Frankreich stellt die Machtfrage auf dem EU-Gipfel
16. September 2010Der Streit um die Roma-Ausweisungen aus Frankreich und Versuche der EU, eine gemeinsame Linie in Währungs- und Außenhandelsfragen zu finden, diese beiden Dinge haben zunächst einmal nichts miteinander zu tun. Zufällig fielen die Themen bei diesem EU-Gipfel zusammen. Doch die Situation wirft ein Schlaglicht auf den gegenwärtigen Zustand der Europäischen Union. Und der ist erbärmlich.
Heikles Thema: Roma
Die Wortgefechte zwischen Justizkommissarin Viviane Reding und den wichtigsten Mitgliedern der französischen Regierung bis hin zum Staatspräsidenten hatten einen Ton erreicht, der schriller kaum hätte werden können. Reding hat sich inzwischen von der Parallele zu den Deportationen der Roma während des Zweiten Weltkriegs distanziert. Der Streit um die Sachfrage geht aber weiter: Hat Frankreich eine Gruppe von Menschen wie die Roma wegen ihrer ethnischen Herkunft ausgewiesen und damit gegen europäisches Recht verstoßen?
Etwas Anderes bei dieser Auseinandersetzung wird aber oft übersehen: Es geht hier auch um einen Machtkampf zwischen der Kommission und einem Mitgliedsstaat. Der ging so weit, dass man sich gegenseitig die Rolle als "Hüter der Verträge" streitig gemacht hat. Dann der französische Hinweis, ein "großes Land" wie Frankreich müsse sich so etwas nicht gefallen lassen. Das veranlasste prompt einen Europaabgeordneten aus Österreich zu dem Umkehrschluss, die Kommission dürfe europäisches Recht offenbar nur gegenüber "kleinen Ländern" durchsetzen. Man merkt an den Vorgängen, in welches Wespennest die Beteiligten gestochen haben. Die Offenheit und Heftigkeit des Streits ist zwar neu, es muss aber lange unter der Oberfläche gebrodelt haben.
Wo bleibt der Inhalt?
Damit zurück zu den eigentlichen Gipfelthemen: Stärkung des Stabilitätspakts und die Beziehungen zu wichtigen Drittstaaten wie China. Die Interessensunterschiede zwischen einzelnen Mitgliedsländern bei diesen Themen sind zum Teil sehr groß. Die EU krankt aber daran, dass sie gespalten nicht viel ausrichten kann und auf der Weltbühne so lange schwach bleiben wird, wie sie nicht als Einheit auftritt. Wenn sich jetzt aber nicht nur einzelne Mitgliedsstaaten beharken, sondern ein Land auch noch die Rolle der Kommission infrage stellt, dann ist etwas grundsätzlich faul. Dann ist Europa auf dem besten Weg zurück in eine Zeit, als sich wirklich die Großen durchsetzten. Nur sind eben die Großen in Europa immer noch klein im Weltmaßstab. Das sollten sich alle Beteiligten noch einmal bewusst machen.
Autor: Christoph Hasselbach
Redaktion: Nicole Scherschun