Dänemark: "Nicht westlich"? Nicht willkommen!
29. März 2021In Dänemark warnen Menschenrechtsgruppen eindringlich vor den Plänen der dänischen Regierung, die bereits bestehende und umstrittene Gesetzgebung zu sogenannten "Ghettos" noch weiter zu verschärfen.
Der Mitte März vorgelegte Gesetzentwurf konzentriert sich auf sogenannte "Parallelgesellschaften". Mit diesem Begriff bezeichnet die dänische Regierung Wohnviertel, die aus ihrer Sicht nicht ausreichend in die dänische Gesellschaft integriert sind. Durch das neue Gesetz soll in den kommenden zehn Jahren der Anteil "nicht-westlicher" Bewohner in benachteiligten Vierteln auf 30 Prozent gesenkt und betroffene Familien in andere Landesteile umgesiedelt werden.
"Alle Warnleuchten an"
Bereits heute darf der Anteil "nicht-westlicher" Einwohner in benachteiligten Stadtteilen nicht mehr als 50 Prozent betragen. Dies sieht das 2018 verabschiedete "Ghetto-Gesetz" vor. Die Regelung gilt für Stadtviertel mit über 1000 Einwohnern, deren Bevölkerungsstruktur anhand von vier Kriterien erfasst wird: Arbeitslosigkeit, Einkommen, Bildung und Kriminalität.
Zwar steht das Datum der Abstimmung im Parlament noch nicht fest, doch die Wahrscheinlichkeit, dass sich für den Entwurf eine Mehrheit findet, ist groß. Menschenrechtsanwälte haben Widerstand angekündigt, sollte das Vorhaben in der bisher geplanten Form angenommen werden.
"Unsere Sorge ist, dass die ethnische Zugehörigkeit stärker im Fokus steht als bisher", erklärt Nanna Margrethe Kusaa, Sachverständige am Dänischen Institut für Menschenrechte. "Wir sind sehr besorgt, denn beim Kriterium der ethnischen Zugehörigkeit gehen bei uns alle Warnleuchten an."
Das Büro der UN-Menschenrechtsbeauftragten Michelle Bachelet hatte schon im vergangenen Jahr vor den Folgen einer solchen Gesetzesänderung gewarnt:"Von den Maßnahmen gegen sogenannte "nicht-westliche" Einwohner ist vor allem Dänemarks nicht weiße und nicht europäische Bevölkerung betroffen", heißt es in einem Statement.
Verstoß gegen Diskriminierungsverbot?
Nach Angaben Margrethe Kusaas sind in Dänemark bereits drei Verfahren gegen die aktuellen "Getto-Gesetze" anhängig. "Wir sind der Meinung, dass es sich bei diesen Fällen mit großer Wahrscheinlichkeit um Diskriminierung handelt, die gegen nationales und europäisches Recht verstoßen", so die Expertin.
Das dänische Innenministerium weist den Vorwurf zurück. Die Kategorie "nicht-westlich" befände sich im Einklang mit den vom Dänischen Statistikamt verwendeten Begriffen. Nach diesem Maßstab gehören neben EU-Mitgliedsstaaten folgende Länder zur Gruppe der westlichen Länder: Großbritannien, Andorra, Island, Liechtenstein, Monaco, Norwegen, Schweiz, Vatikan, Kanada, USA, Neuseeland und Australien.
"Alle anderen Länder gelten als nicht westliche Staaten", erklärte das dänische Innenministerin in einem Statement zur DW. "Die Unterscheidung zwischen westlichen und nicht westlichen Ländern hat nichts mit dem politischen System, Religion, Kultur oder Wirtschaft eines Landes zu tun."
Kritiker argumentieren hingegen, dass diese Art von Gesetzesentwürfen Dänen mit Migrationshintergrund stigmatisieren würden, insbesondere Muslime und "People of Color". So bezeichnen sich Menschen, die nicht als weiß und westlich wahrgenommen werden und Rassismuserfahrungen machen.
Probleme nicht kleinreden
Die ehemalige Parlamentsabgeordnete Özlem Cekic, die als eine der ersten Musliminnen ins dänische Parlament einzog, bezeichnete den jüngsten Gesetzesentwurf als "kontraproduktiv". "Ich stimme mit der Regierung überein, dass es in einigen Vierteln große Probleme gibt", sagt die Kurdin der DW. Doch diese seien nicht so groß, dass man deshalb Leute aus ihren Wohnvierteln umsiedeln müsse.
Laut Cekic richtet sich der Gesetzesentwurf allgemein gegen marginalisierte Bevölkerungsgruppen. "Es geht nicht nur um Muslime oder Einwanderer, sondern auch um die Arbeiterklasse. Viele Bewohner der benachteiligten Stadtteile haben keine gesicherte Existenz."
Hardliner Kopenhagen
Dänemark gehört zu einem der Länder in Europa mit den härtesten Einwanderungs- und Asylgesetzen. Im Gegensatz zu anderen EU-Staaten wird dieser Kurs im Land jedoch von allen großen Parteien im linken und im rechten Spektrum mitgetragen.
Der politische Kurswechsel begann 2015 unter der damaligen Vorsitzenden der dänischen Sozialdemokraten, Mette Frederiksen, die seit 2019 als Ministerpräsidentin das Land regiert.
"Die Parteiführung entschied, dass die Sozialdemokraten beim Thema Einwanderung als Hardliner auftreten würden, und genau das haben sie getan", erklärt Rune Stubager, Politikwissenschaftler an der Aarhus Universität. "Jetzt verteidigen sie diesen Kurs mit Klauen und Zähnen."
Laut Stubager werden die dänischen Sozialdemokraten wahrscheinlich auch mit dem neuen Gesetzesentwurf punkten - selbst wenn die dänische Justiz das Kriterium "nicht-westlich" als Verstoß gegen nationales und europäisches Recht werten sollte.
Und auch, wenn die Angaben des dänischen Statistikamts eine andere Sprache sprechen: Danach lebten im vergangenen Jahr lediglich 5,3 Prozent "nicht-westliche" Einwanderer in sogenannten Problemvierteln.
Für die ehemalige Abgeordnete Özlem Cekic ist dieser politische Kurs riskant. "Die Kinder aus den benachteiligten Vierteln fühlen sich als Dänen", sagt sie. "Sie sind in Dänemark geboren, haben einen dänischen Pass, sprechen Dänisch und gehen hier zur Schule."
Dennoch müssten sie sich immer wieder anhören: "Du bist nicht dänisch, weil du muslimisch bist. Wie kann man von diesen Kindern erwarten, loyal gegenüber dem Staat zu sein, wenn dieser sie nicht so akzeptiert wie sie sind?"
Der Text wurde von Astrid Prange de Oliveira aus dem Englischen in Deutsche adaptiert.