Brasilien und das Dilemma der Korruption
11. Mai 2016Wenn es nach Dilma Rousseff geht, handelt es sich bei ihrer geplanten Amtsenthebung um ein Unding. Was man ihr antut, sei schlichtweg ungerecht. "Sie wollen eine unschuldige Frau verurteilen", sagte die brasilianische Präsidentin, nachdem der Kongress für ihre Suspendierung gestimmt hat. "Die Korrupten werden bleiben".
Wenn der Senat an diesem Donnerstag dem Kongress zustimmt, dann wird Rousseff zunächst für 180 Tage von ihrem Amt gesperrt. Ihr wird vorgeworfen, den Haushalt manipuliert zu haben, um ihre Wiederwahl 2014 zu sichern. Zudem wird sie in Verbindung mit einem Bestechungsskandal im Zusammenhang des staatlich kontrollierten Ölkonzern Petrobras gebracht. Doch bis zum endgültigen Beweis ihrer Schuld bleibt sie, wie sie selbst sagt, unschuldig. Das sehen die, die den Prozess gegen sie vorangetrieben haben - und die Regierung übernehmen wollen - anders. Die Korruption in Brasilien würde aber auch eine neue Präsidentschaft betreffen. Damit sinken die Chancen, dem Land eine gewisse Stabilität zurückzugeben.
Chaos im Abgeordnetenhaus
Zum Beispiel der Übergangspräsident des Abgeordnetenhauses Waldir Maranhao, der gerade erst in die Fußstapfen des suspendierten Eduardo Cunha getreten war. Gegen den Übergangspräsident des Abgeordnetenhauses wird ebenfalls in Zusammenhang mit der Bestechungsaffäre um den Ölkonzern Petrobas ermittelt. Am Montag entschied er, gegen die Anti-Rousseff-Abstimmung des Parlaments vorzugehen und diese für ungültig zu erklären.
Maranhao, ein Anhänger der "Fortschrittspartei", sagte, er wolle mit der Annullierung der Abstimmung vom 17. April im Abgeordnetenhaus "die Demokratie retten" und Fehler korrigieren, die "nicht wieder gutzumachen" wären. Sein Einwand wurde als "verfassungswidrig" und "absurd" abgestempelt. Maranhao ruderte daraufhin zurück und sagte am Dienstag, er habe sich umentschieden.
"Besser spät als nie"
Oder Eduardo Cunha, Maranhaos Vorgänger und Präsidentschaftsanwärter, der den Amtsenthebungsprozess gegen Rousseff losgetreten hatte und von seinem Amt als Parlamentspräsident suspendiert worden war. Er gehört der Partei der Brasilianischen Demokratischen Bewegung (PMDB) an. Auch Cunha wird verdächtigt, in Bestechungsaffäre verwickelt zu sein, in der in der sogenannten "Operation Autowaschanlage" ermittelt wird.
Rousseffs Reaktion auf seine Suspendierung lautete: "Besser spät als nie." Es sei ihr klar gewesen, dass solch ein brutaler Prozess, "nur von einem unmoralischen und prinzipienlosen Menschen losgetreten werden konnte, der in Geldwäsche und Offshore-Geschäfte involviert ist".
Verurteilung nicht immer ein Hindernis
Während sich Vizepräsident Michel Temer darauf vorbereitete, die Amtsgeschäfte Rousseffs zu übernehmen, wurde bekannt, dass er dafür eigentlich acht Jahre lang gesperrt ist. Temer, der auch der PMDB angehört, wurde im Jahre 2014 wegen der Annahme von illegalen Spenden verurteilt. Nach brasilianischem Gesetz dürfte er eigentlich für kein neues Amt mehr kandidieren, doch in seiner bestehenden Funktion als Vizepräsident könnte er dennoch die Präsidentschaft in diesem besonderen Fall übernehmen und damit mächtigster Mann Brasiliens werden. Er wäre dann der erste Präsident mit einer offiziellen Verurteilung.
Urteile und Schuldzuweisungen dominieren den Kongress
Von den 513 Mitgliedern des Abgeordnetenhauses haben 300 bereits Bekanntschaft mit der Justiz gemacht - 15 Prozent von ihnen wurden verurteilt. Im Senat haben 60 Prozent befleckte Westen. Eine Vielzahl der hochkarätigen Mitglieder, darunter auch Senatspräsident Renan Calheiros, ist in den Petrobras-Skandal verwickelt.
"Im Idealfall sollte kein Politiker, der auf der Liste der "Autowaschanlagen-Operation" steht, in ein künftiges Kabinett berufen werden. Doch wenn Temer Präsident wird, hat er fast niemanden mehr zur Auswahl. Also wird er behaupten, dass sie unschuldig sind, bis sie offiziell verurteilt werden", sagt Juliano Griebeler, politischer Analyst der Barral M Jorge Beratung in Brasilien.
Juliana Sakai, Koordinatorin von Transparencia Brasil, eine Organisation, die Straftaten von Politikern veröffentlicht, meint, dass das brasilianische Volk mehr Informationen über seine politische Kandidaten braucht. "Der Fokus liegt stets auf den eigentlichen Wahlen, aber bei den Kandidaten wissen die Leute gar nicht, für wen sie wählen. Es gibt viele Kandidaten und Parteien, aber nur wenig Informationen über diese Menschen." Diejenigen, die von Brasiliens langsamer Justiz und Vetternwirtschaft profitieren, sind die Politiker.