Die Wahrheit herausfinden
5. Juni 2004Das klassische Strafrecht können Wahrheitskommissionen nicht ersetzen, sagt der Rechtswissenschaftler Christian Tomuschat von der Berliner Humboldt-Universität. "Aber sie können das Versagen des Staates und auch die kriminellen Entscheidungen, die getroffen worden sind, ins Licht rücken", erklärt Tomuschat, der selbst von 1997 bis 1999 Koordinator der "Kommission für historische Aufklärung" im bürgerkriegsgeplagten Guatemala war.
Öffentlichkeit wachrütteln
Eins der jüngsten Beispiele für die erfolgreiche Arbeit von Wahrheitskommissionen findet sich in Peru. Im August des vergangenen Jahres veröffentlichte die eingesetzte Wahrheitskommission ihren Abschlussbericht: ein schonungsloses Dokument über die Menschenrechtsverletzungen in den vorausgegangenen 20 Jahren. Die Ergebnisse schreckten das südamerikanische Land auf.
Mindestens 70.000 Menschen fielen der Gewalt zum Opfer. Täter waren sowohl die maoistische Terrororganisation Leuchtender Pfad als auch der peruanische Staat unter dem damaligen Präsidenten Alberto Fujimori. Zwar blieb der bis heute ungeschoren, doch die Öffentlichkeit wurde wachgerüttelt - wie bei der Arbeit von Wahrheitskommissionen in so vielen anderen Ländern auch.
Zu schwach?
Allerdings sind auch nach der Überwindung diktatorischer Verhältnisse die Strafgerichte in zahlreichen Ländern zu schwach, um begangenes Unrecht konsequent zu verfolgen. Hinzu kommt, dass vor der Wahrheitskommission gemachte Aussagen nicht automatisch als Zeugenaussagen vor Gericht verwendet werden können.
Ein zentrales Problem der Kommissionen ist die Wahrheitsfindung: Zwar liegen oft zahlreiche Opferaussagen vor, doch diese Opfer wissen oft nur wenig über die Täter. Der Wirkungsgrad der Wahrheitskommissionen stößt so allzuoft an seine Grenzen.
Politische Veränderung
Dennoch sind die Wahrheitskommissionen nach Auffassung von Tomuschat keineswegs nur zahnlose Tiger. Ihre Berichte könnten durchaus zur politischen Veränderung in den betroffenen Ländern beitragen. "Ein solcher Bericht prägt das Bewusstsein einer Nation. Man muss in gewisser Weise doch auch auf Vernunft setzen. Und insofern hat ein solcher Bericht dann doch eine positive Wirkung", sagt Tomuschat.
Positiv bewertet er die Arbeit von Wahrheitskommissionen insbesondere dort, wo es zu einem Täter-Opfer Ausgleich kommt. "Ich finde sehr gut, was man in Ost-Timor im Augenblick tut - dass die Täter mit den Opfern zusammengebracht werden. Ich denke eine solche persönliche Konfrontation ist sehr, sehr hilfreich."
Verhärtete Fronten
In manchen Krisenherden der Welt sind allerdings noch nicht einmal die Voraussetzungen für die Bildung einer Wahrheitskommission gegeben. Eine solche Einrichtung als vergangenheitsbewältigende Instanz zwischen Israelis und Palästinensern? Das halten die meisten Völkerrechtler derzeit dann doch für eine zu optimistische Vision.