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Ex-Astronaut Thomas Reiter besucht die DW

21. November 2009

In der russischen Raumstation MIR war er zu Gast, später dann in der Internationalen Raumstation ISS. Bei seinem Besuch in unserem Bonner Funkhaus ging es auch um die Frage, wohin die deutsche Raumfahrt künftig steuert.

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Der Astronaut Thomas Reiter (Foto: AP Photo/NASA)
Er hat fast ein Jahr im All zugebracht: der deutsche Astronaut Thomas ReiterBild: AP

Er würde es gerne noch einmal machen: ins All fliegen. Zu alt ist Thomas Reiter nicht mit seinen 51 Jahren, fit genug ist er auch – aber eine dritte Weltraummission wird es aller Wahrscheinlichkeit nach nicht geben für den deutschen Astronauten. Aber Reiter, mittlerweile Vorstandsmitglied beim DLR, dem "Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt", hat eine irdische Mission: Mit seinen außergewöhnlichen Erfahrungen und seinem Charisma ist er natürlich auch genau der richtige Mann, die Werbetrommel für die Raumfahrt zu rühren. Denn die Weltraumforschung hat ja ein Dauer-Dilemma: Sie ist attraktiv, aber sehr teuer, steht also unter ständigem Rechtfertigungszwang: Was bringt die Sache eigentlich für das viele Geld?

Die Sache mit dem Weltraumklo

Reiter in Raumkapsel, macht Handzeichen: Daumen hoch (Foto: AP Photo/NASA TV)
Völlig schwerelos: Thomas Reiter im Juli 2006 an Bord der internationalen Raumstation ISSBild: AP

Da gibt es natürlich ganz konkrete wissenschaftliche Ergebnisse, aus Experimenten zum Beispiel, die nur in der Schwerelosigkeit möglich sind. Oft kommen solche Forschungsresultate, etwa aus der Weltraumstation ISS, für den Laien entweder kompliziert und schwer verständlich, oder vermeintlich unspektakulär daher. Ein wenig ist das aber auch Sache der medialen Wahrnehmung, meint Thomas Reiter: "Ich finde das immer sehr traurig, wenn ich darüber lese, dass berichtet wird, dass wieder die Toilette kaputt ist. Ich find das lächerlich, 'so what', dann ist sie halt kaputt und wird repariert; dafür sind Sie ja oben - aber keiner fragt: Was habt ihr eigentlich in den letzten Tagen an Wissenschaft gemacht?"

Ein Plädoyer für die bemannte Raumfahrt

Thomas Reiter im Weltraumeinsatz. (Foto: AP Photo/NASA TV)
Der sogenannte Weltraumspaziergang ist in Wirklichkeit harte Arbeit: Thomas Reiter im AusseneinsatzBild: NASA

Aber selbst wenn nicht bei jedem Flug gleich eine Forschungs-Sensation oder ein handfester praktischer Nutzen herauskommt: Für Reiter ist die Raumfahrt einfach auch das unverzichtbare Herantasten an die Grenzen des Wissens und des Machbaren, ein Ausdruck von Neugier und Entdeckerdrang.

Den Menschen heil ins All und vor allem auch heil wieder zurück zu bringen, das ist besonders aufwändig und damit auch besonders teuer. Aber Thomas Reiter bricht eine Lanze für die bemannte Raumfahrt: "Eine Maschine kann eben nur das tun, wofür sie vorbereitet wurde. Der Mensch ist unglaublich anpassungsfähig, er ist unglaublich universell, und vor allem hat er eine Eigenschaft, die sich durch Maschinen schwer darstellen lässt, das ist Intuition. Allein aufgrund des Wissens, das Sie in der Zeit Ihres Lebens gesammelt haben, während ihrer Schulausbildung, während Ihres Studiums, das vielleicht ursprünglich gar nicht als relevant erschien, und plötzlich kommen Sie in eine Situation und sagen, das ist doch so ähnlich wie… – und dann wenden Sie das an."

Weiter per Anhalter in die Galaxis?

Der Raumtransporter ATV im Weltall (Foto: ESA-D.Ducros)
Das ATV startet an der Spitze einer Ariane-V-Rakete ins All und kann die ISS mit 7,5 Tonnen Nachschub versorgenBild: ESA

Bei seinen beiden Reisen 1995 und 2006 ist Thomas Reiter sozusagen "per Anhalter" ins All mitgeflogen; erst bei den Russen, dann bei den Amerikanern. Denn Europa hat kein eigenes Trägersystem für bemannte Missionen. Zwar flog 2008 das neue europäische Versorgungs-Raumschiff, das Automated Transfer Vehicle (ATV) erfolgreich zur ISS. Aber bislang ist das ATV als Wegwerfartikel konzipiert, es verglüht beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre. Reiter plädiert für eine Weiterentwicklung zum bemannten Raumschiff - mit Rückkehr-Option, versteht sich: "Das ATV besteht aus einem Satelliten, der die gesamte Navigation und den Antrieb macht; und einem Nutzlastteil. Und statt dieses Nutzlastteils könnten wir jetzt eine Kapsel entwickeln und dort oben drauf setzen. Also wir müssen hier nicht bei Null anfangen, und ich denke, dass das ein wichtiger Schritt wäre, für Europa, um sich in internationalen Programmen auf Augenhöhe mit den großen Raumfahrtnationen wie USA, wie Russland, und in Zukunft China und Indien zu begeben."

Mond-Mission 'Made in Germany'?

Thomas Reiter und Angela Merkel (Foto: AP Photo/Joerg Sarbach)
Thomas Reiter im Gespräch mit Bundeskanzlerin Angela Merkel vor einem Modell des europäischen Weltraumlabors ColumbusBild: AP

Gebaut wird das ATV in Bremen: Deutschland ist in Sachen Weltraumtechnologie durchaus zu Spitzenleistungen fähig. Ob es aber die lang diskutierte "deutsche Mondmission" geben wird; mit einer unbemannten Sonde, die den Erdtrabanten entweder umkreist oder mehr oder weniger sanft auf ihm landet, das wissen momentan nur noch die Haushaltspolitiker in Berlin. Reiter wäre nach wie vor dafür: "Das könnten wir in der Tat national machen, und zwar mit dem Hintergrund, dass wir uns dadurch natürlich für eine bestimmte Rolle auf europäischer Ebene bzw. auf internationaler Ebene empfehlen und natürlich wissenschaftliche Beiträge leisten. Also es hat neben den rein wissenschaftlichen Erkenntnissen auch immer den Aspekt zu zeigen, ja, wir beherrschen diese Technologie, es ist ein Gütesiegel für unsere Industrie insgesamt, für unsere industrielle Leistungsfähigkeit insgesamt. Und was man in der Lage ist, im nationalen Rahmen zu demonstrieren, das kann dann natürlich im europäischen Kontext genutzt werden."

Trotz Finanzkrise und knapper Kassen: Für einen Industriestaat wie Deutschland ist Kontinuität in der Raumfahrtpolitik wichtig, meint Reiter. Zumal jedes Weltraumprogramm gleichzeitig auch ein Konjunkturprogramm ist: Denn die Gelder für die Weltraumforschung werden ja nicht ins All geblasen, sondern hier auf Erden ausgegeben.

Autor: Michael Gessat

Redaktion: Martin Schrader