Hohes Risiko, wenig Geld
2. November 2008Sie sind billiger, als ihre fest angestellten Kollegen, bekommen meist kein Urlaubs- und Weihnachtsgeld - vor allem aber werden die Firmen die Leiharbeiter in Krisenzeiten am schnellsten los.
"Da sind natürlich auch gute Leute dabei, die man sehr ungern weggehen lässt. Aber das ist natürlich auch die schnellste Form und die unbürokratischste, Stellen abzubauen", sagt Ottmar Zwiebelhofer, Geschäftsführer beim Auto-Zulieferer König-Metall aus Baden-Württemberg. Sein Unternehmen baut Airbags und Schalldämpfer. Stecken die Autokonzerne in der Krise, sind auch seine Umsätze in Gefahr. Zwiebelhofer rechnet in diesem Jahr mit 20 Prozent weniger Umsatz.
Tausende von Arbeitslosigkeit betroffen
Leiharbeiter stehen dann als erste auf der Straße - und das gilt nicht nur für König-Metall. Der Auto-Zulieferer Hella verlängerte die Verträge von 200 Leiharbeitern nicht, Konkurrent Honsel schickt 100 weg. Und beim größten deutschen Autokonzern VW stehende Tausende Jobs von Leiharbeitern zur Disposition.
Betroffen sind nicht nur Springer, die kurzfristig freie Stellen besetzen, sondern auch Leiharbeiter, die seit Jahren im gleichen Unternehmen tätig sind. Noch vor ein paar Wochen hofften viele auf eine Übernahme.
Bilig leihen statt langfristig beschäftigen
Obwohl sich die Konzerne in der Metallindustrie in den vergangenen Jahren vor Aufträgen nicht retten konnten, haben sie kaum neue Mitarbeiter fest eingestellt - sondern sich diese geliehen. Ein System, das sich jetzt rächt, sagt Hartmut Seifert, Arbeitsmarktexperte der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. "Wir wissen, dass die Quote der Leiharbeit bei zwei Prozent liegt. Mittlerweile gibt es aber Unternehmen, die deutlich mehr als 20 Prozent als Leiharbeiter einsetzen."
Rot-Grün machte es möglich
Ausgelöst wurde der Boom bei der Leiharbeit durch die Agenda 2010 der rot-grünen Bundesregierung. Das Zauberwort, damals im Jahr 2003, hieß: Flexibilisierung des Arbeitsmarktes. Seitdem dürfen Zeitarbeiter länger als ein Jahr in einem Unternehmen beschäftigt werden - eine Regelung, die die Konzerne gnadenlos ausgenutzt haben. Das eigentliche Ziel der Regierung, dauerhaft mehr sichere Arbeitsplätze zu schaffen, geriet dabei ins Hintertreffen.
Stattdessen machten die Firmen mit den illustren Namen wie Randstad, Adecco oder Permacon satte Gewinne und suchten händeringend nach qualifiziertem Personal. Allein in den vergangenen vier Jahren hat sich die Anzahl der Leiharbeiter in Deutschland auf 750.000 verdoppelt. Und die Arbeitslosenzahlen gingen tatsächlich zurück.
Damit wird es jetzt wohl vorbei sein, sagt Arbeitsmarktexperte Seifert. "Es ist durchaus möglich, dass ein Drittel dieser Zahl in den nächsten Monaten ihren Job verlieren wird." Denn nicht nur in der Autoindustrie sieht es düster aus. Viele Zeitarbeiter werden heute an Firmen im Maschinenbau, der Pharma- und Chemiebranche verliehen - Branchen, die vor allem vom Export leben und in der weltweiten Wirtschaftskrise Probleme bekommen könnten.
Keine Risikoprämie
Für die Zeitarbeiter fällt die Bilanz also durchweg negativ aus, sagt Seifert: "Sie haben ein höheres Entslassungsrisiko, verdienen weniger als die Stammbeschäftigten und haben einen schlechteren Zugang zu beruflicher Weiterbildung". Damit könnten sie auch ihre Chancen, an anderen Plätzen am Arbeitsmarkt unterzukommen, nicht ausbauen. "Die Zeitarbeiter tragen ein hohes Risiko und müssten dafür eine Risikoprämie bekommen". Und müssten demnach eigentlich mehr verdienen, als ihre regulär angestellten Kollegen.
Für ein wenig mehr Gerechtigkeit sorgt jetzt immerhin die Europäische Union: die neue EU-Richtlinie zur Leiharbeit, erst letzte Woche vom Europäischen Parlament verabschiedet, schreibt vor: gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Für die Zehntausenden, die in diesen Tagen möglicherweise ihren Job verlieren, ein schwacher Trost.