Deutschland: Haushaltsstreit 2024 beendet - vorerst
13. Dezember 2023Mehr als 200 Stunden haben sie verhandelt und zum Schluss war offenbar noch eine Nachtsitzung nötig, bevor sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sowie Finanzminister Christian Lindner (FDP) einigen konnten, wie der Bundeshaushalt 2024 aussehen soll.
Der Anlass für Streit und Verhandlungsmarathon: Das Bundesverfassungsgericht hatte Mitte November die bisherige Haushaltspolitik der Regierung in Teilen gekippt. SPD, Grüne und FDP hatten bei ihrem Amtsantritt Ende 2021 ungenutzte Kreditermächtigungen aus der Corona-Pandemie über 60 Milliarden Euro für den Klimaschutz umgewidmet. Das sei verfassungswidrig, sagten die Richter. Diese Kredite fehlen nun, neu beantragt werden sollen sie aber nicht.
Drei Ziele im Blick - und trotzdem sparen
Stattdessen will die Koalition noch massiver sparen als das ohnehin schon vereinbart war - und gleichzeitig ihre großen politischen Ziele im Auge behalten. In den Worten des Kanzlers: "Wir treiben den klimaneutralen Umbau unseres Landes kraftvoll voran, wir stärken den sozialen Zusammenhalt und wir stehen eng an der Seite der Ukraine in ihrem Verteidigungskampf gegen Russland."
"Diese drei Ziele leiten uns unverändert, aber klar ist, wir müssen mit deutlich weniger Geld auskommen. Es geht auch um Kürzung und Einsparung", fuhr Scholz fort. Sparen, das ist ein zentrales Anliegen der FDP. Sie war mit der klaren roten Linie in die Verhandlungen gegangen, dass 2024 die in der Verfassung verankerte Schuldenbremse wieder eingehalten werden soll. Diese Regel schreibt vor, dass grundsätzlich nur so viel Geld ausgegeben werden darf, wie der Staat auch einnimmt. Neue Kredite darf der Bund nur in sehr geringem Umfang aufnehmen. Es sei denn, es liegt eine Notlage vor. Dann darf die Schuldenbremse ausgesetzt werden.
Hintertür Notlage
Die Hintertür des Erklärens einer Notlage will sich die Koalition offenhalten. Zum einen für den Wiederaufbau des Ahrtals, wo die Schäden nach den verheerenden Überflutungen 2021 noch nicht beseitigt sind. "Das Grundgesetz sieht ausdrücklich vor, dass die Kreditobergrenzen zur Bewältigung von Naturkatastrophen und außergewöhnlichen Notsituationen angehoben werden können", betonte Olaf Scholz. 2,7 Milliarden Euro Fluthilfen sollen 2024 kreditfinanziert werden.
Unwägbarkeiten - und potenzielle Notlagen - werden mit Blick auf die Ukraine angenommen. Sechs Milliarden Euro sind für die Versorgung ukrainischer Flüchtlinge in Deutschland eingeplant, acht Milliarden Euro für direkte Hilfsleistungen an die Ukraine veranschlagt. Die Summen sollen aus dem regulären Haushalt finanziert werden.
Doch was wird, wenn beispielsweise die USA als stärkster Finanzier der Ukraine ausfallen?
Deutschland wird vielleicht noch mehr leisten müssen
Auf dem SPD-Parteitag hatte Scholz von einer "großen" finanziellen Herausforderung gesprochen, "wenn andere schwächeln". Daher müsse es auf deutscher Seite Entscheidungen geben, "dass wir dazu in der Lage sind". Gemeint ist damit die Aussetzung der Schuldenbremse, was die FDP eigentlich verhindern will.
Doch mit Blick auf die Ukraine scheint der Bundesfinanzminister eingelenkt zu haben, auch wenn sich Christian Lindner sehr verklausuliert ausdrückte: "Sollte sich die Lage verändern, die internationale Gemeinschaft gemeinsam Entscheidungen treffen, dann sind wir voll handlungsfähig. Auch für die Fälle, wo die Möglichkeiten, die der Bundeshaushalt bereitstellt, überschritten werden könnten."
Sparen an vielen Stellen
Jenseits von Fluthilfe und Ukraine-Krieg soll im Haushalt hingegen gespart werden - und das an vielen Stellen. Im Klima- und Transformationsfonds fehlen 12,7 Milliarden Euro für 2024, die bereits verplant waren. Betroffen von der Kürzung ist unter anderem die Sanierung des Schienennetzes der Deutschen Bahn. Die soll nun über den Verkauf von Bundesbeteiligungen finanziert werden. Die Bahn selbst will ihre Speditionstochter Schenker verkaufen.
Gekürzt werden soll bei der Förderung der Solar-Industrie, bei den Zuschüssen für klimaneutrale Heizungen und bei den Kaufprämien für Elektro-Autos. Die sollten eigentlich bis Ende 2024 gezahlt werden, doch damit ist nun früher Schluss. "Das tut mir weh, aber das ist der Preis dafür, dass die zentralen Bestandteile, die Säulen des Klima- und Transformationsfonds, erhalten bleiben", so Wirtschaftsminister Robert Habeck.
Tanken wird teurer, Plastik auch
Auch an anderen Stellen müssen Unternehmen und Bürger auf Zuschüsse verzichten. "Wir bauen klimaschädliche Subventionen im Umfang von drei Milliarden Euro ab", so Finanzminister Lindner. 1,4 Milliarden Euro davon entfallen auf die sogenannte Plastik-Abgabe der EU. Bislang wurde die aus dem Bundeshaushalt bezahlt; künftig sollen Unternehmen, die Plastik in Umlauf bringen, das selbst finanzieren. Kerosin soll in Zukunft besteuert werden, die Subventionen für Agrar-Diesel wegfallen.
Die CO2-Abgabe für den Verbrauch von Sprit, Heizöl oder Gas soll schneller erhöht werden als geplant. Derzeit beträgt der Preis 30 Euro pro Tonne. 2024 soll er nun auf 45 Euro steigen, statt wie bislang geplant auf 40 Euro. Benzin wird so etwa um 4,5 Cent pro Liter teurer. Die Staatseinnahmen würden so voraussichtlich um gut eine Milliarde Euro höher ausfallen. Ein eigentlich geplanter 5,5 Milliarden schwerer Bundeszuschuss für den Bau von Stromtrassen für die erneuerbaren Energien wird gestrichen. Das lässt den Strompreis absehbar steigen.
Laut Finanzminister Lindner sollen zudem 1,5 Milliarden Euro im Sozialbereich eingespart werden. Unter anderem, indem beispielsweise Ukrainer, die in Deutschland Zuflucht gefunden haben, schneller in den Arbeitsmarkt vermittelt werden.
CDU-Opposition: Trickserei
In einer ersten Reaktion kritisierte Friedrich Merz, der Vorsitzende der Oppositionsfraktion von CDU und CSU im Bundestag, die Einigung scharf. "Es ist finanzpolitische Trickserei, mehr ist es nicht." Die Koalition habe damit die Quadratur des Kreises versucht, um allen Regierungsparteien gerecht zu werden. Der CDU-Chef geht davon aus, dass die Regierung mit den geplanten Ausgaben nicht auskommen wird.
Mit Blick auf die "dramatische" Entwicklung in der Ukraine müsse spätestens Mitte nächsten Jahres eine Notlage ausgerufen werden. Die politische Stabilität nehme ab, die militärische Bedrohung zu.
Kritik an der Haushalts-Einigung kommt auch aus der Wirtschaft. Befürchtet werden höhere Kosten, wenn der CO2-Preis steigt.