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Dänemark führt Kampf gegen Lebensmittelverschwendung an

Irene Hell, Kopenhagen / okz25. Juli 2016

Mehr als ein Drittel aller Lebensmittel verdirbt oder landet im Müll. Angeführt von einer Aktivistin mit einer Vorliebe für Essen hat Dänemark an Lösungen für das Problem gearbeitet. "UFOs" zu verhindern, ist eine davon.

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Lebensmittel, die von Lebensmittlern als hässlich eingestuft wurden (Foto: MIGUEL MEDINA/AFP/Getty Images)
Bild: Getty Images/AFP/M. Medina

"Essen ist Liebe. Wenn wir Essen wegwerfen, werfen wir Liebe weg", sagt Selina Juul, eine leidenschaftliche 36-jährige Aktivistin aus Dänemark. Die Arbeit ihrer Nichtregierungsorganisation Stop Wasting Food (Stop Spild Af Mad) hat dazu beigetragen, dass Dänemark einen Meilenstein erreichen konnte: Es hat die Verschwendung von Lebensmitteln seit 2010 um ein Viertel gesenkt.

Porträt von Selia Juul in Kopenhagen (Foto: DW/I. Hell)
Für Selina Juul ist die Wertschätzung von Lebensmitteln ein Instrument für den WeltfriedenBild: DW/I. Hell

Zahlreiche Strategien

Immer mehr dänische Supermärkte haben "stop food waste areas" eingerichtet. Dort gibt es Lebensmittel zu sehr günstigen Preisen zu kaufen, die kurz vor dem Ablauf des Haltbarkeitsdatums stehen. Oder es gibt dort "hässliche" Kartoffeln, die immer noch für Salate genutzt werden können.

Das Start-Up "Too Good To Go" bringt hungrige Menschen an Mahlzeiten, die zuvor nicht mehr hätten verkauft werden können. Eine App vermittelt Kunden Restaurants und Bäckereien kurz vor der Schließung. Dann können diese dort noch vorbeischauen und vielleicht eine Dose mit Essen zu heruntergesetzten Preisen füllen.

Die Vermeidung von Abfällen hat auch viel mit dem Wissen über den eigenen Kühlschrank zu tun. Daher möchte Juul, dass die Menschen sogenannte "UFOs" vermeiden. "Jeder zweite Däne hatte ein UFO, ein "unidentifizierbares gefrorenes Objekt", in seinem Gefrierfach", sagt Juul. "Deswegen haben wir eine Kampagne für Konsumenten gestartet, einmal im Monat die UFOs zu essen."

"Essen ist Liebe"

Dies sind nur einige von vielen wirksamen Ansätzen. Dänemark mit seinen 5,7 Millionen Einwohnern hat mehr Initiativen gegen Lebensmittelverschwendung als irgendein anderes europäisches Land. Dies ist größtenteils Juuls Organisation zu verdanken.

Die Gründerin ist dadurch zu etwas wie einer nationalen Ikone geworden. 2016 erhielt sie den Womenomics Influencer Award. Sie gehört zum Who's Who Dänemarks und wurde zur Dänin des Jahres 2014 ernannt.

"Taste the waste" bietet Passanten Essen an, das Supermärkte weggeworfen haben (Foto: DW/A.S. Brändlin)
Aussortiertes Essen wird verschenkt, statt weggeworfenBild: DW/A. S. Brändlin

Ausgestattet mit einer grünen Schürze und einer unwiderstehlichen Leidenschaft für Lebensmittel hat die in Russland aufgewachsene Frau es geschafft, Millionen Dänen zu begeistern. "Es ist eine Bottom-Up-Initiative", erzählt sie der DW. "Wir mobilisieren Leute, dann mobilisieren die Leute die Industrie und Supermärkte, Kantinen und Restaurants."

"Das ist wie eine Spirale - es wächst und wächst und wächst", sagt sie. Juul und ihre Gruppierung möchten jetzt auch in anderen Ländern tätig werden. Ihr Traum ist, dass die Wertschätzung von Lebensmitteln ein Instrument für den Weltfrieden wird.

"Wenn es um die Verschwendung von Lebensmitteln geht, können Menschen übereinstimmen - egal ob reich oder arm, links- oder rechtsorientiert, egal welcher Hautfarbe, Nation oder Religion", sagt sie. "Essen ist wirklich die eine Sache, die Menschen vereint. Essen ist Liebe."

