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Europas Medien mögen Merkel

Kersten Knipp2. September 2015

Der deutsche Umgang mit der Flüchtlingskrise kommt in den europäischen Medien gut an. Kritik äußern nur wenige. Die meisten verstehen auch Deutschlands größtes Problem: Es stößt absehbar an seine Grenzen.

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Angela Merkel am Tag der offenen Tür 2015 im Bundeskanzleramt, 30.08.2015 (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa/K. Nietfeld

Ist Angela Merkel eine Visionärin? Die britische Zeitung "The Guardian" sieht es so, fast jedenfalls. Eine weitsichtige Sprache sieht das Blatt bei kaum einem der proeuropäischen Politiker. Mit sehr gutem Beispiel gehe aber Angela Merkel voran. "Die deutsche Kanzlerin hat die Führungsrolle in einer Frage übernommen, die viel zu lange für nichts als Streit unter den EU-Mitgliedsstaaten gesorgt und all jenen Populisten Schwung gegeben hat, die ihre Länder vom Rest der Welt abschotten wollen."

Auch "Le Monde" aus Paris ist voll des Lobes für die deutsche Haltung. "Deutschland gibt ein Beispiel – und zwar ein gutes Beispiel", schreibt das Blatt. Angesichts der vielen Flüchtlinge habe Kanzlerin Merkel den besten Ausdruck überhaupt gefunden: Sie habe von "universellen zivilen Werten" gesprochen und dann an die gemeinsame europäische Solidarität appelliert. Zusammen mit Paris trete Berlin auf diese Weise für das einzig Richtige ein. Die Flüchtlingsbewegungen würden noch eine ganze Weile anhalten. "Diejenigen, die das Gegenteil behaupten und für nationale Abschottung plädieren, sprechen sich, mit welchen Gründen auch immer, für gefährliche Illusionen aus."

Flüchtlinge betreten in Kos griechischen Boden, 15.08.2015 (Foto: AFP / Getty Images)
Angekommen: Flüchtlinge betreten in Kos griechischen BodenBild: Getty Images/AFP/L. Gouliamaki

Sehnsuchtsraum Europa

Auch in der arabischen Presse kommt die deutsche Haltung gut an. Man habe dieser Tage zwei verschiedene Bilder von Deutschland gesehen, schreibt die in London erscheinende Zeitung "Al araby al-jadeed": das der Fremdenfeinde, die Flüchtlingsheime anzündeten, und das einer großherzigen Willkommenskultur. "Länder wie Deutschland verstehen den Schmerz, den die Menschen erduldet haben, und sie haben darauf auf die bestmögliche Art reagiert – indem sie sie in ihrem Heimatland willkommen hießen."

Ähnlich sieht es, ohne Bezug auf Deutschland zu nehmen, auch die spanische Zeitung "El País". Europa, schreibt das Blatt, sei heute ein Raum des Friedens, der Freiheit und der Sicherheit, nach dem sich Millionen Menschen sehnten. "Anstatt dies aber als Gelegenheit zu nehmen, Europa zu stärken, schwächen wir es mit pathetisch aufgeladenen inneren Streitigkeiten, säen wir Zweifel unter den Bürgern und verleihen den Fremdenfeinden Flügel, die weniger Europa, mehr nationale Grenzen und weniger Fremde wollen."

Doch die Großzügigkeit bringe Deutschland auch in Schwierigkeiten, räumt der britische "Daily Telegraph" ein. "Wenig überraschend beklagen sich die Deutschen nun darüber, dass man von ihnen verlangt, zu viele Migranten aufzunehmen – Migranten, die durch andere Länder zu ihnen gekommen sind. Die Forderungen, die Last zu teilen, nehmen in dem Maß zu, in dem die Zahlen steigen." Aber was, fragt das Blatt, sollte man tun? Im Handumdrehen seien die Fluchtursachen nicht zu bewältigen. "Und solange das der Fall ist, sollten jene, die verlangen, Europa solle viele der Millionen Vertriebenen aufnehmen, erklären, welche Syrer wir aufnehmen sollen, wie viele und nach welchen Prinzipien wir sie auswählen."

Zwischenstopp: Junge Flüchtlinge am Eurotunnel in Calais, 31.07.2015 (Foto: Reuters)
Zwischenstopp: Junge Flüchtlinge am Eurotunnel in CalaisBild: Reuters/P. Rossignol

Merkels neues Image

Latentes Unbehagen äußert die italienische Zeitung "La Repubblica". Sie staunt über das, was sie als Merkels Verwandlungsfähigkeit versteht. Ist das dieselbe Angela Merkel, die in der Griechenland-Krise einen für viele EU-Länder schockierend harten Kurs gefahren ist?", fragt das Blatt voller Verwunderung. Das Bild Angela Merkels habe sich binnen kürzester Zeit verändert. "Man wirft ihr keinen strengen Charakter mehr vor, sondern ein allzu weiches Herz." Das "allzu" weiche Herz sei nun auch der Vorwurf von Merkels Gegnern: "Im europäischen Parlament beschuldigt der Vertreter der am wenigsten demokratischen Regierung der Union, der ungarischen, Merkel, sie sei für das Chaos am Hauptbahnhof von Budapest verantwortlich, wo die Polizei versucht, die nach Deutschland strebenden Flüchtlinge in Schach zu halten."

Flüchtlinge am Hauptbahnhof Budapest (Foto: DW)
Unmut in Ungarn: Syrische Flüchtlinge am Hauptbahnhof BudapestBild: DW/L. Scholtyssyk

Kritik aus Ungarn

Diesen Vorwürfen schließt sich in verhaltener Form auch das ungarische Internetmagazin "Index" an. Die Ungarn, schreibt es, stellten sich derzeit vor allem eine Frage: Wenn die Flüchtlinge in Österreich und Deutschland mit offenen Armen erwartet werden - warum sollten sie sie dann nicht ziehen lassen? Deutschland habe den Flüchtlingen signalisiert, sie sollten künftig nicht mehr in jene EU-Länder überstellt werden, in denen sie zuerst registriert wurden. "Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge wendet die Dublin-Vereinbarung im Fall der syrischen Flüchtlinge nicht mehr an." Wer, fragt "Index", ist darum wohl für das Chaos und die Verzweiflung unter den Flüchtlingen in Budapest verantwortlich?

Die Flüchtlingskrise wird Europa psychologisch herausfordern, erwartet die griechische Zeitung "Kathimerini". "Es ist ein großes Problem, dass die anhaltende Krise in den Menschen die schlimmsten Instinkte weckt. In Ungarn, Großbritannien und anderswo ist der Nationalismus auf dem Vormarsch. Europas Politik der offenen Grenzen wird in Zweifel gezogen. Wird der alte Kontinent diesem Druck widerstehen können?" Es sei schwer zu sagen, meint "Kathimerini". Doch es gebe Grund zum Optimismus. "Die deutsche Kanzlerin zeigt dankenswerterweise einen sehr verantwortlichen Umgang mit der Krise." Über den Umweg über Syrien, scheint es, kehrt Deutschland in die Herzen der Europäer zurück.

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