Das Gesicht der Moskauer Proteste
6. August 2019Wenn in diesen Tagen Demonstranten auf Moskauer Straßen "Für die Liebe" rufen, dann ist sie gemeint: Ljubow Sobol. Denn ihr Vorname "Ljubow" bedeutet auf Russisch "Liebe". Dabei ist die Stimmung alles andere als liebevoll. Die Wut der Protestler richtet sich sowohl gegen die Entscheidung der Behörden, einige Dutzend oppositionelle Kandidaten, darunter Sobol, nicht zu einer Kommunalwahl zuzulassen, als auch gegen das harte Vorgehen der Polizei bei einer Protestaktion am vergangenen Samstag.
Als auch Sobol daran teilnehmen wollte, holten Polizisten die junge Frau im rosafarbenen Kapuzenpulli aus einem Taxi und führten sie ab. So konnte die Oppositionspolitikerin gar nicht erst an dem nicht genehmigten sogenannten "Protestspaziergang" teilnehmen, bei dem mehr als 800 weitere Moskauer festgenommen wurden. Bereits vor einer Woche gab es bei einer ähnlichen Protestkundgebung mehr als 1300 Festnahmen und viele Verletzte. Sobol landete vor einem Gericht, wo sie wegen der Teilnahme an einer früheren Protestaktion zu einer Geldstrafe verurteilt wurde. In einem weiteren Verfahren wurde sie vom Ermittlungskomitee als Zeugin vernommen und erst am späten Abend wieder freigelassen.
Seite an Seite mit Nawalny
Seit Wochen gehen in Moskau Menschen für faire Wahlen auf die Straße. Auslöser ist die im September bevorstehende Wahl zum Moskauer Stadtparlament, zu der Sobol und weitere oppositionelle Jungpolitiker nicht zugelassen wurden. Die Behörden begründen dies mit angeblich falschen Unterschriften, die die Kandidaten eingereicht hätten.
Die sonst als unbedeutend empfundene Kommunalwahl in Moskau schlägt diesmal hohe Wellen, weil die Bevölkerung der Hauptstadt als besonders Kreml-kritisch gilt. Vor dem Hintergrund sinkender Popularitätswerte der Kreml-Partei "Geeintes Russland" gilt sie als wichtiger Stimmungstest. Die Protestwelle erinnert an die Bewegung für faire Wahlen in Winter 2011/2012, obwohl sie noch bei weitem nicht deren Ausmaße erreicht. Doch auch sie richtet sich gegen das politische System von Präsident Putin. Ähnlich wie damals gibt es keine klaren Anführer, doch Ljubow Sobol kristallisiert sich als eine der treibenden Kräfte heraus.
Bekannt ist die 31-Jährige als Juristin der "Stiftung gegen Korruption" des Oppositionspolitikers Alexej Nawalny, der sich vor allem als Putin-Kritiker positioniert. Sobol studierte Jura an der renommierten Moskauer Lomonossow-Universität und engagiert sich seit Jahren an der Seite von Nawalny. 2018 wurde sie in ein Führungsgremium seiner Partei "Russland der Zukunft" gewählt. Die Partei ist allerdings nicht zugelassen und darf nicht an Wahlen teilnehmen.
Vor diesem Hintergrund konzentrieren sich Nawalny und sein Team immer stärker auf das Internet, wo sie ihre Videos über Korruption in den Machtzirkeln in sozialen Netzwerken verbreiten. Sobol spielt dabei eine zentrale Rolle. Sie ist Produzentin des YouTube-Kanals "Nawalny-Live" mit mehr als einer Million Abonnenten und tritt selbst vor der Kamera auf.
Kampf um mediale Präsenz
Für Sobol ist es bereits der dritte Anlauf bei der Wahl in den Moskauer Stadtrat seit 2014. Zuvor zog sie ihre Bewerbungen zurück, mal wegen nicht ausreichender Unterschriftenzahl, mal wegen fehlender Absprachen mit anderen Oppositionsparteien. Diesmal lief es zunächst besser für sie und sie konnte deutlich mehr Unterschriften als nötig sammeln. Doch die Wahlkommission befand, dass rund 14 Prozent der eingereichten Unterschriften "nicht korrekt" gewesen seien. Sobol bestreitet das.
Dabei sorgt auch Sobol selbst gerne für Schlagzeilen. Noch vor der Absage der Zulassung gab es einen Skandal um Anna Federmesser, eine wegen ihres Engagements für Hospize beliebte Aktivistin, die im gleichen Wahlkreis wie Sobol antreten wollte. Nawalny, Sobol und andere Oppositionelle forderten sie auf, das nicht zu tun. Sie argumentierten, die Kreml-Partei "Geeintes Russland" wolle mit ihrer Hilfe eine oppositionelle Politikerin verhindern. Federmesser gab nach und sagte dazu, sie habe dem Druck nicht standhalten können. Federmesser habe "eine richtige Entscheidung getroffen, indem sie ihre Kandidatur zurückgezogen hat und an der schmutzigen Kampagne der Moskauer Stadtregierung nicht teilnimmt", lobte Sobol die Aktivistin in einem Interview mit DW-Reporterin Zhanna Nemtsova im Juni.
Nawalnys "smarte Abstimmung"
Aus Protest gegen die Nichtzulassung zur Wahl ist die Oppositionspolitikerin Mitte Juli zwischenzeitlich in Hungerstreik getreten. Dann wollte sie das Gebäude der Moskauer Wahlkommission nicht verlassen und wurde von Polizisten auf einem Sofa buchstäblich hinausgetragen. Sollte sie doch nicht an der Wahl teilnehmen können, will Sobol Nawalnys Taktik anwenden, die er "Smarte Abstimmung" nennt. Wähler werden aufgerufen, für jeden beliebigen Kandidaten abzustimmen, solange dieser nicht der Kreml-Partei "Geeintes Russland" angehört.
Nicht alle finden die Art, wie Sobol ihre Ziele verfolgt, gut. Kritik gab es, als die Politikerin im Flur des Radiosenders "Echo Moskwy" versucht hatte, der hochschwangeren Chefin des Auslandssenders Russia Today, Margarita Simonjan, kritische Fragen zur Moskauer Kommunalpolitik zu stellen und sie dabei filmte. Simonjan beschwerte sich danach darüber, von Sobol belästigt worden zu sein. Sobol dagegen sagte im DW-Interview, sie habe viel Zuspruch erhalten: "Die Zahl meiner Abonnenten in sozialen Netzwerken wuchs nie so schnell und meine Einträge bekamen noch nie so viele "Gefällt-mir"-Buttons wie nach dem Vorfall mit Margarita Simonjan."