Wer im EM-Finale im Vorteil ist
9. Juli 2021Die Statistik spricht für ein enges Duell. 27 Mal standen sich Italien und England gegenüber, zehnmal gewann Italien, achtmal England, zudem gab es neun Unentschieden. Die letzten beiden Länderspiele endeten 2015 und 2018 jeweils 1:1. Bei Europameisterschaften standen sich die Teams bisher zweimal gegenüber, beide Male siegte Italien: 1980 in der Gruppenphase (1:0) und 2012 im Viertelfinale (4:2 im Elfmeterschießen).
Welche Faktoren könnten das Finale der Europameisterschaft 2021 am Sonntag in Wembley entscheiden?
Vorteil England: die Fans
Eigentlich ist diese paneuropäische Europameisterschaft in elf Staaten eine Heim-EM der Engländer. Fünf der sechs bisherigen Spiele bestritten die "Three Lions" im Wembleystadion in London. Lediglich zum Viertelfinale mussten sie nach Rom reisen.
Wegen der coronabedingten Einreisebeschränkungen nach Großbritannien ist klar, dass die überwiegende Zahl der rund 60.000 Zuschauer im Finale Fans der englischen Mannschaft sein werden. Wie schon im Halbfinale gegen Dänemark werden sie mit ihren Gesängen und Anfeuerungsrufen für Gänsehaut-Atmosphäre sorgen und ihr Team lautstark nach vorne peitschen.
Vorteil Italien: der Zusammenhalt
Italiens Nationaltrainer Roberto Mancini ist es gelungen, das Team zu einer verschworenen Einheit zusammenzuschweißen. Das zeigt sich schon vor jedem Spiel: Keine Mannschaft singt mit so viel Inbrunst die Nationalhymne wie die Italiener. Und auch danach demonstrieren die Spieler um den charismatischen Kapitän Giorgio Chiellini in jeder Situation, dass sie zusammenhalten wie Pech und Schwefel.
Seitdem im Viertelfinale gegen Belgien der bis dahin überragende Linksverteidiger Leonardo Spinazzola wegen eines Achillessehnenrisses ausfiel, nutzen sie jede Gelegenheit, um ihm und der Welt zu zeigen: "Du bist einer von uns. Wir gewinnen auch für dich, Spina!" Spinazzola wird am Sonntag als Zuschauer im Wembleystadion mit dabei sein.
Vorteil England: das Sturmduo Sterling/Kane
Raheem Sterling spielt eine überragende Europameisterschaft. Der 26 Jahre alte Außenstürmer mit dem schnellen Antritt ist kaum zu halten und hat bisher jede gegnerische Defensive gründlich durcheinandergewirbelt, inklusive der deutschen Abwehr im Achtelfinale. Dreimal hat Sterling bisher getroffen. Im Halbfinale gegen Dänemark holte er in der Verlängerung den umstrittenen Elfmeter heraus, der England ins Finale brachte: Harry Kane traf im Nachschuss. Für den 27 Jahre alten Kapitän des englischen Teams war es der vierte EM-Treffer. Allesamt erzielte Kane sie in den K.o.-Spielen. Der Torschützenkönig der WM 2018 ist also rechtzeitig in Topform gekommen.
Vorteil Italien: Torwart Donnarumma
Bereits mit 17 Jahren gab Gianluigi Donnarumma sein Debüt in der Squadra Azzurra, mit 19 war er die Nummer eins. Jetzt mit 22 ist der 1,96 Meter große Torwart ein sicherer Rückhalt für das Team von Trainer Roberto Mancini. Donnarumma gilt als reaktionsstark und ruhig - und er ist ein echter Elfmeterkiller. In den vergangenen fünf Jahren parierte der Torwart des AC Mailand, der jetzt zu Paris St. Germain wechseln wird, in der italienischen Liga im Schnitt jeden dritten Strafstoß. Im Elfmeterschießen im EM-Halbfinale gegen Spanien sorgte er für die Vorentscheidung, als er den Schuss von Alvaro Morata entschärfte. Sollte auch im Finale nach 120 Minuten noch kein Sieger feststehen, könnte Donnarumma zum Matchwinner werden.
Vorteil England: der Titelhunger
Selbstverständlich will jede Mannschaft, die ein Endspiel eines großen Turniers erreicht, auch den Titel holen. Doch wohl kaum irgendwo sonst dürfte der Hunger danach so groß sein wie im Mutterland des Fußballs. Seit nun schon 55 Jahren, seit dem Triumph bei der Heim-WM 1966, wartet England auf einen Erfolg bei einem großen Turnier. Bereits der erstmalige Einzug in ein EM-Finale sorgte auf der Insel für eine Rieseneuphorie - von der sich auch Boris Johnson anstecken ließ. "Lasst uns das Ding nach Hause holen", twitterte der Premierminister.
Vorteil Italien: Finalerfahrung und die Serie
Im Gegensatz zu den Engländern sind die Italiener mit allen Final-Wassern gewaschen. Bei Weltmeisterschaften erreichten italienische Teams sechsmal das Endspiel, viermal triumphierte die Squadra Azzurra. Das Spiel am Sonntag im Wembleystadion wird für die Italiener das vierte EM-Finale. 1968 holten sie den Pokal, im Jahr 2000 gegen Frankreich und 2012 gegen Spanien zogen sie den Kürzeren. Der letzte große Titel für Italien liegt mittlerweile allerdings auch schon 15 Jahre zurück: der WM-Triumph 2006 in Deutschland. Beeindruckend ist die Erfolgsserie der aktuellen Mannschaft: Seit 33 Spielen ist sie ungeschlagen, so lange wie noch kein anderes italienisches Nationalteam zuvor.