Der Libanon - wieder mittendrin
20. November 2017Drei Stunden dauert ein Flug von Riad bis nach Beirut. Doch Libanons Ministerpräsident Saad al-Hariri, der seinen Rücktritt im saudischen Fernsehen verkündet hatte, wählt für seine Rückkehr aus Saudi-Arabien einen Umweg - über Paris. Dort ist er bereits am Wochenende gewesen. Nach Kairo will er an diesem Dienstag reisen. Ob er diese Umwege freiwillig oder unfreiwillig auf sich nimmt, bleibt zumindest bis zu seiner Ankunft am Mittwoch (22. November) in seiner Heimat noch abzuwarten. Wenn er wirklich kommt. Das libanesische Präsidialamt zumindest teilte per Twitter mit, Hariri werde zum Unabhängigkeitstag im Libanon sein, um an den Feierlichkeiten teilzunehmen.
Mehr Rückhalt im Libanon denn je
Staatspräsident Michel Aoun hatte den Rücktritt des libanesischen Premiers nicht angenommen und forderte ein persönliches Rücktrittsgesuch. Ob Hariri ihm dieses überbringen wird, ist derzeit noch nicht bekannt. "Dabei hat die Situation Hariri unglaublichen Auftrieb verschafft", sagt Bente Scheller, Leiterin des Büros der Heinrich-Böll-Stiftung in Beirut. "Ich glaube, er war noch nie so populär wie jetzt." Wer durch Beiruts Straßen gehe, könne das sehen: Überall hingen Plakate des Noch-Premiers, Bilder von ihm vor der libanesischen Flagge, Jugendbilder und Banner auf denen "Wir wollen unseren Premierminister zurück" stehe. "Es sieht aus, als hätte man für Neuwahlen mit einem einzigen Kandidaten plakatiert", sagt Bente Scheller.
Rücktritt aus Riad
Am 4. November hatte Saad al-Hariri von Riad aus erklärt, er wolle von seinem Amt als Ministerpräsident des Libanon zurücktreten. Dabei erhob er schwere Vorwürfe und sagte, er rechne mit einem Anschlag auf sein Leben. Nach einem Rücktritt vom Rücktritt sieht es derzeit zwar eigentlich nicht aus. Aber dass Hariri nun über Paris und Kairo nach Beirut reist, wertet die französische Tageszeitung "Le Monde" als eine gesichtswahrende Lösung für Saudi-Arabien.
Aber selbst wenn Hariri nach Beirut kommt, ist nach seinem spektakulären Rücktritt bisher nur eines klar: Sein angekündigter Abschied aus dem Amt ist Teil des eskalierenden Regionalkonflikts zwischen Saudi-Arabien - der Schutzmacht der Sunniten - und dem Iran - dem Schutzherrn der Schiiten - und damit auch der im Libanon an der Regierung beteiligten Hisbollah. Dabei hatte der Zedernstaat am Mittelmeer in den vergangenen Jahren alles getan, um die Konflikte der Region aus seinem Land rauszuhalten. Seit Beginn des Syrien-Krieges 2011 und den Umwälzungen in anderen arabischen Staaten hatte der Libanon eine Politik der Distanzierung betrieben, mit dem Ziel, allen Konfliktparteien im Nahen Osten so weit es geht fern zu bleiben. Trotz der Tatsache, dass die schiitische Hisbollah ihre Milizen an der Seite von Syriens Präsident Baschar al-Assad kämpfen lässt.
Verschobene Machtverhältnisse
Stromengpässe, Müllkrise und weit über eine Million syrischer Flüchtlinge sowie jahrelanger politischer Stillstand prägten das Land. Dennoch war es verhältnismäßig ruhig. Nach zweijähriger Vakanz des Präsidentenpostens gelang es der Hisbollah 2016, ihren Kandidaten für das Amt zu platzieren: Michel Aoun. Möglich machte dies ein Deal mit Hariri und seinem Bündnis "14.März". Aoun ernannte Hariri daraufhin zum Ministerpräsidenten. Zwar führt Hariri diese Regierung der nationalen Einheit, dennoch war der eigentliche Sieger dieser Regierung die Hisbollah - sehr zum Missfallen Saudi-Arabiens, das sich zunehmend über die eindeutige Positionierung Aouns an der Seite des syrischen Präsidenten Assad ärgerte und der dem großen Einfluss der Hisbollah auf das politische Geschehen im Libanon ins Auge sehen musste. Auch Hariri wusste, dass sich die Machtverhältnisse zu seinen Ungunsten im Land verschoben hatten.
