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Verheugen: Die Autohersteller müssen sich auch in der Finanzkrise im Wettbewerb behaupten

28. Oktober 2008

Die Krise in der Autoindustrie verschärft sich. Autobauer wollen ihre Produktions-Bänder vorübergehend still stehen lassen. EU-Kommissar Verheugen über die Frage, ob die EU die Autohersteller aus der Krise holen soll.

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Mitarbeiter montieren Autos (28.01.2005/dpa)
Die Automobilindustrie brauche keine klaren SubventionenBild: dpa - Bildfunk

Fokus Europa: Herr Verheugen, muss Europa jetzt nach den Banken auch die Autoindustrie mit Staatshilfen unterstützen?

Günter Verheugen: Ich habe für Mittwoch einen Autogipfel nach Brüssel einberufen. Die Vorstandsvorsitzenden der großen Unternehmen, die Wirtschaftsminister der Länder mit Automobilindustrie, die Gewerkschaften und andere werden zusammensitzen und beraten, was jetzt zu geschehen hat. Subventionen im herkömmlichen Sinne werden ganz gewiss nicht zu diskutieren sein. Worüber man diskutieren muss, wäre erstens die rechtliche Unsicherheit, in der sich die Automobilindustrie befindet, schnell zu beseitigen.

Die Autohersteller müssen wissen, was die europäischen Gesetzgeber von ihnen verlangen. Das dauert jetzt schon viel zu lange, dass sie nicht wissen, was für Autos sie eigentlich bauen sollen. Zweitens sollen Anreize geschaffen werden, so dass die Kunden ihre alten Autos verschrotten oder in Zahlung geben oder neue kraftstoffärmere Autos anschaffen. Und drittens: Falls es bei Automobilzulieferern oder Herstellern zu Einschränkungen kommen sollte, dann könnte man daran denken, über die Europäische Investitionsbank Mittel zur Verfügung zu stellen, die auch zinsbegünstigt sein können – aber zum klaren Zweck, kraftstoffeffiziente, verbrauchsarme Autos zu entwickeln.

Also keine klaren Subventionen?

Nein.

Wie erklären Sie das den Arbeitslosen in der Branche? Den Bankern wird geholfen, die Autobauer können sehen wo sie bleiben?

Wir haben eine ganz klare Politik in Europa, dass wir den Wirtschaftssektoren in Europa nicht mit Subventionen auf die Beine helfen. Sie müssen sich im Wettbewerb behaupten. Und was die Banken angeht, so handelt es sich Bürgschaften und Garantien, die bis zu einem gewissen Umfang zur Verfügung gestellt werden - wobei aber unklar ist, ob sie gebraucht werden. Hier liegen die Dinge ganz anders: Das Finanzsystem drohte zu kollabieren und es war absolut notwendig, dafür zu sorgen, dass es seine eigentliche Funktion weiter erfüllen kann: Die Realwirtschaft weiter mit Krediten zu versorgen. Die Automobilindustrie fragt auch nicht nach Subventionen. Sondern was wirklich verlangt wird, ist, was ich gesagt habe: klare Rahmenbedingungen schaffen, damit sie wissen, woran sie sind und für den Fall, dass es notwendig sein sollte, Mittel der Europäischen Investitionsbank zu mobilisieren, um an günstige Finanzierungen zu kommen.

Es wird immer wieder die Gefahr heraufbeschworen, dass Investoren aus Fernost oder die ölreichen Staaten aufgrund des Aktienkurses nun wichtige europäische Unternehmen feindlich übernehmen könnten. Wie groß sehen Sie die Gefahr?

Die Frage ist, ob das eine Gefahr ist. Bisher haben wir in Europa immer gesagt: Wir wollen attraktiv sein für Investitionen aus anderen Teilen der Welt. Es war immer unsere Politik zu sagen: Wer bei uns investieren will, ist willkommen. Bisher ist mir kein einziger Fall bekannt, dass irgendjemand in Europa investiert hätte mit dem Ziel, uns und sich selber zu schaden. Leute, die bei uns investieren, wollen damit Geld verdienen und es nicht kaputt machen. Trotzdem kann man sich vorstellen, dass es Unternehmen gibt, von denen man nicht will, dass sie in die Hände bestimmter Finanzgruppen geraten. Dann müssen die Unternehmen Vorsorge treffen. Nationalisierung ist keine Lösung. Wir haben die Erfahrung mit verstaatlichten Industrien in großen Teilen Europas lange genug gehabt. Dieses Experiment müssen wir nicht wiederholen.

Sie reagieren offensichtlich sehr allergisch auf die Vorschläge von EU-Ratspräsident Sarkozy!

Günter Verheugen, EU-Industriekommissar (6.10.2004/AP)
EU-Industriekommissar VerheugenBild: AP

Nicht allergisch! Er hat ja auch gar nicht Nationalisierung verlangt. Er hat genau das gesagt, was ich auch gesagt habe: nämlich erstens, dass man sich überlegen muss, günstige Finanzierung zur Verfügung zu stellen, wenn die Kreditwirtschaft ihre Aufgabe nicht mehr erfüllen sollte und zweitens, dass man sich überlegen muss, wie man wichtige europäische Industrien vor Übernahme schützen kann. Dazu ist zu sagen, dass die meisten europäischen Länder längst Regelungen haben, die es ihnen erlauben, in strategisch wichtigen Sektoren solche Übernahmen zu verhindern.

Gibt es also keinen Anlass, diese Politik zu überdenken?

Nein, den sehe ich nicht.

Diese Krise könnte Ihre Stunde als Industriekommissar sein. Die richtigen Hilfen zur richtigen Zeit könnten Europa im globalen Wettbewerb nach vorne bringen. Wie werden Sie diese Chance nutzen?

Ich sehe die Industrie nicht in einer solchen Krise wie offenbar Sie. Wir haben diesen scharfen Nachfragerückgang in der Automobilindustrie. Das hat verschiedene Gründe. Der Hauptgrund ist die Kaufzurückhaltung bei den potentiellen Kunden. Und das liegt daran, dass die Leute bei wirtschaftlicher Unsicherheit nicht dazu neigen, viel Geld auszugeben. Sie kaufen auch keine Häuser oder teure Fernsehgeräte. Im Übrigen hat die Industrie überall in Europa und der Welt dasselbe Problem. Wir haben mit einem geringeren wirtschaftlichen Wachstum zu rechnen. Das Beste was wir tun können, ist die Politik zu betreiben, die ich seit langem vertrete. Nämlich: unserer Industrie die bestmöglichen Rahmenbedingungen zu geben – sich aber nicht einzumischen in Entscheidungen, die die Industrie selber zu treffen hat.

Günter Verheugen ist EU-Kommissar für Unternehmen und Industrie sowie Vizepräsident der Europäischen Kommission. Verheugen ist Mitglied der SPD und war unter EU-Kommissionspräsident Romano Prodi für die Erweiterung der EU zuständig.

Das Interview führte Andreas Main.