Tödliche Fälschungen
29. September 2013Die Fälscher kennen keine Skrupel: Die Schmerztabletten sind aus Kreide, das Schlankheitsmittel enthält giftiges Arsen und das Potenzmittel besteht aus Wasser. Mit gefälschten Arzneimitteln machen internationale Verbrecherbanden jedes Jahr Milliardenumsätze. Sie verkaufen die Ware übers Internet oder geben sie unter dem Ladentisch weiter. Im günstigsten Fall bleiben die Substanzen wirkungslos, manchmal sind sie auch tödlich. Schätzungen zufolge sterben allein in Afrika 700.000 Menschen pro Jahr, weil sie gefälschte Medikamente gegen Malaria und Tuberkulose einnehmen.
Der Handel mit illegalen Arzneimitteln boomt auf der ganzen Welt - auch in Deutschland. "Jedes Jahr verzeichnen wir steigende Zahlen", sagt Ruth Haliti vom Zollkriminalamt in Köln. Allein im ersten Halbjahr stellten deutsche Zollfahnder 1,4 Millionen gefälschte Pillen, Pulver und Ampullen sicher - rund 15 Prozent mehr als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Für Haliti steht fest, dass dies nur die Spitze des Eisbergs ist. "Die Dunkelziffer liegt wesentlich höher."
Suche nach verdächtigen Päckchen
Hinterhoflabore und Garagenwerkstätten, in denen Medikamente gefälscht werden, gibt es auf der ganzen Welt. Viele liegen in ostasiatischen Staaten. Ein Drehkreuz für die Einfuhr von Sendungen aus Ländern, die nicht zur EU gehören, ist der Frankfurter Flughafen. Dort überprüfen die Zollfahnder pro Jahr systematisch etwa 90 Tonnen Luftpost.
Zunächst werfen sie ein Auge auf die äußeren Merkmale der Sendungen. "Das kann eine bestimmte Verpackung sein, aber auch ein auffälliger Absender", sagt Zollsprecherin Haliti. Finden sich in den Briefen und Päckchen verdächtige Arzneimittel, werden sie im Labor auf ihre Bestandteile hin untersucht.
Längst sind es keine kleinen Ganoven mehr, die sich mit gefälschten Medikamenten ein wenig Geld hinzu verdienen wollen. Arzneimittel-Kriminalität ist zu einem weltumspannenden Geschäft geworden. "Es handelt sich um eine Art von organisierter Kriminalität, wie wir sie früher nur aus dem Rauschgifthandel kannten", sagt Haliti.
Der Grund dafür liegt auf der Hand: Der Handel mit Medikamenten bringt einen wesentlich höheren Ertrag als das Geschäft mit Drogen. Ruth Haliti rechnet vor, dass die Gewinnspanne bei einem Imitat des Potenzmittels Viagra bei mehr als 25.000 Prozent liegen kann - das ist zehn Mal so viel wie bei dem Rauschgift Kokain.
Razzien gegen internationale Banden
Um die weltumspannenden Netzwerke der Medikamentenpanscher zu knacken, schließen sich die Sicherheitsbehörden grenzübergreifend zusammen. Mitte des Jahres holten sie gemeinsam zum Schlag gegen die Arzneimittel-Mafia aus. Mehr als 100 Länder nahmen im Juni eine Woche lang den internationalen Warenverkehr unter die Lupe, um gefälschte Medikamente aufzuspüren. Die Fahnder stellten fast zehn Millionen verdächtige Arzneimittel-Sendungen sicher. Rund 200 Personen wurden festgenommen.
Die Europäische Union (EU) ist ebenfalls aktiv geworden und hat 2010 eine neue Arzneimittelrichtlinie verfasst. Sie sieht vor, dass ab 2017 Medikamentenverpackungen einen Sicherheitscode tragen müssen. Auf diese Weise lässt sich jedes Präparat identifizieren und bis zum Hersteller zurückverfolgen. Das System umfasst alle zertifizierten Apotheken, zu denen auch Internetanbieter wie Doc Morris gehören.
Das Geschäft von betrügerischen Online-Händlern wird davon allerdings nicht berührt. Von dort droht aber die größte Gefahr. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schätzt, dass jedes zweite im Internet vertriebene Arzneimittel gefälscht ist.
Besonders gefährdet sind Verbraucher in den Entwicklungsländern, wo der Medikamentenmarkt kaum oder gar nicht reglementiert ist. "Eine Struktur wie bei uns mit Arzneimittelgesetz und Apothekenordnung gibt es in vielen Ländern nicht", sagt Joachim Odenbach vom Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI). Darunter leiden besonders Menschen mit geringem Einkommen, die sich selbst lebenswichtige Medikamente an preisgünstigen Marktständen im Freien statt in der offiziellen Apotheke besorgen müssen.
Tödliche Folgen der Fälschungen
Malariapräparate, Herzmittel, Blutdrucksenker, selbst Arzneien gegen Aids seien auf diese Weise erhältlich. Oft erfüllen sie ihren Zweck nicht.
Die Präparate würden oft unter katastrophalen hygienischen Bedingungen hergestellt, sagt Verbandssprecher Odenbach. In Arzneimittelproben sei zum Beispiel Rattenkot gefunden worden. Völlig skrupellose Hersteller mischen aus Gleichgültigkeit giftige Substanzen bei.
Was für Folgen das haben kann, zeigt einer der bislang erschreckendsten Fälle aus Niger in Nordafrika. Nach Angaben der WHO starben dort Mitte der 1990er Jahre 2500 Menschen, nachdem sie mit einem gefälschten Mittel gegen Hirnhautentzündung geimpft worden waren.