Druck auf Putin
3. Februar 2012Moskau wird am Samstag weiß. Nein, neuer Schnee wird in der russischen Hauptstadt nicht erwartet. Weiß ist die Farbe der Protestbewegung "Für faire Wahlen", die vor rund zwei Monaten entstanden ist. Die Teilnehmer der für den Mittag geplanten Kundgebung wurden aufgerufen, alles Weiße mitzubringen - weiße Bänder, weiße Schals oder weiße Luftballons.
Es wird die dritte große Demonstration seit der umstrittenen Parlamentswahl im Dezember sein. Bei den ersten zwei Aktionen am 10. und 24. Dezember waren Zehntausende auf die Straße gegangen - so viele Demonstranten wie seit Anfang der 1990er Jahre nicht mehr. Auch diesmal rechnen die Veranstalter mit bis zu 50.000 Teilnehmern. Dabei sind die Wetterbedingungen alles andere als günstig: Temperaturen von bis zu minus 17 Grad werden in Moskau erwartet. Doch die Veranstalter sehen das eher positiv. "Ich bin eigentlich sogar froh, dass es in Moskau nun frostig ist", sagte Boris Akunin, Schriftsteller und Mitbegründer der Nichtregierungsorganisation "Liga der Wähler", der DW. "Nun werden wir sehen, wie frostbeständig unser Protestwille ist."
"Eine liberale Revolution"
Die neue Kundgebung solle zeigen, dass die Zivilgesellschaft ihre Dezember-Forderungen nicht vergessen hat, heißt es auf der Seite der Veranstalter im Internet. Damals riefen die Demonstranten unter anderem zu Neuwahlen auf und verlangten einen Rücktritt des Leiters der Zentralen Wahlkommission. Nichts davon geschah. Eine Wiederholung der Parlamentwahl werde es nicht geben, sagte der russische Premierminister Wladimir Putin.
Der Schriftsteller und Aktivist Akunin sieht jedoch keinen Grund, enttäuscht zu sein: "Wir haben schon einiges erreicht." Die komplizierte Registrierung von Parteien sei reformiert und erleichtert worden. Ein Gesetz über direkte Gouverneurswahlen werde demnächst im Parlament diskutiert. "Noch ein halbes Jahr zuvor hätte das wie eine liberale Revolution in Russland ausgesehen", sagt Akunin. Doch damit allein werde sich die Gesellschaft nicht zufrieden geben.
Fokus auf Präsidentschaftswahlen
Der Protest richtet sich inzwischen immer mehr gegen den Regierungschef und Präsidentschaftskandidaten Putin. Der Zeitpunkt für die erneute Demonstration wurde nicht zufällig gewählt. Sie findet genau einen Monat vor der Präsidentenwahl statt, die für den 4. März geplant ist. Putin geht als Favorit ins Rennen. Die Wahl werde aber nicht fair sein, da die wirklich starken Gegner bereits im Vorfeld aussortiert worden seien, kritisiert Akunin. Außerdem gebe es Signale, dass auch diese Wahl gefälscht werden könnte. Das zu verhindern, indem man zeigt, dass die Zivilgesellschaft die Abstimmung genau beobachtet, sei das Ziel der "Liga der Wähler" und der Kundgebung "Für faire Wahlen".
Putin spürt offenbar den Druck der Zivilgesellschaft. Er hat liberale Reformen angekündigt und schloss nicht aus, Oppositionspolitiker in seine künftige Regierung einzuladen. Im russischen Fernsehen gab es zum ersten Mal seit Jahren ausgewogene Berichte über die Opposition. Auch die Polizei hat offenbar den Befehl bekommen, die Proteste nicht aufzulösen. Beide vorherigen Kundgebungen sind friedlich verlaufen. Die russische Polizei, die sonst gerne zum Schlagstock greift, hielt sich im Hintergrund.
Putin geht auf Zivilgesellschaft zu
Einen direkten Kontakt mit Vertretern der Zivilgesellschaft wie Akunin scheut der "Kandidat Nummer eins" aber immer noch. Putin sagte, ein solches Treffen sei zwar möglich, doch über den Zeitpunkt müsse man nachdenken. "Ich glaube, das wird sehr stark davon abhängen, was wir am 4. Februar in Moskau sehen", meint Gerhard Mangott, Russland-Experte an der Universität Innsbruck in Österreich. "Beide Seiten haben im Moment Schwierigkeiten, aufeinander zuzugehen."
Sollte die Kundgebung am Samstag genauso so groß sein wie die beiden vorherigen, werde Putin seine Haltung ändern und "zumindest Gesprächsbereitschaft" mit der Zivilgesellschaft signalisieren, glaubt Mangott. Bisher traf sich Putin lieber mit seinen Anhängern: Fußballfans, Amateur-Anglern oder Bergleuten.
Autor: Roman Goncharenko
Redaktion: Bernd Johann