Faktencheck: "Viagra für Frauen"
19. August 2015Worin besteht der Unterschied zwischen Viagra und Flibanserin?
Viagra ist für Männer, die wollen, aber nicht können - Flibanserin ist für Frauen, die könnten, aber keine Lust verspüren.
Der Viagrawirkstoff Sildenafil erweitert die Gefäße. Ursprünglich war er entwickelt worden, um Bluthochdruck und Angina Pectoris zu behandeln - eine Durchblutungsstörung des Herzens. Viagra unterstützt auch die Bluteinströmung in den Schwellkörper des Penis; es kommt zu einer Erektion.
Flibanserin setzt dagegen bei der Psyche an. Es wirkt auf Zellrezeptoren und beeinflusst dadurch die Entstehung von Botenstoffen. Dadurch werden Neurotransmitter im Gehirn freigesetzt, die Sexualfunktionen steuern. Der Wirkstoff hemmt die Ausschüttung des sexualitätshemmenden Hormons Serotonin und begünstigt die Ausschüttung des Glückshormons Dopamin und des kreislaufanregenden Noradrenalins.
Kann jetzt jeder das Medikament kaufen?
Nein, die US-Arzneimittelbehörde (Food and Drug Administration, FDA) hat die Zulassung für die USA am 18. August 2015 erteilt. Ärzte dürfen das Medikament nur einsetzen, um das Krankheitsbild der "hypoaktiven Sexualfunktionsstörung" zu behandeln (engl: hypoactive sexual desire disorder, HSDD). Dieses Krankheitsbild liegt laut FDA nur dann vor, wenn es keine weitere medizinische oder psychologische Erkrankung gibt - etwa eine Depression. Der Wirkstoff ist verschreibungspflichtig und darf nur Frauen vor ihren Wechseljahren verabreicht werden.
In der Europäischen Union und den meisten anderen Staaten ist Flibanserin nach wie vor nicht zugelassen.
Gibt es mögliche Nebenwirkungen?
Ja, das ist der Grund für die strenge Verschreibungspflicht. Flibanserin senkt den Blutdruck und kann Bewusstlosigkeit hervorrufen. Diese Gefahr steigt vor allem, wenn gleichzeitig Alkohol getrunken wird.
Es gibt aber auch Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten, etwa einige Wirkstoffe zur Behandlung von Pilzerkrankungen der Haut, hormonelle Kontrazeptiva und eine Reihe antiretroviraler Arzneimittel gegen HIV.
Da kein Patient diese Gefahren wirklich abschätzen kann, führt am Arzt kein Weg vorbei.
Wie groß ist der Bedarf?
Das ist kaum zu schätzen. Ob eine Frau einfach nur eine normale Phase sexuellen Desinteresses durchlebt oder ob es sich um einen krankhaften mangelnden Sexualtrieb handelt, ist stark von dem gesellschaftlichen Umfeld und den Erwartungen des Partners oder Dritter abhängig.
Entstehen dadurch zum Beispiel Minderwertigkeits- oder Schuldgefühle, Aggressionen oder Trennungsabsichten, kann das einen starken Leidensdruck bei der Patientin auslösen. Andererseits können sie und ihr Umfeld die Lustlosigkeit auch als normal empfinden.
Als medizinische Diagnose eindeutiger ist eine Lustlosigkeit beispielsweise bei hormonellen Veränderungen oder bei posttraumatischen Belastungsstörungen - etwa nach einer Vergewaltigung. Auch bei Depressionen ist die Diagnose meist klar - dann dürfen die Ärzte Flibanserin nicht verschreiben. Auch nach einer Schwangerschaft kann hormonbedingt eine Phase der Lustlosigkeit auftreten - die Symptome vergehen aber nach einiger Zeit meist von selbst.
Das neue Medikament kommt daher nur bei einer eindeutigen medizinischen Diagnose in Frage. Ansonsten könnte vielmehr eine Psychotherapie oder Paartherapie die richtige Lösung sein.