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Chance für Europa

Das Interview führte Anna Kuhn-Osius5. November 2008

Obama wird als neuer US-Präsident das Image Amerikas in der Welt verbessern, sagt der Präsident des amerikanischen Atlantik-Rates, Fred Kempe im Gespräch mit DW-WORLD.DE.

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Fred Kempe, Präsident des Atlantikrates der Vereinigten Staaten von Amerika, Quelle: dpa
Fred Kempe, Präsident des Atlantikrates der Vereinigten Staaten von AmerikaBild: picture-alliance/ dpa

DW-WORLD.DE: Was bedeutet der Wahlsieg von Barack Obama?

Kempe: Was wir zurzeit in den USA erleben, ist ein historischer Moment: Zum ersten Mal in der Geschichte weltweit hat ein Land mit einer weißen Bevölkerungsmehrheit einen Vertreter einer farbigen Minderheit zum Präsidenten gewählt. Das gab es noch nie. Die Wahl von Obama ist ein Zeichen von uns an die Welt, dass Amerika sich ändern kann. Wir haben uns selber und der Welt gezeigt, dass die Amerikaner immer noch die große Kapazität haben, sich selbst neu zu erfinden.

Was sind jetzt die wichtigsten Aufgaben und Herausforderungen, die Obama als erstes angehen muss?

Als erstes muss Obama sofort anfangen, den amerikanischen Ruf, unser Image in der Welt zu verbessern. Das ist strategisch äußerst wichtig, denn für jede Außenpolitik müssen wir Partner gewinnen und auch die Bevölkerung dieser Partner. Zweitens belastet uns die Finanzkrise. Und auch da muss Obama sofort reagieren, noch vor seiner Vereidigung. Ich denke, er wird schon in den nächsten Tagen seinen neuen Finanzminister benennen. Vielleicht arbeitet er dann sogar schon vor dem internationalen Treffen der Staats- und Regierungschefs am 15. November eng mit Bush-Regierung zusammen, um gemeinsame Lösungen zu finden.

Wird die Politik Obamas denn überhaupt so anders sein als die Bush-Politik?

Obama wird inhaltlich in einigen Bereichen eine ganz ähnliche Politik machen wie George W. Bush, vor allem außenpolitisch. Aber er wird diese Politik klüger verkaufen. Und dadurch kann er auch viel besser die Bevölkerung der Partnerländer für diese Politik gewinnen - von Deutschland und Frankreich, bis hin nach Afrika. Obama will und muss multilateral arbeiten. Am wichtigsten ist jetzt eine enge Vernetzung mit Europa. Dazu wird er spätestens im April zum Nato-Gipfel nach Europa reisen

Aber zwischen den USA und Europa gibt es nach wie vor viele außenpolitische Konflikte, von der Diskussion um die Zukunft der NATO bis hin zur Debatte um zusätzliche Truppen in Afghanistan. Wird Obama diese Konflikte so schnell lösen können?

Nein, aber die Atmosphäre wird sich ändern. Und Europa muss diese Chance nutzen. Viele Europäer müssen jetzt erst einmal anfangen, ihre Vorurteile gegen die USA zu revidieren. Durch Obama haben wir eine völlig neue Chance auf Zusammenarbeit. Die europäischen Regierungschefs werden es bei Obama schwer haben, "Nein“ zu sagen, wenn er sie bittet, sich stärker in Afghanistan zu engagieren.

Warum?

Obama wird geschickter sein, man hört das in seiner Eloquenz, man merkt das an seinem Verständnis für die Welt. Er wird erkennen, dass Merkel sich auch innenpolitisch rechtfertigten muss, wenn sie mehr Soldaten nach Afghanistan schickt – und dass manche Dinge eben nicht machbar sind. Aber Deutschland könnte sich auf andere Weise engagieren, Afghanistan wirtschaftlich unterstützten oder im Kampf gegen Drogen helfen. Das ist die Kunst der Allianz: Jeder hilft nach seinen Möglichkeiten. Und das zu koordinieren, wird Obama viel geschickter machen.

Und wenn es misslingt, die Partner zu überzeugen? Werden wir dann ein anderes Gesicht Obamas erleben, eine unilaterale Politik wie unter Bush?

Obama weiß, dass Amerika an Einfluss in der Welt verliert und dass er Partner braucht, um in der Welt etwas zu bewegen. Deswegen wird er immer zuerst versuchen, mit Partnern zu arbeiten. Die Frage ist: Will Europa dieser Partner sein? Und wenn sich Europa darauf nicht einlässt und sich nicht weiter engagiert in Afghanistan und anderen Konfliktherden der Welt, dann werden wir in einem Jahr zurück schauen und feststellen, dass wir eine historische Chance in den transatlantischen Beziehungen verpasst haben. Also auch die Europäer müssen diese Chance jetzt ergreifen!

Wie sieht diese Chance konkret aus?

Ich glaube, es könnte in den nächsten Woche und Monaten etwas sehr wichtiges passieren in der Beziehung zwischen Europa und Amerika. Vielleicht ein neues Forum oder eine neue Allianz. Es ist die Zeit, neu über die Probleme und ihre Lösungsmöglichkeiten zu reden – und vielleicht auch neue Institutionen zu schaffen. Wir haben jetzt eine große Chance, der Welt zu zeigen, dass wir nicht nur eine militärische Supermacht sind, ein wirtschaftliche Supermacht, sondern dass wir auch wieder eine moralische Supermacht sind und eine Supermacht der Ideen.