Die Tenniswelt steht vor der Zerreißprobe
27. März 2020Dass sich in der Welt der Tennis-Profis und großen Turnierveranstalter nicht alle gut verstehen, war nie ein großes Geheimnis. Aber nun, in den Zeiten der Corona-Krise, brechen die Konflikte offen aus. Vielleicht, weil es um große Summen an Geld geht. Vielleicht, weil sich in der Krise oft jeder selbst der nächste ist.
Der französische Tennisverband hat sich jüngst jedenfalls keine Freunde gemacht, als er überraschend erklärte, das Turnier in Paris, Roland-Garros, finde nicht wie geplant im Frühjahr statt. Soweit, so erwartbar. Was verblüffte: Die Franzosen gaben wie in einem Handstreich direkt einen neuen Termin bekannt: 20. September bis 4. Oktober.
Alle, wirklich alle, rieben sich die Augen. Und noch Tage nach der Bekanntgabe in Paris hat sich die deutsche Damentennis-Chefin Barbara Rittner nicht wirklich beruhigt. "Ich persönlich glaube nicht, dass das Turnier zum nun angedachten Zeitpunkt stattfindet. Das wäre auch ein falsches Signal, denn ein solcher Alleingang darf nicht belohnt werden", sagte Rittner in einem Interview dem Eurosport-Podcast "Extra Time". Das Grand-Slam-Turnier auf Sand Ende September? Undenkbar.
Bodenlos auf Sand
"Man hat offenbar einfach den spät-möglichsten Zeitpunkt gesucht und das Turnier dort angesetzt. Das war total egoistisch und bodenlos. Ich verurteile das aufs Schärfste. Damit haben sich die Verantwortlichen keinen Gefallen getan", sagte Rittner. Die French Open würden dann eine Woche nach den US Open beginnen. "Aus körperlicher Sicht ist es für die Spielerinnen und Spieler fast unmöglich, zunächst auf Hartplatz die US Open zu spielen und dann innerhalb einer Woche nach Europa zu fliegen und auf Sand zu trainieren. Das ist eine riesige Umstellung für den Körper."
"Excusez moi???"
Abgesehen davon, dass man jetzt noch gar nicht sagen kann, ob New York im September nach der Epidemie wieder zur Normalität zurückkehren kann, hatten auch die Spielervereinigungen ATP und WTA sowie zahlreiche Tennisprofis den Alleingang der Pariser kritisiert. "Excusez moi???" twitterte die Japanerin Naomi Osaka, Siegerin der Australian Open 2018 und US Open 2019.
"Das ist krank", sagte Vasek Pospisil, Mitglied im Spielerrat der ATP, der New York Times. Die Entscheidung der Veranstalter in Paris sei "egoistisch", sie spielten ein "power play", und das sei "ziemlich arrogant".
Der AELTC zögert noch
Der Tennisverband der USA (USTA) schloss in einer ersten Reaktion nicht aus, seinerseits sein Grand-Slam-Turnier zu verschieben, betonte allerdings mit einem Seitenhieb auf die French-Open-Organisatoren: Die USTA würde eine Entscheidung wie jene niemals alleine treffen, sondern sie absprechen "mit den anderen Grand-Slam-Turnieren, der WTA und ATP, der ITF und unseren Partnern - den Laver Cup eingeschlossen".
Die Tennis-Spielervereinigungen ATP und WTA hatten ihre rasch verkündeten Spielpausen aufgrund der Corona-Pandemie in einem gemeinsamen Beschluss bereits verlängert. Bis zum 7. Juni ruhen nun die Wettbewerbe der Männer und Frauen. Die Weltranglisten sind in diesem Zeitraum eingefroren. Auch die BMW Open in München können damit nicht wie geplant vom 25. April bis 3. Mai stattfinden. Die Verantwortlichen des All England Lawn Tennis & Croquet Clubs (AELTC) entscheiden nach einer Zeit des Abwartens: Das am 29. Juni geplante Turnier in Wimbledon fällt aus.
Nur mit Nadal gesprochen?
Ebenfalls betroffen – und die Erklärung der USTA deutete das bereits an – ist Roger Federer. Der Schweizer hatte im September 2017 in Prag erstmals seinen den Laver Cup ausspielen lassen, ein zwar sportlich unbedeutendes Spaßturnier, freilich eines, an dem die besten Tennisspieler bisher mit großer Freude teilgenommen haben. Die vierte, für Boston geplante Austragung des Duells "Europa gegen den Rest der Welt", war ebenfalls für Ende September geplant.
Angeblich haben die Veranstalter von Roland Garros, die aufgrund gewaltiger Investitionen in die Anlage am Bois de Boulogne dringend auf Einnahmen angewiesen sind, vor ihrer Ankündigung nur den zwölfmaligen Sieger Rafael Nadal informiert - unter anderem Federer blieb außen vor. Seine Agentur teilte lediglich trocken mit, die Entscheidung der Franzosen werfe "viele Fragen auf".
Existenzen gehen kaputt
Viele Tennis-Profis, die nicht unter den Top-100 der Weltrangliste stehen, machen sich wegen des Ausfalls der Turniere auch wirtschaftliche Sorgen. Tennisprofi Jan-Lennard Struff stellt sich auf eine noch längere Saisonpause als die bisher vorgesehene Unterbrechung bis Anfang Juni ein. Dem Sender „Sky" sagte Struff, dass Profis aufgrund der langen Saison-Unterbrechung finanzielle Probleme bekommen. "Genauso wie überall anders momentan gehen da Existenzen kaputt."
Angelique Kerber, Deutschlands beste Tennisspielerin, verwies auf einen anderen Punkt. "Auch ich habe Großeltern, um die ich mir supergroße Sorgen mache, die zur Risikogruppe gehören", sagte die 32-Jährige in einem via Instagram verbreiteten Video. Genau wie alle anderen sei sie "momentan hier zu Hause" und wisse nicht, "wie es in den nächsten Wochen weitergehen wird".