Absage für Brexit-Vordenker
21. September 2017Ein Vortrag zur Zukunft Europas - nichts Ungewöhnliches in Berlin. Im Regierungsviertel wird viel und oft über Brüssel, die EU und ihre Reformen debattiert. Das sollte am Mittwoch im Berliner Finanzministerium nicht anders laufen. Eingeladen hatte die Bundesakademie für öffentliche Verwaltung, eine Art Kaderschmiede für die Bundesbehörden. Der Titel des Vortrags: "Ein Europa der Zukunft".
Politische Weiterbildung, wie sie sich gehört. Na ja, fast, denn: Sprechen sollte ausgerechnet ein deutscher Repräsentant des britischen Think Tanks "Open Europe", jener Denkfabrik, der nicht wenige vorwerfen, die britische Öffentlichkeit durch polarisierende Studien und Anti-EU-Kampagnen in den Brexit hineingeschrieben zu haben.
Ein abgesagter Vortrag und viele offene Türen
Bei den Verantwortlichen löste das ein Nachdenken aus. Am Ende kam die Absage. In einer Rundmail hieß es, dies habe organisatorische Gründe. Auf Nachfrage klang das anders. Eine Mitarbeiterin der Bundesakademie bestätigte, man wolle den Vortrag zu einem "späteren Zeitpunkt" nachholen, mit einer "ausgewogeneren Besetzung". Der betroffene Repräsentant von Open Europe Berlin, Professor Michael Wohlgemuth, erklärte der DW, es habe Beschwerden gegeben mit Verweis auf die Rolle der Institution beim Brexit. "Das ist mir tatsächlich das erste Mal passiert", wunderte sich Wohlgemuth. Bis dato sei er bei Stiftungen und Ministerien immer auf offene Türen gestoßen, so Wohlgemuth weiter.
Doch genau diese offenen Türen seien ein Problem, meint Bernd Hüttemann, Generalsekretär der Europäischen Bewegung in Deutschland. Sein Verband setzt sich für mehr europäische Kooperation ein. Das Problem sei, dass viele nicht wüssten, dass hinter Open Europe "ein politischer Spin" stehe. "Auf den ersten Blick wirkt das wie eine neutrale, britische Position. Wer genau hinschaut, merkt aber, dass da eine ganz klare parteipolitische Meinung der europaskeptischen Konservativen vertreten wird", so Hüttemann weiter.
Wie lose darf Europa werden, bis es zerbricht?
Michael Wohlgemuth widerspricht - teilweise. Er habe "kein starkes politisches Statement abgeben", sondern über die Szenarien der EU-Weiterentwicklung sprechen, für ein "Europa der Clubs" werben wollen. Die Kritik, Open Europe habe die ideologische Spur gelegt, auf der die Briten in den Brexit schlafgewandelt seien, hält er für unangebracht.
Open Europe habe es meisterlich verstanden, der britischen Regierung das Rosinenpicken in Sachen EU-Mitgliedschaft beizubringen, sagt Bernd Hüttemann. "Sie haben so viele Bedingungen für einen Umbau Europas formuliert, dass der wachsende Berg an Forderungen irgendwann überquoll und nicht zu erfüllen war". Michael Wohlgemuth bestätigt diese politische Ausrichtung, verweist aber auf eine EU-freundliche Grundhaltung. Wer zweifle, der möge in die Publikationen schauen.
Leicht verdauliche Studienhäppchen
Genau das tut der in Berlin lebende Brite Jon Worth seit Jahren. Der Kommunikationsberater nennt das, was Open Europe schreibt, "extrem aggressives" Lobbying. "Ich denke, die deutsche Haltung zu Open Europe war einigermaßen naiv, weil so ideologiefixierte Denkfabriken in Deutschland nicht üblich sind", glaubt Worth. Sein Vorwurf: "Open Europe war am Steuer, wenn es darum ging, negative Stimmung gegen die EU zu befeuern." Wie eng der Austausch zwischen Tory-Regierung und Open Europe war, zeige auch das Personal-Karussell. Sämtliche Ex-Direktoren seit 2010 fanden dort Top-Jobs.
Jon Worth verweist auf eine Publikation von Open Europe zur EU-Regulierung mit dem Titel "Noch immer außer Kontrolle?" Darin argumentieren die Autoren, es sei "2,5 Mal kostengünstiger", Dinge nicht europäisch, sondern national zu regeln. Drei simple Fragen, die ein Journalist bereits vor sieben Jahren stellte, entlarven das System, sagt Jon Worth. Werden da nicht Äpfel mit Orangen verglichen, weil die EU und der Nationalstaat oft ganz andere Dinge regeln? Warum werden von der EU verursachte Kosten mit dem britischen Haushaltsdefizit verglichen, außer um dem Leser zu suggerieren, wie schlimm die EU doch ist? Und wie sollte man all das wirklich sauber messen, ohne in die Glaskugel zu schauen?
Die Antwort des damaligen Direktors von Open Europe, Mats Persson, war: "Es ist keine exakte Wissenschaft, aber soll uns eine Idee geben." Und für Jon Worth ist klar, was das für eine Idee war: "Wenn David Cameron über EU-Reformen sprach, dann meinte das eigentlich nur weniger EU, wo immer möglich."
Keine Transparenz erwünscht
Da wirkt es umso befremdlicher, dass Open Europe zwar von der EU ein Höchstmaß an Transparenz einfordert, seine eigenen Finanzen und Finanziers aber geheimhält. "Sie können bei Open Europe nicht nachvollziehen, wo das Geld herkommt und damit auch nicht sagen, wer im Hintergrund die Leitlinien vorgibt", kritisiert Hüttemann. Es heißt, einflussreiche, höchst europaskeptische Privatleute aus der Londoner City seien am Werk. Bestätigen kann das niemand.
Und so bleibt ein Widerspruch bei der Wahrnehmung bestehen. Während deutsche Medien und Ministerien den Think Tank noch als neutral wahrnehmen, reden britische Qualitätsmedien anders. In der "Financial Times" wurde Open Europe beschrieben als "Geschäftsgruppe, die aus der EU einen losen Wirtschaftsverbund machen will". Die Wochenzeitung "The Economist", selbst über Jahre für kompetente EU-Kritik bekannt, nannte sie eine "kleine, extrem fleißige Kampagne von Europaskeptikern".
Europaskepsis auf die Bühne heben?
Die britische Botschaft in Berlin teilte auf Nachfrage mit, man habe keine "formalen oder finanziellen Beziehungen" zu Open Europe. Aber man sei mit vielen Think Tanks in Kontakt, um informiert zu bleiben. Seit 2014 gab es zumindest bei offiziellen Veranstaltungen viele persönliche Treffen. Höchste Zeit, dass das anders wird, findet Bernd Hüttemann. Denn Zuspruch für Open Europe hierzulande befördere das europaskeptische Klima in Großbritannien. "Wenn sie auf der Insel die Boulevard-Zeitungen lesen, dann lesen sie: Open Europe im Bundesfinanzministerium - großer Zuspruch."