Schwere Asche aus Island
24. Mai 2011Für das, was man gemeinhin Traumwetter nennt, braucht es in Island zu dieser Jahreszeit nicht nur strahlend blauen Himmel, sondern vor allem Windstille. Dass Ruhe herrscht, es eben nicht aus allen Löchern pfeift, keine Schaumkronen an der Atlantikküste zu sehen sind und die Haare nicht vom Wind völlig zerzaust werden. Macht der Wind eine Pause, dann verbreitet sich auf der nordatlantischen Insel so etwas wie südländisches Flair. Selbst bei Temperaturen um die 12 Grad.
Ebensolche Verhältnisse herrschten am Samstagabend (21.05.2011), als in den Nachrichten die ersten Meldungen über den Vulkanausbruch im Südosten des Landes liefen. Nun also der Grímsvötn, ein gutes Jahr, nachdem der Vulkan mit dem sperrigen Namen Eyjafjallajökull weltbekannt wurde.
Isländer reagieren auf solche Nachrichten gelassen, sie leben schließlich auf einem Hot Spot. Vulkanausbrüche gehören zu einem isländischen Leben eben einfach dazu, auch wenn jeder Ausbruch anders ist und andere Herausforderungen mit sich bringt.
Windstille ist für Island problematisch
An diesem Samstagabend, an dem der Wind still steht, wird ausgerechnet die Flaute zum Problem der Menschen in unmittelbarer Nähe des Vulkans. Dieser spuckt in den ersten 12 Stunden bis zu 20.000 Tonnen Asche pro Sekunde (!) in die Luft. Satellitenbilder zeigen, wie explosionsartig sich die Rauchwolke bildet. 20 km hoch ist die Säule aus Asche und Wasserdampf. Das ist auch für Isländer keine gewöhnliche Eruption, das hat man hier seit mehr als 60 Jahren nicht mehr in dieser Dimension gehabt. In den ersten Stunden wird der Ausbruch durch außergewöhnlich viele Blitze und Donner begleitet, immer wieder entlädt sich Spannung in der Rauchwolke.
Was Grímsvötn ausspuckt, kommt aus der Tiefe des Vulkansystems. Die Asche ist grober und schwerer als die von Eyjafjallajökull und wird deshalb nicht in dem Ausmaß in die Atmosphäre getragen wie noch vor 14 Monaten. Die Asche geht als dichter Staub in der näheren Umgebung nieder.
Die Landwirte an der Südküste müssen in Windeseile ihr Vieh zusammentreiben. Viele Lämmer sind gerade erst auf die Welt gekommen, hüpfen über die Wiesen. Sie genießen in Island große Freiheit, entfernen sich oft Kilometer weit von den Höfen. In solchen Momenten ist es schwer, sie zu finden. Die Bauern wissen genau, das Vieh, das sie jetzt nicht einfangen, wird wohl verenden.
Finsternis im Süden
In der Nacht von Samstag auf Sonntag ist innerhalb weniger Stunden so viel Asche an der Südküste niedergegangen, dass es dort finster geworden ist. So finster als befände man sich im tiefsten Winter und nicht in der hellsten Jahreszeit. Die Menschen können die Hände vor den Augen nicht mehr sehen. Ohne Atemschutzmaske und Schutzbrille ist der Gang nach draußen unmöglich geworden. Die Asche brennt sofort in den Augen und setzt sich in der Lunge ab. Wer versucht, mit dem Auto zu entkommen, kann maximal Schritttempo fahren. Es ist wie ein Blindflug, die Sicht reicht nicht einmal um die Reflektoren an den gelben Begrenzungsmarkierungen in Abständen von 25 Metern zu erkennen.
Keine großen Schäden
Trotz der widrigen Bedingungen ist bis jetzt noch kein Mensch zu Schaden gekommen. Die Isländer sind bestens vorbereitet auf solche Situationen. Und dennoch: einem Bauern stehen Tränen in den Augen, weil er nicht alle seine Tiere retten konnte.
Immerhin müssen die Ortschaften nicht evakuiert werden. Es werden keine Überflutungen aufgrund von Schmelzwasser erwartet. Die Landwirte können wenigstens bei ihrem geretteten Vieh bleiben, sollen aber Fenster und Türen geschlossen halten.
Auch in der 300 km entfernten Hauptstadt Reykjavík ist es ruhig. Das Leben geht hier einigermaßen normal weiter. Der Wind hat bisher nur eine kleine Staubschicht hierher getragen. Im Fernsehen werden die Menschen durch Sondersendungen auf dem Laufenden gehalten. Gewöhnlich beginnt das Programm des öffentlich-rechtlichen Fernsehens erst am späten Nachmittag, jetzt ist man schon mittags auf Sendung.
Der Luftraum wird in Island gesperrt, nur noch Kleinflugzeuge dürfen starten. In Europa schaut man gebannt auf die neue Aschewolke, vielen ist das Verkehrschaos vor 14 Monaten noch gut in Erinnerung als wegen des Eyjafjallajökulls wochenlang der Luftverkehr beeinträchtigt war und zeitweise ganz zum Erliegen kam. Dieses Mal wird es nicht so schlimm, sagt Magnús Tumi Guðmundsson, einer der führenden Geologen des Landes. Ihn erreichte die Nachricht von dem Ausbruch, als er gerade seinen 50. Geburtstag feierte. Vulkane lassen ihn irgendwie nicht los.
Kein gemütlicher Touristen-Vulkan
Etwas liegt dem Geologen auf dem Herzen: Dieser Ausbruch sei kein "Touristen-Vulkanausbruch", betont er. Zum einen, weil Grímsvötn weiter im Inland liegt, inmitten von Europas größtem Gletscher Vatnajökull. Diese Gegend erreicht man nicht so einfach wie den Eyjafjallajökull. Der liegt im Vergleich dazu fast an der Straße. Die Straßen sind ohnehin gesperrt, Neugierige sollen die Arbeiten der Sicherheitskräfte nicht behindern. Zum anderen sind die Eruptionen von Grímsvötn von ungeheurer und gefährlicher Kraft. "Um die Dimensionen zu vergleichen: In den ersten eineinhalb Tagen hat dieser aktivste Vulkan Islands mehr Asche ausgespuckt als Eyjafjallajökull in den gesamten 40 Tagen", sagt Magnús Tumi Guðmundsson im Gespräch mit DW-World. Auch nachdem die Intensität nachgelassen hat und nur noch etwa 2000 Tonnen Asche in die Luft geschleudert werden, ist das immer noch mehr als zu Spitzenzeiten von Eyjafjallajökull.
Wie viel Schaden noch für den internationalen Luftverkehr entstehen wird, hängt im wesentlichen von zwei Faktoren ab: Wie lange die Eruptionen anhalten werden und wie der Wind sich weiter entwickelt. Für die kommenden Tage ist starker Wind Richtung Europa vorhergesagt. Damit ist klar: Es wird zu weiteren Beeinträchtigungen des internationalen Luftverkehrs kommen. Und nicht nur US-Präsident Barack Obama oder die spanische Fußballmannschaft FC Barcelona haben darauf bereits reagiert. Auch viele Fluggäste in Europa werden wachsam den Verlauf der Aschewolke verfolgen. Es ist jetzt alles eine Frage des Windes.
Autorin: Jessica Sturmberg (Reykjavik)
Redaktion: Bernd Riegert / Martin Schrader