Klima des Hinschauens
9. Februar 2017Sexualisierte Gewalt im Sport bleibt ein drängendes Thema. Nicht zuletzt wegen des Missbrauchsskandals im englischen Fußball. Auch in Deutschland gibt es viele Opfer. Das belegt eine Studie des Forschungsprojektes "Safe Sport" zu Kindern und Jugendlichen im Wettkampf- und Leistungssport. Danach sind ein großer Teil der 1800 befragten Kaderathleten in Deutschland betroffen oder betroffen gewesen. Die Mehrheit dieser Athletinnen und Athleten war bei der ersten Erfahrung sexualisierter Gewalt im Sport unter 18 Jahre alt. Dieses Resultat ergab eine Online-Befragung im vergangenen November. Neben sexualisierten Gewalthandlungen mit Körperkontakt wurden in die Studie auch solche ohne Körperkontakt oder grenzverletzendes Verhalten mit einbezogen. Per Definition gehören dazu auch, angestarrt zu werden, blöde Sprüche ertragen zu müssen oder anderen beim Sex zuschauen zu müssen.
"Ein Drittel der Kaderathleten und -athletinnen, die wir befragt haben, haben eine Form sexualisierter Gewalt erlebt", sagte Bettina Rulofs vom Institut für Soziologie und Genderforschung an der Deutschen Sporthochschule Köln in der ARD. "Und eine von neun Personen, die wir im Bereich des Wettkampf- und Leistungssports befragt haben, hat auch schwere oder länger andauernde sexualisierte Gewalt erlebt." Rulofs und ihr Team von der Deutschen Sporthochschule haben die Studie gemeinsam mit der Abteilung Kinder- und Jugendpsychiatrie der Universitätsklinik Ulm durchgeführt. Der Ulmer Projektleiter, Kinder- und Jugendpsychiater Marc Allroggen, differenzierte weiter: "Schauen wir uns nur den Bereich von sexueller Gewalt mit Körperkontakt an, so kann man sagen, dass etwa fünf Prozent der Sportlerinnen und etwa ein Prozent der Sportler betroffen gewesen sind." Damit bewegen sich die Zahlen bei jugendlichen Sportlern in dem Rahmen, der vergleichbar ist mit Betroffenen in der allgemeinen Bevölkerung.
Kontaktpersonen und Qualifizierung
Doch unabhängig von allen Prozentzahlen ist jeder Fall von sexualisierter Gewalt gegenüber Kindern und Jugendlichen einer zu viel. Die meisten der Opfer leiden auch Jahrzehnte danach noch unter dem Missbrauch und seinen Folgen. Sie haben Scham- und Schuldgefühle, nicht wenige leiden unter Bindungsängsten oder bekommen infolge des erlittenen psychologischen Traumas Essstörungen oder werden sogar drogenabhängig.
"Die Daten bestätigen, dass Sportverbände und -vereine in der Verantwortung stehen, den Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexualisierten Übergriffen zu optimieren", sagte Rulofs nach Veröffentlichung der Studie im Deutschlandfunk. Teilweise wurde diese Forderung bereits erfüllt, wie die Deutsche Sportjugend, die ebenfalls am Projekt "Safe Sport" beteiligt ist, bei ihrem Fachforum in Leipzig präsentierte. Demnach haben alle Landessportbünde spezifische Ansprechpartnerinnen oder Ansprechpartner für die Prävention sexualisierter Gewalt benannt. In 80 Prozent der Spitzenverbände und etwas mehr als der Hälfte aller Sportverbände mit besonderen Aufgaben (VmbA) sind solche Ansprechpersonen ebenfalls vorhanden. Bei den VmbA handelt es sich um 20 Sportverbände, die im Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) organisiert sind, und sich schwerpunktmäßig um Wertevermittlung, Bildung, Wissenschaft und Gesundheit im und durch Sport kümmern.
Eine weitere Präventionsmaßnahme: In fast allen Bundesländern werden für Trainer und Übungsleiter spezielle Qualifizierungsmaßnahmen angeboten. In der übergeordneten Ebene der Landessportbünde ist das Thema also präsent.
Mehr in Prävention investieren
Dagegen hapert es laut Deutscher Sportjugend noch an einigen Stellen an der Basis, den rund 90.000 Sportvereinen. Hier sind noch nicht alle Verantwortlichen ausreichend für sexualisierte Gewalt sensibilisiert. Schutzmaßnahmen müssten konkret umgesetzt werden. Im Rahmen einer repräsentativen Vereinsbefragung gab nur die Hälfte der befragten Vereine an, dass das Thema überhaupt relevant für Sportvereine sei. Und nur gut ein Drittel der Vereine setzt sich eigenen Angaben zufolge bereits aktiv gegen sexualisierte Gewalt ein. Regelmäßige Schulungen zum Thema werden aber nur in den wenigsten Vereinen durchgeführt. Und nur jeder zehnte Sportverein hat eine bestimmte Ansprechperson, an die sich Opfer sexualisierter Gewalt wenden können.
"Wir müssen mehr in Prävention investieren. Das ist das, was ich von der Politik, aber auch vom organisierten Sport fordere", sagte daher Johannes-Wilhelm Rörig, Missbrauchsbeauftragter der Bundesregierung, in der ARD. "Wir brauchen in allen Sportvereinen Schutzkonzepte und Ansprechpartner. Die Studie "SafeSport" zeigt: Dort wo ein Klima des Hinschauens besteht, ist die Gefahr, Opfer sexueller Gewalt zu werden, sehr viel geringer."