SPD-Parteitag: Rückendeckung für Kanzler Scholz
9. Dezember 2023Die Stimmung war mies, als die 600 Delegierten der SPD aus ganz Deutschland in Berlin zum Bundesparteitag eintrafen. Wenn jetzt Bundestagswahl wäre, würden nur noch 14 Prozent der Wähler der SPD ihre Stimme geben. Vier von fünf Deutschen sagen, dass sie mit der Arbeit von Bundeskanzler Olaf Scholz unzufrieden sind - ein absoluter Tiefstwert.
"Draußen brennt die Hütte, die Menschen verlieren gerade den Glauben an uns", wetterte der Vorsitzende der Jusos, der Nachwuchsorganisation der SPD, Philipp Türmer. "Wo ist denn die SPD, wo ist der Kanzler und wie geht es jetzt weiter?", das werde sie zuhause von den Bürgern gefragt, formulierte eine sichtbar verunsicherte und aufgewühlte Delegierte.
Massiv sparen oder neue Schulden machen?
Vor zwei Jahren haben SPD, Grüne und FDP zusammen die Regierungsgeschäfte übernommen. Gestritten haben sie schon oft, aber die Krise war noch nie so groß wie jetzt. Mitte November hat das Bundesverfassungsgericht die Haushaltsführung der Regierung teilweise für verfassungswidrig erklärt. Dadurch fehlen der Koalition nach Berechnungen von FDP-Finanzminister Christian Lindner allein im Haushalt 2024 nun 17 Milliarden Euro.
SPD und Grüne würden das Problem am liebsten über neue Schulden lösen, doch die FDP pocht darauf, die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse, die einen ausgeglichenen Haushalt vorschreibt, wieder einzuhalten.
Kein Abbau des Sozialstaats
Eine Lösung in dem Streit zu finden, sei "eine sehr schwere Aufgabe", räumte Olaf Scholz vor den Delegierten ein. "Vor allem, wenn man es nicht nur so machen kann, wie man es selbst richtig findet, sondern sich auch noch mit anderen einigen muss." Er sei aber zuversichtlich, "dass uns das gelingen wird". Wie, das sagte der Kanzler nicht. Nur so viel: "Es wird keinen Abbau des Sozialstaats in Deutschland geben."
Das war das Mindeste, was die SPD von ihrem sozialdemokratischen Kanzler hören wollte, denn die FDP drängt auf Kürzungen beim Bürgergeld, der Grundsicherung für Arbeitslose. Das lehnt die SPD vehement ab und schlägt stattdessen vor, "ungerechte und klimaschädliche Subventionen" zu überprüfen und abzubauen. Das zielt unter anderem auf Autofahrer und wird von der FDP abgelehnt.
Schuldenbremse erst aussetzen, dann reformieren
Die Jusos würden die Schuldenbremse gerne abschaffen, konnten sich damit auf dem Parteitag aber nicht durchsetzen. Stattdessen wurde die Forderung beschlossen, die Schuldenbremse 2024 erneut aussetzen und sie anschließend zu reformieren. Sie sei eine "Modernisierungsbremse", Investitionen müssten von der Vorschrift, einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen, ausgenommen werden.
"China, die USA, Südkorea, Indien - die größten Volkswirtschaften der Welt investieren massiv in die klimaneutrale und digitale Modernisierung ihrer Länder", sagte Lars Klingbeil, der auf dem Parteitag zusammen mit Saskia Esken erneut an die Doppelspitze der SPD gewählt wurde. "Es geht um Jobs und Innovationen, Wohlstand und Sicherheit. Die Zukunft dieses Landes ist ein Staat, der investiert, der schützt, der Sicherheit in diesen turbulenten Zeiten gibt."
Deutschland muss vielleicht noch mehr zahlen
Rechtlich begründet werden soll die Aussetzung der Schuldenbremse 2024 mit dem anhaltenden Krieg in der Ukraine. Der Kanzler sprach in diesem Zusammenhang von einer "großen" finanziellen Herausforderung. "Wir unterstützen die Ukraine weiter bei ihrem Verteidigungskampf", versprach Olaf Scholz. Allerdings werde der Krieg wahrscheinlich "so schnell nicht vorbei" sein. Daher sei wichtig, "dass wir lange in der Lage sind, das zu tun, was notwendig ist".
