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Mord im Namen der Ehre

Ulrike Mast-Kirschning (bea)13. Februar 2009

Auch deutsche Gerichte müssen sich zunehmend mit dem Phänomen befassen, das weltweit in besonders patriarchal geprägten Familien vorkommt. Nicht immer fällt der Nachweis leicht.

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Erinnerungsbild an die 2005 ermordete Hatun Sürücü
Die Türkin Hatun Sürücü wurde 2005 wegen ihres westlichen Lebensstils getötetBild: DW-TV

Das Hamburger Landgericht hat am Freitag (13.02.2009) den 24-jährigen Ahmad O. zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Die Richter sahen es als erwiesen an, dass der gebürtige Afghane im Mai vergangenen Jahres auf einem Parkplatz der Stadt seine 16-jährige Schwester Morsal mit 23 Messerstichen getötet hat. Er hatte die Tat gestanden, eine Tötungsabsicht aber bestritten. Das sahen die Richter anders. Sie folgten dem Antrag der Staatsanwaltschaft, wonach der Angeklagte seine jüngere Schwester erstach, weil er nicht mit deren westlichem Lebenswandel einverstanden war.

Der Angeklagte Ahmad O. zu Prozessbeginn Mitte Dezember 2008. Er hält seine Nase mit beiden Händen (dpa)
Der Angeklagte Ahmad O. zu Prozessbeginn Mitte Dezember 2008Bild: picture-alliance/ dpa

Die Verteidigung hingegen hatte auf Totschlag plädiert. Sie gab an, dem Angeklagten seien "die Sicherungen durchgebrannt". Die Verteidiger stützten sich dabei auf das Gutachten einer psychiatischen Sachverständigen, wonach Ahmad O. unter einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung leidet; er sei deshalb vermindert schuldfähig.

Ehrenmorde - ein weltweites Phänomen

Gewalt im Namen der Ehre, überwiegend gegen Frauen und Mädchen gerichtet, kommt rund um den Globus vor. Ihre schwerwiegendste Form ist der Mord. Rund 5000 Fälle von Ehrenmord zählen die Vereinten Nationen im Jahresdurchschnitt, die Dunkelziffer dürfte weitaus darüber liegen. Die Frauen und Mädchen werden erschossen, erwürgt oder erstochen, manchmal auch gesteinigt oder mit Säure übergossen. Sie können schon bei leichten Regelverstößen Opfer eines Ehrenmordes werden.

Frauen auch an der Vorbereitung beteiligt

Ehrenmorde sind ein Phänomen besonders patriarchaler Familien oder Gesellschaften. Hier fällt den Männern die Aufgabe zu, ihre weiblichen Familienangehörigen zu überwachen. Gelingt ihnen das nicht, trifft vor allem sie die Schande. Sie geraten unter Druck, die Familienehre durch Mord wiederherstellen zu müssen. Oftmals geht einer solchen Tat auch ein gemeinsam in der Familie gefasster Beschluss voraus. Auch weibliche Familienmitglieder können daran beteiligt sein, manchmal sind sie sogar die Vorbereiterinnen der Tat. Ausgeführt wird sie jedoch von Männern, so das Ergebnis einer Studie der deutschen Frauenrechtsorganisation "Terres des Femmes".

Viele Gründe für Ehrenmorde

Die Schauspielerin Kekilli vor einem Plakat von "Terres des Femmes" zum Thema Gewalt gegen Frauen (dpa)
"Terres des Femmes" setzt sich verstärkt gegen Ehrenmorde einBild: picture-alliance/ dpa

Im Altertum, im Reich der Assyrer, basierten die Ehrenmorde auf der Vorstellung, die Jungfräulichkeit einer Frau sei der Besitz ihrer Familie. Und auch heute noch geht es bei den Morden an jungen Mädchen und Frauen in den westlichen Großstädten um die Kontrolle ihres tatsächlichen oder angeblichen Sexualverhaltens. Wegen ihres Lebensstils und weil sie sich von der Familie abgewandt hat - so hatte auch der Bruder der 16-jährigen Deutsch-Afghanin Morsal O. seine Tat begründet. Andere Frauen wurden ermordert, weil sie sich weigerten eine Zwangsheirat zu akzeptieren, vielleicht sogar nur wegen ihrer modischen westlichen Kleidung, oder eines Blicks zur falschen Zeit auf den falschen Mann oder einfach wegen eines Gerüchtes.

Kein islamisches Phänomen ...

Ehrenmorde kommen gehäuft in armen Ländern vor und vor allem in Gemeinschaften, die besonders von Ausgrenzung bedroht sind. Der Ehrenmord ist zwar kein Bestandteil der Religion. Länder, in denen islamische Religionsgemeinschaften überwiegen, haben offenbar aber mehr Probleme dagegen vorzugehen. ln Pakistan, Jordanien, Afghanistan, Irak, Libanon, Palästina und der Türkei etwa sind Frauen besonders gefährdet Opfer von Ehrenmorden zu werden. In diesen Gesellschaften steht der Mann über der Frau, die Ehre des Mannes und seiner Familie ist mehr wert als das Leben einer Frau. Laut einem UN-Bericht ist das Phänomen jedoch keineswegs auf die islamische Welt beschränkt: Auch in Brasilien, Ecudor, in Indien und auch in Italien kommen Ehrenmorde vor.

... aber eines in Migranten-Familien

In den Ländern Europas sind es Migranten-Familien, die mit solchen Taten versuchen, ihren Ruf und ihre vermeintliche Ehre wieder herzustellen. Meist leben die Familienmitglieder in so genannten Parallelgesellschaften. Die Frauen sind dabei häufig auf den häuslichen Bereich beschränkt. Sie leben in Abhängigkeit von der Familie, weil sie Sprachprobleme haben oder der Aufenthaltsstatus problematisch ist. Selbst in der zweiten und dritten Generation halten die Familien häufig noch an archaischen Vorstellungen von Familienehre fest und grenzen sich von der Mehrheitsgesellschaft ab. Die Opfer und die Täter von Ehrenmorden lebten in vielen Fällen schon seit mehreren Jahren in Deutschland.

Nachweis fällt schwer

Die Gerichte in Deutschland tun sich schwer, den Tätern den Ehrenmord - also den strafrechtlich relevanten, vorsätzlichen Mord - nachzuweisen. Selbst wenn der ausführende Täter, wie im aktuellen Hamburger Fall, geständig ist: Angebliche Affekte oder psychische Belastungen können sich strafmildernd auswirken. Ohnehin ist die Planung der Tat - ebenfalls ein schweres Verbrechen - beteiligten Familienmitgliedern in den meisten Fällen praktisch nicht nachzuweisen.

Durch zahlreiche Aktionen von Menschenrechtsorganisationen sind Ehrenmord und anderen Formen der Gewalt im Namen der Ehre - wie etwa die Zwangsheirat - in den vergangenen Jahren verstärkt ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Ziel der Organisationen wie "Terre des Femmes" ist, dass diese schweren Menschenrechtsverletzungen an Frauen mit Nachdruck geahndet werden.