1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

"Ein Beitrag zur politischen Kultur"

13. Februar 2012

In Duisburg haben die Bürger ihren Oberbürgermeister, Adolf Sauerland, abgewählt. Ansgar Klein, Experte für Bürgerbeteiligung, spricht im DW-Interview über die Tragweite der Entscheidung.

https://p.dw.com/p/142IL
Ansgar Klein, Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement (Foto: Ansgar Klein)
Dr. Ansgar KleinBild: Privat

DW: Die Bürgerbewegung "Neuanfang für Duisburg" hat den Bewohnern der Stadt das Recht erkämpft, nach der Loveparade-Katastrophe 2010 ihren Oberbürgermeister abwählen zu dürfen – und hat damit Erfolg gehabt. Wird die Abwahl von Adolf Sauerland die Politiklandschaft in Deutschland verändern?

Ansgar Klein: Der Fall Sauerland wird anderen Bundesländern Rückenwind geben, auch dort die Möglichkeit zur Abwahl des Oberbürgermeisters in der Verfassung zu verankern. In manchen Bundesländern ist sie aber auch schon längst enthalten – und auch im Landesparlament von Nordrhein-Westfalen war sie bereits vor dem Fall Sauerland in der Diskussion. Die erfolgreiche Abwahl von Sauerland zeigt ganz offensichtlich: Zur Demokratie gehört nicht nur die Wahl von Repräsentanten, sondern bei besonderem Fehlverhalten auch die Möglichkeit zur Abwahl.

Wird das Beispiel Schule machen?

Wenn ein politischer Repräsentant in einem Maße Verantwortung nicht übernimmt, obwohl er sie laut Meinung des Souveräns hat, dann muss es auch die Möglichkeit geben, das durch eine Abwahl deutlich zu machen. Es gab ja doch eine beachtliche Beharrungshaltung des Oberbürgermeisters in seinem Amt und insofern ist das, glaube ich, schon ein Beitrag zur politischen Kultur, der zeigt, dass Verantwortungsträger in einer Demokratie unter besonderer Beobachtung stehen und bei Fehlverhalten mit ihrer Abwahl rechnen müssen.

Adolf Sauerland (Foto: dpa)
Abgewählt: Duisburgs Oberbürgermeister Adolf SauerlandBild: picture-alliance/dpa

Schaden denn Politiker, die förmlich an ihrem Amt zu kleben scheinen, wie etwa Sauerland oder auch Bundespräsident Christian Wulff, der politischen Kultur in Deutschland?

Ganz klar: Ja. In dem Moment, wo Repräsentanten aus offensichtlichen Interessen individuellen Wohlergehens an ihrem Sitz kleben, wird das Verantwortungsgefüge der repräsentativen Demokratie beschädigt. Wir erwarten von Repräsentanten, dass sie Verantwortung wahrnehmen. Ein Beispiel aus der Geschichte ist der Rücktritt von Bundeskanzler Willy Brandt, der zurücktrat, weil in seinem engsten Umfeld ein DDR-Spion installiert war. Er konnte gar nichts dafür und ist trotzdem zurückgetreten. Wer aber keine Verantwortung übernimmt, beschädigt politische Ämter. Und was Wulff angeht: Er hat zwar sein Amt tadellos geführt, wird aber von seiner Vergangenheit eingeholt, die mit seinem Amt in einem immer stärkeren Spannungsverhältnis steht.

Stuttgart 21, der Protest um den Frankfurter Flughafen, der "Wutbürger" als Wort des Jahres – geht der Trend in Deutschland hin zu mehr "Abstimmen mit den Füßen"?

Die Bürger haben heutzutage erkannt, dass es für sie möglich ist, ihre Meinung auch abseits von Wahlen kundzutun. Von Stuttgart 21 bis hin zum Fall Sauerland geht eine Botschaft durchs Land: Dinge werden nicht einfach übergangen. Auf ein Vergessen kann heute keiner mehr setzen. Andererseits muss man auch sehen, dass wir in einem Spannungsverhältnis leben: Die Wahlbeteiligung in Duisburg war nicht übermäßig hoch. Und bei Stuttgart 21 ist letztendlich eine Volksentscheidung für den Umbau des Bahnhofs getroffen worden. Der Begründungsaufwand auf Seiten der politisch Gewählten ist höher geworden. Das ist eine Anforderung an die politischen Strukturen, dass man verantwortlicher und transparenter mit Entscheidungen und ihren Folgen umzugehen hat.

Wie steht es um die Partizipation hierzulande? Sind die Deutschen typische "Mitmacher"?

23 Millionen Bürger sind auf verschiedenste Weise gesellschaftlich engagiert, noch mal genauso viele geben an, dass sie bereit wären, sich zu engagieren. Damit liegt Deutschland im europäischen Vergleich im oberen mittleren Bereich. Was politisches Engagement angeht, sind das etwas weniger, hier reden wir dann von Bürgerbewegungen, von Protest, oder auch von der Unterstützung neuer Bewegungen wie der "Piraten". Ich glaube, unser politisches System ist derzeit durch die Finanz- und Eurokrise in einen Unruhezustand versetzt worden, der neue Lösungen zur Folge haben muss. Es gibt interessante Beispiele in den Bundesländern: Das Land Rheinland-Pfalz hat gerade eine Landeskommission ins Leben gerufen, die Gesetze entwerfen soll, um die Bürger an politischen Großvorhaben zu beteiligen und die zeigen soll, dass Problemmediation immer möglich ist.

Gegner des Bahnprojekts Stuttgart 21 blockieren am Stuttgarter Hauptbahnhof eine Zufahrt (Foto:dpa)
Protest gegen den Umbau des Stuttgarter BahnhofsBild: picture alliance/dpa

Welche Rolle spielt in Deutschland das Internet, wenn es um die Bürgerbeteilung geht?

Natürlich haben wir die Möglichkeit, durch das Internet mehr Transparenz zu erzeugen. Auch bei uns wird es schwieriger, Informationen intern zu halten. Die Sorge, dass wir dieser freiheitsstärkenden Medien beraubt werden könnten, ist hierzulande sehr groß. Davon zeugt auch, dass auch in diesem Land Zehntausende gegen Gesetze protestieren, die die Urheberrechte schützen und Meinungsfreiheit gefährden könnten. Man darf aber auch keinen Hype wegen des Internets entfachen. Eine gute Internetpraxis steht in vielen Organisationen der Zivilgesellschaft noch aus, da müssen auch wir noch viel lernen.

Was sind Ihre Wünsche, damit die Partizipation in Deutschland noch mehr gestärkt wird?

Mit dem Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement beteilige ich mich gerade an einer Initiative für "open governance", einer weltweiten Initiative für Partizipation und Transparenz und gegen Korruption. Geleitet wird die Initiative von den USA und Brasilien. Deutschland ist noch nicht Teil dieser Initiative, das würde ich mir wünschen. Ein anderer Punkt ist: Demokratie bedeutet nicht nur Wahlbürger zu sein, sondern Aktivbürger zu sein. Und das bedeutet, sich politisch und sozial zu engagieren. Das mehr zu unterstützen und dafür die Infrastruktur zu schaffen, das wäre ein großer Schritt. Wir wissen, dass diese Diskussionen zum Teil auch schon in der Politik angekommen sind.

Dr. Ansgar Klein ist Experte für Partizipation und neue soziale Bewegungen. Seit 2002 ist er Geschäftsführer des in Berlin ansässigen "Bundesnetzwerks für Bürgerschaftliches Engagement".

Das Interview führte Friedel Taube.
Redaktion: Thomas Grimmer