EZB Zinsen
6. Oktober 2011Es war die letzte Zinsentscheidung, die das Direktorium der Europäischen Zentralbank unter der Leitung von Jean-Claude Trichet getroffen hat. Trichet gibt sein Amt nach acht Jahren Ende Oktober ab. Ihm folgt der Italiener Mario Draghi. Die Märkte hatten sich im Vorfeld eine Senkung des Leitzinses erhofft, doch die EZB blieb bei ihrer Linie und beließ den maßgeblichen Leitzins bei 1,5 Prozent. Das Abschiedsgeschenk von Trichet ist also ausgeblieben. Entsprechend enttäuscht reagierte die Börse in Frankfurt: Der Deutsche Aktienindex gab unmittelbar nach der Entscheidung einen Großteil seiner Gewinne wieder ab.
Wachstum oder Inflation?
Die Forderungen nach einer Zinssenkung waren zuletzt angesichts der sich zuspitzenden Staatsschuldenkrise und möglicher Rezessionsgefahren immer lauter geworden. Doch die Hüter des Euro stecken in einer Zwickmühle: Zum einen steigen die Preise weiter, zuletzt im September um drei Prozent. Das liegt jedoch über dem Inflationsziel der EZB, das nur ein Plus von maximal zwei Prozent toleriert. Also müsste sie eigentlich die Zinsen anheben. Andererseits würden höhere Zinsen zum jetzigen Zeitpunkt die Gefahr einer Rezession noch verschärfen. Also müsste sie eigentlich die Zinsen senken und das Geld noch billiger machen. Geht derzeit auch kaum: So entschied die Runde auf ihrer auswärtigen Sitzung am Donnerstag (06.10.2011) in Berlin, alles beim Alten zu belassen. Dennoch glauben viele Beobachter wie Jörg Crämer, Chefvolkswirt der Commerzbank, oder sein Kollege Norbert Braems von Sal. Oppenheim, dass die EZB demnächst an der Zinsschraube drehen wird.
Banken misstrauen sich
Aber nicht nur die Konjunktur macht der EZB Sorgen. Zunehmend rücken auch die Banken wieder in den Fokus. Wie schon nach dem Zusammenbruch der Lehman-Bank vor drei Jahren misstrauen sich die Institute gegenseitig und leihen sich untereinander kaum noch Geld. Doch wenn dieser bankeninterne Geldkreislauf – im Fachjargon Interbankenhandel genannt – austrocknet, ist der Kollaps vorprogrammiert. Insbesondere Banken aus Griechenland, Portugal und Irland sind auf Geld von der Zentralbank angewiesen, da ihnen andere Banken kaum noch Geld leihen. Niemand weiß nämlich, welche Risiken in den Bilanzen schlummern.
Rezepte aus der Finanzkrise reaktiviert
Um den Geldkreislauf flüssig zu halten, hatte die EZB schon in der Finanzkrise zum Mittel langfristiger Refinanzierungsgeschäfte - sogenannter Ein-Jahres-Tender - gegriffen: Dabei können sich Banken bei der EZB Geld leihen, dass sie erst nach einem Jahr zurückzahlen müssen. Das soll möglichen Liquiditätsengpässen vorbeugen und es den Geschäftsbanken ermöglichen, ihren Kunden weiter Kredite auszuleihen. Denn das ist die größte Gefahr für die Realwirtschaft: Dass der Geldfluss zum Erliegen kommt und ganz normale Handelsgeschäfte nicht mehr finanziert werden können. Dem vorzubeugen, hat die EZB am Donnerstag angekündigt, nunmehr zwei neue Sonderprogramme dieser Art aufzulegen. Die Banken sollten dabei so viel Geld bekommen, wie sie benötigten. Zudem habe man entschieden, weitere Staatsanleihen aufzukaufen, sagte Trichet auf der Pressekonferenz in Berlin.
Autor: Henrik Böhme
Redaktion: Monika Lohmüller