Deutschland müsse sich sogar darauf einstellen, noch mehr leisten zu müssen, "wenn andere schwächeln", sagte der Kanzler und spielte damit offensichtlich auf die politische Lage in den USA vor den Präsidentschaftswahlen im kommenden Jahr an. Daher müsse es auf deutscher Seite Entscheidungen geben, "dass wir dazu in der Lage sind".
Dem Rechtspopulismus begegnen
Still wurde es im Saal, als Olaf Scholz in seiner 51 Minuten langen Rede auf das Erstarken rechtspopulistischer Parteien in vielen Ländern Europas und der Welt zu sprechen kam. Das habe mit den großen Veränderungen zu tun, viele wüssten nicht mehr, "ob das für sie und ihre Familien gut ausgeht". Dem müsse man mit Zuversicht antworten und den Menschen erklären, dass sie auch in Zeiten der Globalisierung und des Aufstiegs anderer Nationen auf anderen Kontinenten eine gute Zukunftsperspektive hätten.
Ähnlich äußerte sich der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez, der auf dem SPD-Parteitag zu Gast war. Seine Partei, die PSOE werde sich zusammen mit der SPD gegen die Rechtspopulisten und Spalter durchsetzen und für ein offenes Europa werben.
Eindringliche Warnung vor der AfD
Sehr deutlich wurde der SPD-Fraktionsvorsitzende im Deutschen Bundestag, Rolf Mützenich, der eindringlich vor einem weiteren Erstarken der AfD in Deutschland warnte. "Hört gut zu", sagte Mützenich mit Verweis auf den Rechtsextremisten Björn Höcke, Vorsitzender der AfD-Fraktion im Landtag von Thüringen.
Höcke beschreibe Kinder mit Behinderung, die so geboren oder durch einen Unfall, durch Krankheit so geworden sind, als Belastung. "Das ist eine Schande!", so Mützenich. Am Ende werde es nicht nur bei den Kindern und Jugendlichen bleiben. "Dann kommen die Kranken, dann diejenigen, die so leben wollen, wie sie sich fühlen. Deshalb: Wehret den Anfängen!"
Staatspolitische Verantwortung
Mützenich bekam viel Beifall, aber noch mehr bekam Olaf Scholz - vielleicht auch, weil er sich sichtlich um Emotionalität und Leidenschaft bemüht hatte. Eigenschaften, die dem kühlen und rationalen Scholz nicht zu eigen sind. "Vielleicht werden wir Olaf kein andalusisches Temperament abverlangen können", sagte die saarländische Ministerpräsidentin Anke Rehlinger nach der Rede von Scholz. "Aber niemand hat mehr staatspolitische Verantwortung."
Den fünf Minuten währenden Applaus nahm Scholz flankiert von den SPD-Vorsitzenden Saskia Esken und Lars Klingbeil entgegen, die sehr erleichtert wirkten. Sie hatten im Vorfeld durchaus befürchten müssen, dass sich die Unzufriedenheit mit Scholz auch in der SPD auf dem Parteitag Bahn brechen würde. "Jeder im Raum konnte spüren, dass du hier zu Hause bist", sagte Esken, die von sich selbst meinte, sie sei "von Herzen angefasst".
Einig und geschlossen
Die Linie der Parteitagsregie war daher von Anfang an, den Zusammenhalt in der SPD zu beschwören. "Mit Geschlossenheit und Zuversicht hat die SPD die Wahl gewonnen", so Esken. "Die SPD hat zu sich gefunden, sie weiß wieder, wofür sie steht, dass sie steht und dass sie zueinandersteht." Auch Klingbeil versuchte, der Partei Mut zuzusprechen. "Die Aufgabe ist groß. Aber ich bin fest davon überzeugt, es gibt keine andere politische Kraft, die alles das erreichen kann."
Ob die Skeptiker überzeugt sind? Juso-Chef Philipp Türmer gab der Parteispitze eine Warnung mit auf den Weg: "Ich hoffe, dass Ihr Olaf an das erinnert, was wir hier auf dem Parteitag beschlossen haben."