Die Angst vor der EU-Zuckerreform
15. November 2005Es wird bis zu vier Meter hoch und misst dabei gerade mal fünf Zentimeter im Durchmesser. Zuckerrohr schwankt im Wind wie einfaches Schilfgras. Doch die Pflanze birgt Potential. In den dicken Stangen stecken bis zu 18 Prozent reinen Zuckers. Der lässt sich vor Ort gewinnen und problemlos weitertransportieren. In den vergangenen 40 Jahren sind die Zuckerrohrflächen daher weltweit gewachsen. Auch in Afrika setzen viele Landwirte auf Zuckerrohr. Südlich der Sahara sind es vor allem Kleinbauern, die auf eigenem Land Zuckerrohr anbauen. Ruben Matango bestellt seit zehn Jahren seine Felder in Tansania. Er ist auch Vorsitzender der Vereinigung tansanischer Zuckerrohrbauern.
Zuckerrohr sei für Tansania extrem wichtig, es trage zur Bekämpfung der Armut bei, sagt Matango. Zuckerrohr sei die einzige Pflanze, auf die man sich wirklich verlassen könne. "Selbst wenn es einmal zuviel geregnet hat, kann man Zuckerrohr ernten. Und wenn es bei uns im Land eine Dürre gibt, dann verlieren die Landwirte einen Großteil ihrer Ernte, manchmal sogar alles. Beim Zuckerrohr ist das nicht so, da bleibt immer etwas zu ernten übrig."
Gewinne für AKP-Staaten
Mehr als 15.000 Landwirte haben sich in Tansania deshalb ganz auf den Anbau von Zuckerrohr spezialisiert. Zehn Prozent ihrer Produktion exportieren sie in die Europäische Union. Seit 1975 hat sich die EU nämlich verpflichtet, ehemaligen Kolonien in Afrika, der Karibik und im pazifischen Raum bestimmte Mengen Zucker abzukaufen; zollfrei und zu den hohen europäischen Preisen. Diese Bevorzugung für die so genannten AKP-Staaten hat den afrikanischen Zuckerrohrbauern bisher gute Gewinne gebracht, sagt Ruben Matango. "Aber jetzt soll das geändert werden. Die Preise werden um 39 Prozent gesenkt. Die Produktionskosten werden viel höher sein als die Preise im Export. Das wird unsere Industrie nicht überleben. Kein Kleinbauer mit geringen Ressourcen wird mehr Zuckerrohr anbauen", sagt der tansanische Zuckerrohrbauer.
Billige Produktion in Brasilien und Thailand
Profitieren werden dagegen zukünftig die Zuckerrohrbauern in Brasilien und Thailand. Sie bauen den preisgünstigsten Zucker überhaupt an - auf riesigen Flächen. Ihre Länder hatten bei der Welthandelsorganisation WTO Klage gegen die Zuckerpolitik der EU eingereicht. Die WTO entschied: Die EU muss ihre Handelsschranken abbauen und den Markt für preisgünstigen Zucker aus Asien und Südamerika öffnen. Diesem Urteil wird die EU voraussichtlich Ende November 2005 nachkommen. Dann soll der Rat der Agrarminister die Zuckerreform verabschieden. Glücklich wären darüber auch all diejenigen, die Süßes aus Zucker herstellen.
Sorgen auch in Europa
Gesunkene Rohstoffpreise würden jedoch auch in Europa das Aus für viele Zuckerproduzenten bedeuten. Seit über 80 Jahren kann der Anbau von Zuckerrüben hier nur durch staatliche Förderung überleben. Gemeinsam mit Zuckerrohrbauern aus ärmeren Ländern wie Tansania hat sich Dieter Langendorf von der deutschen Wirtschaftsvereinigung Zucker daher für eine andere Art der Reform eingesetzt. "Man hätte einen anderen Ansatz wählen können, der Mengenansatz wäre sehr vernünftig gewesen", sagt Langendorf. Die gemeinsamen Proteste hätten aber bisher nicht gefruchtet.
Auch wenn die Chancen schlecht stehen für eine Änderung der Reformvorschläge - Ruben Matango möchte sich weiterhin dafür einsetzen. Denn mit Entschädigungszahlungen können nur die Landwirte aus der EU rechnen. "Die gibt es nicht für die weniger entwickelten AKP-Staaten. Wir verstehen nicht, warum sie uns nicht die notwendige Unterstützung geben können. Wir wollen, dass sie erst mal abwarten und versuchen, unsere Probleme zu begreifen", sagt Matango.