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Der Fall Dutroux

Leona Frommelt29. Februar 2004

Auf diesen Tag hat Belgien fast acht Jahre lang gewartet: Am 1. März 2004 beginnt in Arlon der Prozess gegen den Kinderschänder Marc Dutroux. Neben ihm gibt es eine unsichtbare Angeklagte: Die belgische Justiz.

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Der vermeintliche Mörder nach seiner Festnahme 1996Bild: AP

Sechs Kinder wurden im Umfeld von Marc Dutroux entführt und sexuell misshandelt, vier von ihnen ermordet. In Folge der pannenhaften Ermittlungen kam es zu Massenprotesten, zwei Minister traten zurück und selbst der Name des Königs tauchte im Umfeld des Skandals auf. Marc Dutroux hat Belgien in seine bislang größte Identitätskrise gestürzt.

Ein Skandal jagt den anderen

Dass die Jusitiz nicht immer auf der Höhe war, zeigte sich schon am Anfang der Affäre. Dutroux wurde bereits 1989 wegen Vergewaltigung von fünf Mädchen zu 13 Jahren Haft verurteilt. Doch nach drei Jahren kam er wegen guter Führung frei. Angeordnet hatte die Freilassung der damalige Justizminister Melchior Wathelet. Konsequenzen musste Wathelet wegen seiner Fehlentscheidung nicht tragen.

Ein Fahndungsplakat zeigt die beiden vermissten Mädchen Julie Lejeune und Melissa Russo, die am 17. Aug. 1996 tot aufgefunden wurden
Ein Fahndungsplakat zeigt die beiden vermissten Maedchen Julie Lejeune und Melissa Russo, die am 17. Aug. 1996 tot aufgefunden wurden.Bild: AP

Nach der Entführung der Mädchen Julie, Melissa, An und Eefje im Jahre 1995 geriet Dutroux zwar schnell ins Visier der Ermittler, diese agierten aber nur halbherzig. Tragischer Höhepunkt der Ermittlungsfehler: Am 13. Dezember 1995 hörte der Polizist René Michaux in Dutroux' Haus in Marcinelle plötzlich die Schreie von Kindern. Er kam voreilig zu dem Schluss, dass diese von draußen kommen mussten. Zur selben Zeit saßen Julie und Melissa in ihrem Verließ im Keller.

Grausam verhungert

Dieser Vorfall gab Spekulationen neue Nahrung, dass Dutroux gedeckt wurde und im Auftrag einflussreicher Gesellschaftskreise handelte. Erst nach den Entführungen von Sabine und Laetitia im Jahre 1996 wurde Dutroux verhaftet. Beide Mädchen konnten noch lebend aus dem Verließ gerettet werden. Die Leichen der vier anderen Mädchen fand die Polizei bei Ausgrabungen auf Dutroux' Grundstücken.

Die Fakten schienen nach der Festnahme schnell klar. Dutroux, seine Frau Martin und sein Komplize Michel Lelièvre entführten die Kinder, um Pornos zu produzieren. Als Kontaktmann zur potentiellen Klientel soll der Brüsseler Geschäftsmann Michel Nihoul gedient haben. Über die Hintergründe gibt es bis heute allerdings zwei Theorien: Entweder handelte die Bande allein oder im Auftrag und unter dem Schutz einflussreicher Personen.

Untersuchungsrichter abgesetzt

Dutroux Prozess in Arlon - Eltern
Paul Marchal, links, Vater der ermordeten An, Marie-Noelle Brichet, Mitte, Mutter der vermissten Elizabeth, und Labilla Benaissa, Schwester der vermissten Loubna, rechts, nehmen an der Veranstaltung "White March" in Bruessel am 20. Okt 1996 teil.Bild: AP

Die belgische Bevölkerung war nach den Pannen bei der Polizeiarbeit misstrauisch. Die Ablösung des Untersuchungsrichters Jean-Marc Connerotte, der als schonungsloser Aufklärer galt, brachte das Fass zum Überlaufen. Connerotte hatte an einer Veranstaltung für die Opfer Dutroux' teilgenommen, galt somit als befangen und wurde von dem Fall abgezogen. Die Bevölkerung reagierte empört, fünf Tage später demonstrierten 300.000 Menschen mit einem "Weißen Marsch" durch Brüssel.

Auch in der Folge wurde die Aufklärung des Falles durch gegeneinander arbeitende Justizbehörden verschleppt. Neuer Beweis für die Schlampigkeit der Polizei ergab sich am 23. April 1997, als das Unglaubliche geschah: Dutroux gelang die Flucht. Der Kinderschänder wurde zwar kurze Zeit später wieder festgenommen, Konsequenzen der Politik waren diesmal aber nicht mehr abwendbar: Justizminister Stefaan de Clerck und Innenminister Johan Vande Lanotte nahmen ihren Hut. Ein einheitliches Vorgehen bei der Aufklärung gab es bis heute nicht - erst im Januar 2003 wurden die Ermittlungen abgeschlossen.

Dutroux Prozess in Arlon - Gericht
Das Gericht in ArlonBild: AP

Die Anklageschrift umfasst 56 Seiten. 472 Zeugen sollen vor Gericht aussagen. Viele wichtige Zeugen liegen inzwischen allerdings auf dem Friedhof. Eine Tatsache, die die Spekulationen um ein pädophiles Netzwerk schürt. Tot ist zum Beispiel der ermittelnde Polizist Simon Poncelet. Er wurde nachts auf der Wache erschossen. Tot ist auch Schrotthändler Bruno Tagliaferro. Er wollte gegen Dutroux aussagen, wurde aber vergiftet; seine Frau verbrannte im Bett. Sex-Club-Besitzer Poiro kannte Nihoul und wurde erschossen. Und der Staatsanwalt Hubert Massa beging Selbstmord unter mysteriösen Umständen.

Die Welt schaut ab Montag (1. März 2004) nach Arlon. Hier wird nicht nur über die Dutroux-Affäre geurteilt, sondern auch über die belgische Justiz.