Erdogans Doppelstrategie
14. Juni 2013Es ist das erste direkte Gespräch mit dem islamisch-konservativen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan seit Ausbruch der regierungskritischen Proteste vor zwei Wochen. Erdogan wiederholte dabei seine Bereitschaft für ein Referendum zur umstrittenen Umgestaltung des Istanbuler Gezi-Parks. "Wir wollen wissen, was die Bürger Istanbuls denken, ihre Entscheidung ist sehr wichtig für uns", wurde Regierungssprecher Hüseyin Celik nach dem Gespräch in Ankara zitiert. Und: Der symbolträchtige Park im Herzen der Millionenmetropole werde vorerst nicht angerührt. Die Regierung wolle nunmehr die endgültige Entscheidung des Gerichts abwarten, das die Bauarbeiten auf dem Gezi-Platz gestoppt hatte.
Zuckerbrot und Peitsche?
Erdogan hatte bereits Mitte der Woche bei einem Treffen mit Kritikern ein Referendum über das Bauprojekt angeregt. Die Bevölkerung in Istanbul solle darüber abstimmen. Sein Vorschlag, das Volk über das Bauprojekt im Gezi-Park entscheiden zu lassen, stieß im Protestlager jedoch auf Ablehnung.
Demonstranten sagten, ein Referendum könne den Streit um Grundrechte und persönliche Freiheiten nicht lösen. Andere Mitglieder der Protestbewegung äußerten die Befürchtung, der seit zehn Jahren amtierende rechts-religiöse Regierungschef könne bei einer solchen Abstimmung den ganzen Apparat seiner Regierungspartei AKP mobilisieren.
Der Vorschlag eines Referendums und die Gespräche mit den Anführern der Protestbewegung sind dabei nur ein Teil der Strategie, die Erdogan verfolgt. Gleichzeitig hält der Regierungschef an seiner harten Linie fest. So ging die Polizei auch in der Nacht zum Freitag mit Gewalt gegen Demonstranten in der Hauptstadt Ankara vor.
Unmittelbar vor dem jüngsten Treffen mit Vertretern der "Taksim-Plattform" hatte Erdogan seine Warnungen wiederholt und gefordert, die Protestierer sollten das Zeltlager der Bewegung im Istanbuler Gezi-Park räumen. Seine Geduld sei zu Ende.
"Holt eure Jugendlichen ab"
Die Polizei werde dort gegen Mitglieder von Organisationen vorgehen, die illegal seien. "Ich warne zum letzten Mal: Mütter, Väter, bitte holt eure Kinder ab", zitierten türkische Medien den Regierungschef.
Die landesweite Protestwelle in der Türkei hatte sich vor zwei Wochen an der brutalen Räumung eines Protestlagers im Gezi-Park entzündet. Die Regierung plant dort den Nachbau einer osmanischen Kaserne, in der es Wohnungen, Geschäfte oder ein Museum geben soll.
Inzwischen richten sich die Demonstrationen aber vor allem gegen Erdogans autoritären Regierungsstil und den massiven Polizeinsatz. Seit Beginn der Proteste soll es dabei vier Tote gegeben haben, Ärzteorganisationen in der Türkei sprechen zudem von etwa 5000 Menschen, die bei den Protesten verletzt wurden.
Strategiewechsel der Polizei? - Fehlanzeige
Mehr Behutsamkeit der Polizei gegenüber den Demonstranten ist bislang kaum zu erkennen. So waren die Beamten auf dem zentralen Istanbuler Taksim-Platz zuletzt mit mindestens acht Wasserwerfern präsent und die Regierung drohte wiederholt ein hartes Vorgehen der Einsatzkräfte an.
Außenminister Ahmut Davutoglu gab gleichzeitig verbale Breitseiten gegen Kritik aus der Europäischen Union und anderen Staaten ab. "Die Türkei muss sich keine Lektionen erteilen lassen von Staaten oder Staatengruppen", sagte er. In der EU wird unter anderem diskutiert, ob die Unruhen in der Türkei Auswirkungen auf die schleppenden Beitrittsgespräche mit der Regierung in Ankara haben könnten.
haz/sc (dpa,rtr, afp)