"Nightjet": Im Nachtzug von Berlin nach Paris
12. Dezember 202320:18 Uhr an Gleis 8 steht auf dem neuen Fahrplan des Berliner Hauptbahnhofs. Jeden Montag, Mittwoch und Freitag rollt der "Nightjet" künftig von der deutschen Hauptstadt nach Paris. Geplante Ankunft - solange keine Baustellen oder Streiks dazwischen kommen - ist gut 14 Stunden später um 10:25 Uhr am Gare de l'Est in der französischen Hauptstadt. Ende 2024 soll das Angebot auf die übrigen Wochentage ausgeweitet werden.
Die Wiederbelebung der vor neun Jahren eingestellten Nachtzug-Verbindung zwischen den beiden Hauptstädten ist für Verkehrsminister Volker Wissing und seinen französischen Amtskollegen Clément Beaune ein erfreulicher Bahntermin in Krisenzeiten. Nicht nur, weil der "Nightjet" Deutsche und Franzosen näher zusammenrücken lässt, sondern auch als Signal für den Klimaschutz. Die Eisenbahn soll den innereuropäischen Flügen Konkurrenz machen und damit beim Kampf gegen den Klimawandel helfen.
Vom Freundschaftsticket zur Pyjamafahrt
Der exzellent Französisch sprechende Wissing und Macrons Vertrauter Beaune haben in diesem Jahr bereits ein anderes deutsch-französisches Projekt auf die Schiene gebracht. Zum 60. Jahrestag des Élysée-Vertrages verschenkten sie zehntausende kostenlose Bahntickets an junge Erwachsene zwischen 18 und 27 Jahren - den "Deutsch-Französischen Freundschaftspass".
Die Renaissance der Nachtzüge hatte aber schon die Berliner Vorgängerregierung mit vorbereitet - während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft 2020. Das Projekt "TransEuropExpress 2.0" soll 13 europäische Metropolen über Nacht verbinden: neben Wien und Amsterdam auch Zürich und Barcelona - und eben Berlin und Paris.
Streit um den Halt Straßburg
Geht es nach den Wünschen der Politik, wird bald auch eine reguläre Schnellzugverbindung die Nachtzüge zwischen Berlin und Paris ergänzen. Ende 2024 könnten die ersten ICE und TGV auf die Strecke geschickt werden. Noch aber gibt es offene Fragen: Während die deutsche Seite aus Geschwindigkeitsgründen eine Streckenführung über Saarbrücken favorisiert, will der französische Verkehrsminister den Schnellzug unbedingt über Straßburg rollen lassen.
Die elsässische Metropole gilt in Frankreich als "Hauptstadt Europas" und wehrt sich heftig gegen einen Bedeutungsverlust im Wettbewerb mit Brüssel. Verkehrsminister Beaune sagte französischen Medien im Herbst, die Strecke solle nur vorübergehend über Saarbrücken, spätestens aber ab 2025/26 über Straßburg geführt werden. In trockenen Tüchern ist das Projekt gleichwohl noch nicht.
Sowohl der Schnellzug als auch der Nachtzug haben eine europäische Komponente. Als Brüssel vor zwei Jahren das "Europäische Jahr der Eisenbahn" feierte, setzte sich die EU-Kommission das Ziel, den Hochgeschwindigkeitspersonenverkehr in der Union bis 2030 zu verdoppeln.
Wirtschaftliche Schwierigkeiten
Nachdem für die Premierenfahrt nicht nur die beiden Minister, sondern auch Bahnmanager aus vier europäischen Staaten Tickets gelöst haben, geht der Zug am Dienstag mit der Rückfahrt von Paris nach Berlin in den Regelbetrieb. Die Nachfrage nach Fahrkarten ist nach DB-Angaben hoch. "Über die Feiertage sind die neuen Nachtzugverbindungen sehr gut gebucht." Erst danach gebe es wieder "ausreichend freie Kapazitäten".
Doch die vielen Ticketverkäufe können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Renaissance der Nachtzüge einer politischen und keiner wirtschaftlichen Logik folgt. Nachtzüge gelten als unrentabel. Das deutsche Bahnmanagement hatte 2016 von Unternehmensberatern durchrechnen lassen, ob nicht wenigstens ein Teil der Nachtzugflotte zu retten sei. Doch das harte Urteil der Finanzprofis: keine Aussicht auf Gewinn. Das galt auch für den "City Night Line Perseus" zwischen Berlin und Paris, der 2014 eingestellt worden war.
Österreich rettet den Schlafwagen
Dass in Deutschland und anderen Ländern nach 2016 überhaupt noch Schlafwagen fuhren, ist den Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) zu verdanken. Die ÖBB hatte der DB damals das defizitäre Nachtzuggeschäft abgekauft, einige Strecken übernommen und weiterbetrieben - und ist nun auch beim Projekt Berlin-Paris mit an Bord.
Anders als der deutsche Staat wird Frankreich die Neuauflage der Nachtzüge zwischen den beiden Metropolen übrigens mit rund zehn Millionen Euro pro Jahr subventionieren. Nach zwei bis drei Jahren soll die Strecke aber rentabel sein, hofft man im Pariser Verkehrsministerium. Auch von einer belgischen Unterstützung profitiert das Projekt, denn der Zug aus Berlin wird jeweils in Mannheim geteilt und ein Teil rollt über Köln, Aachen und Lüttich nach Brüssel. In Belgien sind die Nachtzüge für zwei Jahre von Trassen- und Energiekosten befreit.
Frühbucher profitieren
Die staatlichen Zuschüsse sollen den Bahngesellschaften helfen, wettbewerbsfähige Preise anzubieten. Wer ausreichend früh bucht, bekommt derzeit für 29,90 EUR von Paris nach Berlin einen Sitzplatz oder für 93 Euro einen Schlafwagenplatz.
Die Lust am Übernachten im Zug ist den Reisenden während der Schlafwagenflaute übrigens nicht vergangen. In Frankreich buchten in diesem Sommer 215.000 Menschen einen Nachtzug - 15 Prozent mehr als im Vorjahr. In Deutschland lässt Verkehrsminister Wissing derweil in drei Forschungsprojekten die Frage nach modernen Nachtzugwagen und Wettbewerbshürden untersuchen. Ob damit der Weg in die schwarzen Zahlen geebnet ist, wird sich in den kommenden Jahren zeigen.