Nun, da sich das syrische Regime offenbar an der Macht hält und seine Gegner, so wie Saudi-Arabien, dagegen nur wenig ausrichten können, wächst die Gefahr für den Libanon wieder, Schauplatz eines Machtkampfes mit dem schiitischen Iran zu werden. Und der angekündigte Rücktritt Hariris fügt sich ein, in diesen saudisch-iranischen Machtkampf. Dass es Riad ernst ist, zeigte besonders die Äußerung des Ministers für Golfangelegenheiten, Thamer al-Sabhan. Der sagte, dass die nun führungslose libanesische Regierung aufgrund der Aggression der Hisbollah wie eine Regierung behandelt werde, die Saudi-Arabien den Krieg erklärte. Im Libanon ist man sich der Gefahr einer möglichen Eskalation bewusst.
Parteien halten zusammen
Dennoch, sagt Bente Scheller, wüssten alle Parteien, dass eine Eskalation im Libanon sie Unterstützung kosten würde. "Es wäre extrem unpopulär - und deswegen setzen alle viel daran, das zu verhindern." So auch Staatspräsident Aoun. Er hat inzwischen leisere Töne angeschlagen. Sprach er vor einigen Tagen noch davon, dass Saudi-Arabien Hariri "gekidnappt" habe, sagte er jetzt, man wolle keinen Konflikt mit Saudi-Arabien. Es könnte sogar sein, dass er auf Druck Saudi-Arabiens versuchen wird, die Hisbollah davon zu überzeugen, ihre Minister aus der Regierung abzuziehen - um der Stabilität Willen und um eine Regierungsbildung zu ermöglichen, sollte Hariri wirklich gehen.
Auch die Hisbollah schlägt ungewöhnlich leise Töne an. "Es wäre eine Gelegenheit gewesen, bei der man sich hätte vorstellen können, dass die Hisbollah ihr Profil schärft in der Abgrenzung zu Hariri, aber ich habe eher den Eindruck, dass sie sehr besonnene Worte gefunden hat", sagt Bente Scheller. "Sie sagen: Es ist ein nationales Interesse, dass der Premierminister zurückkommt." Außerdem streitet Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah ab, den Jemen mit Waffen zu versorgen. Seit 2015 zahlt dort die Zivilbevölkerung den Preis dafür, dass sich Saudi-Arabien und Iran indirekt erbittert bekriegen: Riad führt dort eine multinationale Allianz gegen die schiitischen Huthi-Rebellen an, die vom Iran unterstützt werden.
Politisches Vakuum möglich
Obwohl die etablierten Parteien gerade bemerkenswerte Einigkeit zeigen, würde der Rücktritt Hariris die politischen Geschäfte des Libanon auf unbestimmte Zeit lahmlegen. Parlamentswahlen, die für Mai 2018 anvisiert waren, würden erneut verschoben werden. Und sollte die Regierung Geschichte sein, ist die Frage, wer statt Hariri könnte den Posten des Ministerpräsidenten des Libanon übernehmen. Es würde schwer werden, einen Politiker aus den eigenen Reihen dazu zu bewegen, in einem solchen Klima mit der Hisbollah zusammenzuarbeiten. Und entgegen aller Wünsche Saudi-Arabiens: Vorbei an der Hisbollah kommt man beim derzeitigen Kräfteverhältnis im Libanon nicht mehr. Und eine Regierung - ohne den jahrelangen Unterstützer der Sunniten im Libanon Saudi-Arabien - dürfte ebenso schwierig werden.
Im Libanon hoffen alle darauf, dass die Rückkehr Hariris Unklarheiten ausräumen wird. Sollte Hariri einfach nur abtreten - ohne Konsequenzen für die Hisbollah, dann könnte dieser Schritt das Land in ein politisches Vakuum stürzen. Es sei denn, Hariri plant doch im Amt zu bleiben. Alles was er im Moment gewonnen habe, sagt Bente Scheller, könne eigentlich nur dem Zweck dienen, im Amt zu bleiben und auch für die Parlamentswahl 2018 gestärkt daraus hervorzugehen.
Daher ist es im Interesse aller, wenn Hariri am kommenden Mittwoch, am Unabhängigkeitstag, im Libanon wäre. Dann könnte er die Unabhängigkeit des Landes, die seit 1943 besteht, auch demonstrieren. Auch indem er im Amt bliebe.