Der NSU und eine Kinderleiche
14. Oktober 2016Zehn Morde werden dem Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) zur Last gelegt. Die neun männlichen Opfer hatten ausländische Wurzeln, das zehnte war eine aus Thüringen stammende Polizistin. Als Täter gelten die Neonazis Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos. Auch sie sind tot. Die beiden haben sich laut polizeilichen Ermittlungen am 4. November 2011 selbst gerichtet, um ihrer Festnahme zu entgehen. Fünf Jahre später taucht nun der Name Böhnhardt im Zusammenhang mit dem seit 2001 ungeklärten Mord an der neunjährigen Peggy auf.
Ihre sterblichen Überreste wurden im Sommer dieses Jahres in einem Waldstück in Thüringen nahe der bayerischen Grenze gefunden. Ob Peggy vor ihrem Tod sexuell missbraucht worden ist, ist nicht klar - der Verdacht besteht. Bei ihren Knochen wurden auch DNA-Spuren des mutmaßlichen Rechtsterroristen entdeckt. Dass Böhnhardt etwas mit dem Tod des Mädchens zu tun haben könnte, ist auf den ersten Blick eine naheliegende Vermutung. Allerdings stehen die Ermittler noch ganz am Anfang. Dass ihre Untersuchungen kompliziert und langwierig sein werden, steht außer Frage. Immerhin sind seit dem Tod des Kindes 15 Jahre vergangen.
Fall Peggy passt nicht in den NSU-Prozess
Den Weg der nun gefundenen DNA-Spur über einen so langen Zeitraum zurückzuverfolgen, stellt an sich schon eine große Herausforderung dar. Dass sie erfolgreich gemeistert wird, ist alles andere als sicher. Und so lange der DNA-Fund mit keinen weiteren belastbaren Spuren in Beziehung gesetzt werden kann, bleiben alle Vermutungen vage. Auch von Böhnhardts Komplizin Beate Zschäpe ist nichts zu erwarten. Die einzige Überlebende des mutmaßlichen Terrortrios muss sich seit Mai 2013 vor dem Münchener Oberlandesgericht wegen der rassistisch motivierten Mordserie verantworten - und schweigt fast durchgängig. Von den Taten ihrer Gesinnungsgenossen will sie immer erst im Nachhinein erfahren haben.
Außerdem ist es eher unwahrscheinlich, dass der Mordfall Peggy im NSU-Prozess behandelt werden wird. Zwar haben mehrere Anwälte von Opfer-Angehörigen schon angekündigt, entsprechende Beweisanträge stellen zu wollen. Doch die dürften vom Strafsenat mit der Begründung abgelehnt werden, es fehle der Bezug zur Anklage. Und die lautet auf zehnfachen rassistisch motivierten Mord sowie Bombenanschläge und Raubüberfälle.
NSU-naher Neonazi wegen Missbrauchs in Haft
Auch wenn die Akte Peggy keinen unmittelbaren Bezug zum NSU-Prozess hat, gibt es zwischen dem Trio und sexualisierter Gewalt gegen Kinder durchaus Anknüpfungspunkte. Das gilt vor allem für eine der wichtigsten Figuren aus dem persönlichen Umfeld der Rechtsextremisten: Tino Brandt. Der ebenfalls aus Thüringen stammende Neonazi wurde 2014 zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt - wegen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger. Brandt führte lange ein Doppelleben als treibende Kraft in der rechten Szene Thüringens und als V-Mann des Verfassungsschutzes.
Auch Böhnhardts mögliche Verwicklung in den Mord an einem neunjährigen Jungen 1993 in Jena erscheint plötzlich in einem anderen Licht. Der ebenfalls aus Jena stammende spätere NSU-Terrorist war zum Tatzeitpunkt 15 Jahre alt. Ein Schulfreund behauptete gegenüber der Polizei, Böhnhardt habe den Jungen getötet. Die Ermittlungen brachten allerdings keine greifbaren Ergebnisse. Das könnte sich jetzt ändern. Denn nach dem Fund der neuen DNA-Spur wird eine Sonderkommission der Thüringer Polizei alle seit 1990 ungeklärten Fälle von Kindstötungen untersuchen.