Neues Magazin öffnet Flüchtlingen Türen
1. Januar 2016Eigentlich sind Türen wie Grenzen. Sie öffnen sich, jemand tritt ein, dann schließen sie sich wieder. So jedenfalls funktioniert es in der Regel. In Deutschland aber sieht es derzeit etwas anders aus. Hier stehen zur Zeit viele Türen offen. Sie öffnen sich den Flüchtlingen aus den Kriegsgebieten in Nahost. Zu Hunderttausenden sind sie gekommen und stießen auf diese offenen Türen. Diese Erfahrung schwingt mit in der neuen Zeitschrift "Abwab". Denn auch ihm sei es ähnlich gegangen, sagt der syrische Journalist Ramy al-Asheq (Artikelbild), Chefredakteur des kürzlich gegründeten Blattes, im Gespräch mit der DW. Darum habe er dem Magazin, das künftig monatlich erscheinen soll, diesen Namen gegeben.
Als er nach Köln kam, fand er Unterkunft in einer Gastfamilie, erzählt Al-Asheq. "Wir haben dir die Türen sehr gern geöffnet. Aber von nun an musst du dich um deinen Erfolg selbst kümmern", hatten ihm die Familienmitglieder beim Abschied gesagt. In anderen Worten: Alle weiteren Türen würde sich Ramy al-Asheq selbst öffnen müssen. "Und da wurde mir klar, dass 'Türen' ein guter Name für unser Projekt ist.
"Kauf dir ein Buch"
Und darauf kommt es den Machern der Zeitschrift in erster Linie an: dazu beizutragen, dass sich die Ankömmlinge ihren Weg in die neue Heimat selbstständig bahnen. Hilfe zur Selbsthilfe also. Oder: Gebrauchsanweisung für Deutschland. Allerdings auf Arabisch. Denn die deutsche Sprache - sie ist das eine große Tor, durch die die allermeisten Zuwanderer nicht so leicht gehen können. "Die Flüchtlinge kommen in ein neues Land, über dessen Kultur, Gesellschaft und Politik sie nicht allzu viel wissen", schreibt Al-Asheq im Editorial der ersten Ausgabe. "Vor allem finden sie sich in einer hilflosen Situation, da sie die Sprache, das wichtigste Kommunikationsmittel überhaupt, nicht beherrschen." Natürlich werden die Flüchtlinge die ihnen derzeit noch fremde Sprache irgendwann sprechen. Aber bis es so weit ist, will "Abwab" ihnen helfen. "Die Zeitschrift ist dazu da, Arabisch sprechenden Menschen neue Türen zu öffnen", schreibt Al-Asheq.
Die Flüchtlinge müssen aktiv werden, um in Deutschland auch innerlich anzukommen - das betont die Zeitschrift immer wieder. "Zehn Schritte zur Integration" heißt einer der Artikel, angekündigt bereits auf der Titelseite. Der erste Rat auch hier: der Spracherwerb. "Warte nicht auf kostenlose Sprachkurse", rät das Magazin seinen Lesern. "Kauf dir ein einfaches Buch, lerne die wichtigsten Dinge und versuche, die Begriffe so oft wie möglich anzuwenden. Unterhalte dich zum Beispiel mit Rentnern, die in einem Park sitzen."
Weltoffene Haltung
Nimm das Land so, wie es ist, kritisiere es nicht, heißt Punkt zwei des Integrations-Schnellkurses, passe dich den Gepflogenheit an der dritte. Informiere dich aus erster Hand, sei freundlich, komm mit den Deutschen in Kontakt sind weitere Ratschläge, die die Zeitung ihren Lesern gibt. Bring dich ein, bilde dich fort, lerne das Land kennen, sind weitere. Umso bedauerlicher, dass "Abwab" nicht auf Deutsch erscheint. Denn dann könnten nicht des Arabischen mächtige Leser sehen, wie sehr das Magazin auf den Dialog bedacht ist - ganz im Sinne jener weltoffenen Tradition, die für Syrien, die Drehscheibe zwischen Ost und West, so typisch ist.
Doch was noch nicht ist, kann noch werden. Die Zeitschrift, herausgegeben von der in Großbritannien ansässigen Gruppe "New German Media", finanziert sich über Anzeigen. Viel ist in der Zeitschrift von "Hoffnung" die Rede, und die teilen offenbar auch die Inserenten. Zu den Werbekunden zählen außer einem arabischen Telekommunikationsunternehmen auch eines, das seine Dienste bei der Geldüberweisung anbietet. So gesehen geht es aufwärts.
So soll es weitergehen, das wünscht sich auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), dessen Ratschläge für Schutzsuchende die Zeitschrift auf einer ihrer Seiten veröffentlicht.
Jenseits der Bürokratie zeigt das Magazin weitere Türen in die neue Heimat auf: Musiker haben sich zu einem Flüchtlingsorchester zusammengefunden; ein arabischer Kinderchor ist gegründet worden; syrische Künstler nehmen an einem Festival in Köln teil.
"Sind wir Rassisten?"
"Sind wir Rassisten?" lautet die Überschrift eines anderen Artikels in "Abwab". Anders als die Überschrift es vermuten lässt, befasst der Text sich aber nicht mit dem möglichen Rassismus unter Syrern, sondern mit dem unter Deutschen. Genannt wird etwa Pegida. Unter der Hand wird auch dieser Text für syrische Leser zu einem Schnellkurs in Sachen politischer Kultur in Deutschland. Denn er erklärt, warum die Deutschen so sensibel auf Rassismus und Hass auf Minderheiten - genannt werden etwa Sinti und Roma sowie Homosexuelle - reagieren. Die Sensibilität gehe auf die furchtbaren Erfahrungen während der Nazi-Zeit zurück, erklärt der Artikel, der so auch eine Einführung in die jüngere Landesgeschichte bietet.
Ganz nebenbei und vielleicht ohne es zu wissen, setzt "Abwab" aber auch alte arabische Erzähltraditionen fort. Denn was ist dieser Titel, wenn nicht die zeitgenössische Neuauflage von "Sesam öffne dich"?