Kluge Land- und Wassernutzung im Dienste aller

Für die Umwelt ist die Verschwendung von Lebensmitteln eine Gefahr: Die Landwirtschaft produziert fast ein Viertel der weltweiten Treibhausgas-Emissionen, nutzt mehr als ein Drittel des kultivierbaren Lands, und verbraucht 70 Prozent des weltweit genutzten Trinkwassers.

Angesichts des erwarteten Bevölkerungswachstums auf über 9 Milliarden Menschen bis 2050 bleibt die Frage offen, wie all diese hungrigen Mäuler gestopft werden können. Die Reduzierung von Lebensmittelverschwendung liegt also nahe.

Dabei verbinden sich zwei große Vorlieben der Dänen mit diesem Ziel: Gutes für die Umwelt zu tun und Geld zu sparen. So hat das "grüne Königreich" eine Vorreiterrolle eingenommen.

Im September 2016 wird die dänische Regierung sogar einen Fonds zur Förderung von Projekten einrichten, die Lebensmittelverschwendung bekämpfen - mit einem Volumen von 5 Millionen Dänischen Kronen (etwa 670.000 Euro).

Die Architekten des "Food Loss and Waste Protocol" beim 3GF in Kopenhagen (Foto: DW/I. Hell)
Juul (Mitte) und Steer (ganz rechts) mit anderen Begründern des "Food Loss and Waste Protocol" beim 3GF in KopenhagenBild: DW/I. Hell

Auf Abfall Wert legen

"Müll ist eigentlich kein Müll", mahnt Selina Juul. "Ihn zu reduzieren, ist der Schlüssel für das zukünftige Überleben der menschlichen Zivilisation", erzählt sie der DW.

Juuls Arbeit wird von der Welternährungsorganisation (FAO) gestützt. Die FAO schätzt, dass weltweit ein Drittel des Essens verdirbt oder weggeworfen wird.

Dies führt nicht nur zu einem Verlust von 940 Milliarden Dollar (850 Milliarden Euro), sondern sorgt auch für acht Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen - so viel wie die Emissionen eines großen Staates. Die FAO nennt das "einen Exzess in einer Zeit, in der fast eine Milliarde Menschen hungern".

Ein neuer Plan gegen Lebensmittelverschwendung

"Es gibt einfach keinen Grund, dass so viel Essen verloren gehen sollte", sagt Andrew Steer, Präsident und Geschäftsführer des World Resources Institute, gegenüber der DW. Zusammen mit zahlreichen Institutionen der Vereinten Nationen, der Europäischen Union und Nichtregierungsorganisationen hat sein Institut einen Standard für die Messung von Lebensmittelverschwendung entwickelt - das sogenannte "Food Loss & Waste Protocol".

Stadtansicht von Kopenhagen (Foto: DW/I. Hell)
Obwohl ein kleines Land, gibt es in Dänemark mehr Initiativen gegen Lebensmittelverschwendung als in irgendeinem anderen Land in EuropaBild: DW/I. Hell

"Im Moment ist die Lebensmittelproduktion sehr zerstörerisch", sagt Steer. Sein Institut entwickelte das Protokoll nach dem Motto "Was gemessen werden kann, kann auch gemanagt werden".

"Es ist genauso wie mit dem Treibhausgas-Protokoll vor zehn Jahren", erklärt Steer. "Um Erfolg bei der Reduzierung von Lebensmittelverschwendung zu haben, müssen wir einen systemischen Ansatz verfolgen."

Internationale Koalitionen

Das World Resources Institute hat es geschafft, bedeutende Institutionen davon zu überzeugen. Partner ist etwa das Consumer Goods Forum, eine Vereinigung von mehr als 400 der weltgrößten Lebensmittelhändler und Hersteller aus 70 Ländern. Es steht für einen Umsatz von 2,5 Billionen Euro.

Der Weltbauernverband und verschiedene Regierungen stehen außerdem hinter dem Ziel für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen, die Verschwendung von Lebensmitteln zu halbieren und den Verlust von Lebensmitteln weltweit bis 2030 zu reduzieren.

Auch Dänemark macht in diesen Koalitionen mit. "Verschwendung macht alle ärmer", sagt Außenminister Kristian Jensen. Beim Global Green Growth Forum (3GF) in Kopenhagen im Juni zeigte er sich überzeugt, dass diese "neue starke Allianz zwischen staatlichen und privaten Akteuren eine effiziente Antwort für die globale Herausforderung der Lebensmittelverschwendung finden" würde.