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Die dunkle Seite des Sports

29. September 2022

Eine neue Studie bringt erschütternde Fälle sexueller Gewalt im deutschen Sport ans Licht. Das deckt sich mit Erfahrungen aus anderen Ländern - von den USA bis Japan. Als Reaktion ist ein schwieriger Spagat gefordert.

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Symbolbild Opfer und Scham nach Sexueller Gewalt
Bild: Ute Grabowsky/photothek/picture alliance

Als sie im Trainingslager krank wird und mit dem Trainer alleine ist, erlebt die junge Fußballerin Marina* ein Martyrium: "Übergriffe jeglicher Art fingen dort an, Vergewaltigungen, Fesselungen und was man sich alles so vorstellen kann." Allzu häufig bleiben solche Taten ohne Folgen, erzählt die Sportgymnastin Senta*: "Wenn dir als Kind nicht geholfen wird, lernst du zu schweigen."

Schilderungen wie diese hat ein Forscherteam um die Sportsoziologin Bettina Rulofs für die bisher größte Studie über sexualisierte Gewalt im deutschen Sport zusammengetragen. 72 Betroffene haben berichtet. "Ein Blick auf die dunkle Seite" sei das, sagt Sozialpsychologe Heiner Keupp, Mitglied der Aufarbeitungskommission, in deren Auftrag die Studie entstand.

Prof. Heiner Keupp, die Soziologin Prof. Bettina Rulofs und Angela Marquardt vom Betroffenenrat bei der Pressekonferenz zur Vorstellung der Studie über sexualisierte Gewalt im Sport am 27.09.2022
Vorstellung der Missbrauchsstudie im Sport: Heiner Keupp, Bettina Rulofs und Angela Marquardt (v.l.n.r.) in BerlinBild: Wolfgang Kumm/dpa/picture alliance

Was muss sich im Sport ändern? "Grundlegendes", antwortet Rulofs der DW. Die Professorin an der Deutschen Sporthochschule in Köln fordert einen Kulturwandel: "Es kann nicht sein, dass wir sportlichen Erfolg akzeptieren, wenn er in einem Klima von Druck, Missbrauch und Gewalt entsteht." Im Mittelpunkt ihrer Studie steht folgerichtig auch nicht, herauszufinden, wie viele Übergriffe es gibt, sondern mehr über die Faktoren zu erfahren, die solche Übergriffe speziell im Sport begünstigen. 

Weltweites Problem im Sport

Dabei zeigt sich: Sport ist nicht mehr und nicht weniger betroffen als andere gesellschaftliche Gruppen. Und es macht keinen Unterschied, ob es der Schwimmverein um die Ecke oder der nationale Nachwuchs-Elitekader ist - die Fälle ähneln sich. Häufig nutzen Trainer oder Betreuer das Vertrauen aus, das Machtgefälle und die Möglichkeit, Kindern und Jugendlichen im Sport auch körperlich nahe kommen zu können.

Dieses Muster gilt weltweit, auch bei prominenten Fällen wie dem Skandal um sexualisierte Gewalt im US-Turnsport, zu dessen Opfern Starturnerin Simone Biles zählte, oder um Jan Hempel.  Der deutsche Ex-Wasserspringer hatte kürzlich - lange nach seinem Karriereende - öffentlich gemacht, dass er jahrelang von seinem Trainer sexuell missbraucht worden war.

US-Turnerin Simon Biles bei einem Sprung-Spagat auf dem Schwebebalken. Die mehrfache Olympiasiegerin ist Opfer sexualisierter Gewalt und suchte mit ihren Teamkolleginnen den Weg in die Öffentlchkeit.
Opfer sexualisierter Gewalt: US-Turnerin Simone Biles ging mit ihren Teamkolleginnen an die ÖffentlichkeitBild: PA Wire/dpa/picture alliance

Haiti, Argentinien, Niederlande, Japan sowie weitere Staaten - 2021 blickte das Büro für Drogen- und Verbrechensbekämpfung der Vereinten Nationen in einem Bericht auf die Problematik und brachte sie auf einen Nenner: "Missbrauch im Sport beruht auf Schweigen, Selbstgefälligkeit und fortgesetztem Missbrauch von Macht und Vertrauensstellungen, wobei die Täter das Gefühl haben, ungestraft handeln zu können." Die Strukturen im Sport wurden dabei gar mit dem Machtgefüge patriarchalischer Clanfamilien verglichen.

Keupp: "Keine Flucht in die Prävention“

Die Reaktion von Vereinen, Verbänden und Behörden auf Fälle sexualisierter Gewalt im Sport ist häufig dieselbe: Der Ruf nach mehr Prävention wird laut. Programme gibt es flächendeckend. Vereinsmitarbeitende und Ehrenamtliche werden geschult, Ansprechpartner für mutmaßliche Opfer eingerichtet - in Großbritannien kümmert sich darum beispielsweise die "National Society for the Prevention of Cruelty to Children".

Europaweit läuft das 'Pro Safe Sport"-Programm der EU. In Deutschland soll ein "Safe Sport Center" die Bemühungen bündeln. Angestoßen vom Verein Athleten Deutschland, der Interessenvertretung der Leistungssportlerinnen und -sportler, erhielt die Initiative Unterstützung aus dem Bundesinnenministerium, das in Deutschland für den Sport zuständig ist. Noch liegt das Projekt jedoch auf Eis, weil sich die Dachverbände des deutschen Sports bisher nicht an der Finanzierung beteiligen wollen.

Viel schwerer fällt auch in Deutschland der Blick zurück. Anlässlich der Präsentation der Studie in Berlin warnt der emeritierte Münchener Professor Keupp vor einer "Flucht in die Prävention". Und Angela Marquardt aus dem Betroffenenrat der unabhängigen Aufarbeitungskommission fordert: "Der Sport muss sich stellen. Das ist er den Betroffenen schuldig, die den Mut hatten, sich zu äußern." Einzelne Vereine, wie der HSV Weimar, in dessen Reihen es zu sexueller Gewalt durch einen Turntrainer gekommen war, haben einer unabhängigen Untersuchung zugestimmt. "Ein gutes Beispiel, wie es gehen kann", meint Marquardt.

Sportverbände zieren sich zu häufig

Wie es schlecht laufen kann, zeigt der Blick nach Neuseeland. Turnerinnen hatten sexuellen Missbrauch offengelegt. Nach einer Untersuchung, die deutliche Missstände zutage förderte, gab der dortige Turnverband einfach eine weitere Untersuchung in Auftrag, an dessen Empfehlungen er sich aber nicht gebunden fühlte. Es sei eine "Farce", kommentierte Sportjournalist Hamish Bidwell und zog das Fazit: "Wir müssen diejenigen sein, die diesen Wandel vorantreiben, denn es sieht nicht so aus, als ob die Sportverbände den Antrieb haben, dies selbst zu tun."

Angesprochen darauf, was im deutschen Sport von zentraler Bedeutung wäre, zählt Soziologin Rulofs folgende Punkte auf: "Aufarbeitung, Anerkennung der Opfer sowie mehr Aufmerksamkeit für das Thema in den Vereinen. Wir brauchen bessere Schutzkonzepte für Kinder und Jugendliche und Sprechstellen, bei denen sich Betroffene ohne Angst melden können und die Hinweisen wirksam nachgehen." Sport sei eben nicht nur fair, schön und gesund.

(* Namen der Betroffenen wurden verändert).

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Jens Krepela Redakteur, Reporter, Autor