbild links) als Sieger fühlen, denn noch Anfang des Jahres galt er als Auslaufmodell. Doch der überraschende Wahlerfolg in seinem Stammland Niedersachsen (9,9 Prozent) nahm seinen parteiinternen Gegnern den Wind aus den Segeln.
Auf dem von Anfang Mai um sieben Wochen vorgezogenen Bundesparteitag blies Rösler nun zum Angriff – nicht auf seine Gegner in den eigenen Reihen, sondern auf die politische Konkurrenz. Schließlich wird im Herbst ein neuer Bundestag gewählt, und die Liberalen wollen an der Seite von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) weiterregieren. Heftig attackierte Rösler Grüne und Sozialdemokraten.
Die Farben der Schuldenpolitik
Die Steuerpläne des SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück würden den Bürgern 40 Milliarden Euro "aus der Tasche ziehen". Eine solche "Steuererhöhungsorgie" sei ein Anschlag auf die Leistungsbereiten im Lande. Die Schulden in Deutschland hätten zwei Farben, sagte Rösler: Rot und Grün. "Und stabile Haushalte haben auch zwei Farben, nämlich Schwarz und Gelb." Das von der früheren rot-grünen Regierung eingeführte Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) kritisierte der FDP-Chef als "Planwirtschaft".
Unter Hinweis auf die vergleichsweise niedrige Arbeitslosigkeit lobte Rösler die Bilanz der seit Ende 2009 regierenden Koalition aus FDP und CDU/CSU. "Wir werden europaweit beneidet, wir werden weltweit beneidet", rief der FDP-Vorsitzende den rund 660 Delegierten in Berlin zu. "Die Grünen träumen von Verboten, und wenn sie aufwachen, von Steuern", spottete Rösler.
Deutliche Worte fand der FDP-Chef aber auch für den Koalitionspartner. In der Gesellschaftspolitik unterscheide man sich "sehr vehement von der Union", betonte Rösler. Eindringlich warb er für die von Bundeskanzlerin Merkel abgelehnte steuerliche Gleichstellung von eingetragenen Lebenspartnerschaften. Allerdings ist die sogenannte Homo-Ehe auch innerhalb der FDP umstritten.
Eine abschließende Meinung dazu will die FDP sich auf dem Bundestagswahl-Parteitag Anfang Mai in Nürnberg bilden. Aber auch in Berlin wurde über dieses Thema schon leidenschaftlich diskutiert. Rösler favorisierte eindeutig die uneingeschränkte rechtliche Gleichstellung Homosexueller. "Uns ist egal, wie sie leben und wie sie lieben wollen." Und er wünsche sich, "auch unserer Koalitionspartner würde sich die Lebenswirklichkeit in Deutschland ansehen".
Ein weiteres strittiges Thema ist der Mindestlohn, der mit Ausnahme der FDP von allen im Bundestag vertretenen Parteien befürwortet wird. Rösler plädierte für einen Kompromiss. Unter Hinweis auf die unterschiedliche Wirtschaftskraft in Deutschland sprach er sich dafür aus, "differenziert nach Branchen und Regionen" Tarifabschlüsse anzustreben. Flächendeckende gesetzliche Mindestlöhne "lehnen wir weiterhin ab", sagte Rösler.
Plädoyer für die doppelte Staatsbürgerschaft
Unterschiedliche Auffassungen haben Liberale und Merkels Konservative auch im Staatsbürgerrecht. Die FDP kämpfe für eine schnellere Einbürgerung "und natürlich für die doppelte Staatsbürgerschaft". Das wäre ein Zeichen für eine Willkommenskultur in Deutschland, betonte der in Vietnam geborene Rösler. Er verknüpfte das Thema mit persönlichen Anmerkungen. Der gerade 40 Jahre alt gewordene FDP-Chef war als Kleinkind von einem deutschen Ehepaar adoptiert worden. Sein Vater habe ihn, als er fünf Jahre gewesen sei, beim Blick in den Spiegel auf die äußerlichen Unterschiede aufmerksam gemacht und hinzugefügt: "Ich bin dein Vater und du bist mein Sohn." Mit dieser Grundeinstellung sei er groß geworden. "Deutschland ist das coolste Land der Welt", sagte Rösler unter dem Beifall der Delegierten.
Die neue Gelassenheit des FDP-Vorsitzenden bekam auch der Vorsitzende der Bundestagsfraktion, Rainer Brüderle, zu spüren – im positiven Sinne. Denn Rösler hätte gute Gründe gehabt, dem 67-Jährigen die Leviten zu lesen. Denn er war es, der neben Entwicklungsminister Dirk Niebel mehr oder weniger unverhohlen auf Röslers Ablösung von der Parteispitze drängte. Kritik an Brüderle verkniff sich der Bundeswirtschaftsminister und setzte stattdessen auf Harmonie. Ergebnis ist eine Doppelspitze im Jahr der Bundestagswahl. Rösler führt die Partei, Brüderle ist der Spitzenkandidat im Wahlkampf. Die FDP brauche ein starkes Team, "einen Kapitän und einen Stürmer, der die Tore schießt", begründete Rösler die ungewöhnliche Arbeitsteilung.
Mit Demut und Optimismus in den Wahlkampf
Ein wenig Demut streute Rösler dann auch noch in seine Rede ein. Er habe seit seiner ersten Wahl zum Vorsitzenden nicht immer Glück gehabt. Es habe manchmal wirklich schwierige Zeiten gegeben und manchmal habe er auch Fehler gemacht, räumte der wiedergewählte FDP-Chef ein. "Ich hoffe, dass ich daraus gelernt habe", fügte Rösler hinzu. Mit Blick auf die Bundestagswahl am 22. September rief er dazu auf, die Reihen zu schließen. "Man darf niemals die Entschlossenheit, die Geschlossenheit und den Siegeswillen der FDP unterschätzen." Das gilt ganz besonders für Philipp Rösler, den fast alle schon abgeschrieben hatten.