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Wer ist Wayde?

15. August 2016

Es sollte eigentlich die Nacht des Usain Bolt werden. Ein anderer Läufer zeigt aber, dass nach dem Abtritt des Sprint-Dominators der nächste Star schon bereit steht: Wayde van Niekerk. Doch der ist ganz anders als Bolt.

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Rio Momente 14 08 Leichtathletik 400 m Männer Finale Wayde van Niekerk (Foto: Getty)
Bild: Getty Images/I. Walton

Wayde van Niekerk lächelt sanft. Es ist nicht so, als mache er gute Miene zu einem Spiel, das ihm nicht gefällt. Nein, vielmehr scheint ihn an diesem, an seinem großen Abend nichts ärgern zu können. Es ist bereits nach Mitternacht und Wayde van Niekerk sitzt im Pressesaal des Olympiastadions. Dort wird er fortdauernd zu Usain Bolt und dessen Leistung gefragt. Nicht, dass die Frage keine Relevanz hätte am Abend des 100-Meter-Finales. Aber van Niekerk hat sich vor ein paar Stunden Olympiagold über die 400 Meter geholt und ist dabei einen neuen Weltrekord gelaufen. Alle Aufmerksamkeit sollte in diesem Moment ihm gehören, ob er das nicht unfair findet, wird er gefragt. "Nein, gar nicht. Usain ist eine Inspiration. Er ist der größte Athlet, der König. Ich bin sehr dankbar, an diesem Abend hier zu sein."

Dankbar ist das Wort, dass er am häufigsten benutzt. Denn Wayde van Niekerk ist sehr gläubig. "Gott ist groß. Ich habe alles in seine Hände gelegt und habe Gott gedankt, als ich über die Ziellinie gerannt bin. Er hat mir dieses Talent gegeben." Seine eher gedämpfte Stimme verleiht seinen Worten einen besonderen Klang. Wayde van Niekerk, der in diesem Moment wie ein Gegentwurf zum stets polternden Showmaker Usain Bolt wirkt, glaubt, was er sagt. Er ruht in sich.

"Ich habe niemanden gesehen"

Zuvor auf der Tartanbahn ist er ebenfalls ganz bei sich selbst. Er hat auch keine andere Wahl: Wayde van Niekerk startet auf der ungünstigen Außenbahn acht ins 400-Meter-Finale und muss so der Konkurrenz vorausrennen. "Ich kann Ihnen nichts zum Rennen sagen, ich habe niemanden gesehen", sagt der Südafrikaner später, der bis zum Schluss gedacht hat, dass ihn doch irgendjemand überholen müsste. Doch das tut keiner. Im Gegenteil: Mit einem Schlussspurt setzt sich der 24-Jährige noch einmal ein Stück von seinen Konkurrenten ab und überquert die Ziellinie mit großem Vorsprung. 43,03 Sekunden zeigt die Uhr, Weltrekord. Die 17 Jahre alte Bestmarke des legendären US-Amerikaners Michael Johnson (43,18 Sek.) ist Geschichte.

Rio Momente 14 08 Leichtathletik 400 m Männer Finale (Foto: Getty)
Weit enteilt: Wayde van Niekerk gewinnt überlegen und stellt einen neuen Fabel-Weltrekord auf.Bild: Getty Images/R. Heathcote

Seine Gegner können da nur staunen: "Er ist einfach losgerannt und war weg. Ich habe noch gehofft, dass er vielleicht abbaut, aber das hat er nicht", sagt der Drittplatzierte LaShawn Merrit aus den USA nach dem Rennen. Van Niekerk, wieder ganz bescheiden, verneigt sich darauf vor seinen unterlegenen Gegnern, nennt sie Vorbilder, die ihn motiviert und schließlich hierher gebracht haben.

Erfolgsgeheimnis: Eine 74-jährige Trainerin

Wer ist dieser bescheidene Läufer aus Südafrika, den Michael Johnson bereits als "nächsten Star unseres Sports" bezeichnet? Wayde van Niekerk wurde 1992 in Kapstadt geboren und wurde von einer sportbegeisterten Familie geprägt. "Mein Stiefvater bestritt Langstrecken- und Marathonläufe, mein Vater betätigte sich als Hochspringer. Meine Mutter war ebenfalls Leichtathletin und startete - bis sie sie schwanger wurde - als Sprinterin und Hochspringerin. Ich habe das Erbe fortgeführt, Sport hat meiner Familie immer etwas bedeutet", wird van Niekerk zitiert. Sein Cousin Cheslin Kolbe holte vor ein paar Tagen mit dem Rugby-Team Südafrikas Bronze bei den Spielen von Rio.

Rio Momente 14 08 Leichtathletik 400 m Männer Finale Wayde van Niekerk (Foto: Reuters)
"Meine Trainerin ist eine einzigartige Frau, sie hat eine große Rolle für mich gespielt. Sie hat mich hierhin gebracht", sagt van Niekerk.Bild: Reuters/L. Nicholson

Der junge Wayde van Niekerk interessierte sich zunächst für Hochsprung, kam dort bis zu einer Höhe um 2,05 Meter. Dann entschied er sich für eine Karriere im Sprintbereich. Eine entscheidende Wegmarke stellt seine Teilnahme an der Junioren-WM 2010 im kanadischen Moncton dar. Der damals 18-Jährige wurde prompt trotz starker Konkurrenz Vierter. Das fiel auch einer Frau auf, die eine besondere Rolle in der Leichtathletik spielt: Ans Botha. Sie ist Trainerin, inzwischen stolze Ur-Großmutter und 74 Jahre alt. Seit fünf Jahrzehnten trainiert sie Leichtathleten. Sie war so überzeugt von van Niekerks Talent, dass sie damals schon mit ihm und seinen Eltern über "eine Medaille in Rio" sprach. Van Niekerk ist ihr bis heute dankbar. "Meine Trainerin ist eine einzigartige Frau, sie hat eine große Rolle für mich gespielt. Sie hat mich hierhin gebracht. Ich vertraue ihr."

Die Zusammenarbeit zeigte bald Wirkung: Wayde van Niekerk, übrigens glühender Fan des FC Liverpool, holte bei der Leichtathletik-WM in Peking 2015 für viele überraschend Gold. Seine Zeit damals: 43,48 Sekunden - ein Fingerzeig, zu was er im Stande ist. Nun wurde in jener Nacht von Rio, die eigentlich allein Usain Bolt gehören sollte, der zweite Olympiasieger aus Südafrika über die 400 Meter seit 1920. "Jetzt habe ich meine eigene Geschichte geschrieben", sagt van Niekerk und scheint für einen kurzen Moment seine Bescheidenheit abzulegen.