Erneute Journalistenmorde in Mexiko
25. Januar 20222019 hatte Lourdes Maldonado Mexikos Präsidenten noch direkt um Schutz gebeten: "Ich fürchte um mein Leben", sagte die 49-Jährige auf einer Pressekonferenz. Am 24. Januar 2022 wurde sie in ihrem Wagen in der nordmexikanischen Stadt Tijuana erschossen. Zuvor hatte Maldonado einen langjährigen Streit mit ihrem Arbeitgeber gewonnen: Sie hatte für das Medienunternehmen PSN gearbeitet, das dem mächtigen Regionalpolitiker Jaime Bonilla Valdez gehörte - und war gegen ihre Entlassung vor Gericht gegangen. Erst eine Woche vor dem Mord hatte das Gericht den Sender zu einer Schadenersatz-Zahlung verurteilt. Zwar gibt es keine belastbaren Hinweise dafür, dass die tödlichen Schüsse etwas mit dem Gerichtsurteil zu tun haben - dennoch hat der brutale Mord ganz Mexiko aufgeschreckt. Auch, weil es schon der dritte in Mexiko diesem erst gut vier Wochen alten Jahr ist - zwei davon geschahen in Tijuana.
Tod in Tijuana
Vor gut einem Monat bereits hatte der mexikanische Fotojournalist Margarito Martínez Esquivel erste Drohungen auf Facebook erhalten. Er wurde fälschlicherweise beschuldigt, eine Reihe von obskuren Seiten zu betreiben, die Klatsch und Tratsch über die Unterwelt des Drogenhandels in Tijuana verbreiteten. Martínez Esquivel, 49, war ein mutiger, erfahrener Journalist, der sich mit der Sicherheitslage in Mexiko auskannte. Er kannte den Drogenhandel aus nächster Nähe und war sich der Gefahr bewusst, die solche Anschuldigungen mit sich brachten.
Er kontaktierte sofort seine Kollegen des Journalisten-Netzwerks #YoSiSiSoyPeriodista, die am 13. Dezember 2021 eine Klarstellung veröffentlichten, dass Martínez Esquivel nichts mit diesen Seiten zu tun habe. Sie verwiesen den Fall auch an das staatliche Schutzprogramm für Journalisten und Menschenrechtler, eine Regierungsstelle, die während der Eskalation des Drogenkriegs im Jahr 2012 auf Druck der Journalisten und internationaler Menschenrechtsorganisationen eingerichtet wurde.
Am 17. Januar verließ Martínez Esquivel gegen Mittag sein Haus in Tijuana, um in sein Auto zu steigen, als plötzlich Schüsse ertönten. Als seine Frau Elena und seine 16-jährige Tochter alarmiert auf die Straße kamen, lag er bereits von mehreren Kugeln tödlich getroffen neben seinem Auto. Seine Ermordung erschütterte das ganze Land. Er war weit über die Grenzen von Mexiko-Stadt hinaus bekannt und bei seinen Kollegen sehr beliebt. Er hatte zwei Jahrzehnte lang für große nationale Medien wie die Wochenzeitung Zeta und La Jornada gearbeitet und war als Fixer für internationale Kunden wie den britischen Sender BBC und die Los Angeles Times tätig.
Hypothesen fernab von journalistischen Motiven
"Es ist noch zu früh, um etwas zu den Umständen der Morde und zu möglichen Fehlern des Schutzprogrammes zu sagen", erklärt Pedro Cárdenas von "Artículo 19", einer unabhängigen Organisation, die für freie Meinungsäußerung in Mexiko und Mittelamerika eintritt. "Aber der Schutz von Journalisten erfordert eine umfassende Politik, die nicht nur auf Bedrohungen reagiert, sondern auch an der Prävention arbeitet."
Bereits am 10. Januar war José Luis Gamboa, der Betreiber der Website 'Inforegio de Veracruz', erstochen worden. Offiziell vermuten die Behörden einen Raubüberfall. Im Fall von Martínez Esquivel gehen sie von einem Nachbarschaftsstreit aus. Bei Lourdes Maldonado gilt das Mordmotiv noch als unklar. Die Verbreitung von Hypothesen ohne Grundlage oder Beweise in den ersten Stunden nach einem Mord ist eine übliche Vorgehensweise der mexikanischen Ermittlungsbehörden. Dies wird von Menschenrechtsorganisationen zunehmend kritisiert.
"Das ist eine besorgniserregende Praxis, denn die Ermittlungen können von Anfang an in die falsche Richtung gelenkt werden", sagt Cárdenas. "Wir fordern, dass die Behörden das Standardprotokoll anwenden, das vorsieht, dass sie die journalistische Arbeit der Opfer als eines der möglichen Mordmotive untersuchen." Im Fall von Martinez Esquivel erklärte Miguel Mora, Leiter der Menschenrechtskommission des Bundesstaates Baja California, dass es "unbedingt notwendig ist, den Fall zügig zu bearbeiten, da jeder Angriff auf Journalisten einen Angriff auf die Meinungsfreiheit und das Recht der Gesellschaft auf Information darstellt".
AMLO weicht aus
Insgesamt wurden seit 2018, also seit Amtsantritt des aktuellen Präsidenten Andrés Manuel López Obrador (AMLO), 33 Journalisten ermordet, wie das Büro des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschrechte mitteilte. Am Dienstag (18.1.2022) hatte sich die Rundfunkjournalistin Adriana Flores während der morgendlichen Pressekonferenz des Präsidenten über die Unsicherheit, unter der die Journalisten im ganzen Lande litten, beschwert und ihn gefragt, welche Garantien die Regierung für die Pressefreiheit geben könne.
Der Präsident vermied eine direkte Antwort: "Unsere Gegner nutzen alles aus, um uns anzugreifen, aber in Wirklichkeit sind sie nicht ernsthaft besorgt über den Verlust von Menschenleben", so Lopez Obrador. Er fügte hinzu, dass Straffreiheit in seiner Regierung nicht toleriert werde. Die Frage des Schutzes für gefährdete Journalisten werde aber zu einem späteren Zeitpunkt in einem Sonderbericht über Aspekte der inneren Sicherheit behandelt.
Nach Angaben der UNESCO ist Mexiko nach Syrien das Land mit den zweitmeisten Todesopfern unter Journalisten. Rund 86 Prozent aller Journalistenmorde seit 2006 blieben bis heute ungesühnt.
Dieser Artikel wurde erstmals am 19.01.2022 veröffentlicht und zuletzt am 25.01.2022 aktualisiert.