Das EU-Dilemma des Donald T.
31. Mai 2018Zu Beginn dieser Woche hat es auch der französische Wirtschaftsminister noch einmal versucht. Nicht direkt in Washington, aber in einem Interview mit der britischen "Financial Times" erklärte Bruno Le Maire seine Sicht der Dinge: "Wir sollten viele gemeinsame Ziele verfolgen, etwa die Frage der Überkapazitäten der Stahlindustrie anzugehen. Wie können wir sicherstellen, dass es eine tatsächliche Handelsplattform gibt, deren Regeln weltweit Gültigkeit haben?" Dass damit eine mögliche Reform der Welthandelsorganisation WTO gemeint sein könnte, war aus dem Interview herauszulesen. Wenn, ja wenn da nicht dieses Damoklesschwert wäre. "Wir können das unmöglich angehen, wenn gleichzeitig die Drohung mit ungerechtfertigten Strafzöllen über unseren Köpfen schwebt."
Eine gewisse Ratlosigkeit
Le Maire's Worte lassen sich als Fortsetzung dessen verstehen, was andere europäische Politiker zuletzt zu diesem Thema gesagt haben. Manche machten dabei auch aus einer gewissen Ratlosigkeit keinen Hehl. "Ehrlich gesagt, dafür habe ich keine Erklärung. In der Tat ist das ein bisschen widersprüchlich", sagte US-Handelskommissarin Cecilia Malmström dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" auf die Frage, wie die USA die Europäer auf der einen Seite als Gegner behandeln und auf der anderen Seite, etwa gegen China, gemeinsame Sache machen wollten. Zuvor hatte der deutsche Wirtschaftsminister Peter Altmaier - ebenfalls im "Spiegel" - der US-Administration bereits vor zwei Monaten signalisiert: Die Europäische Union sei bereit, sich mit den USA zusammenzutun, um zwei zentrale Probleme mit den Chinesen anzusprechen - die Überproduktion der Stahlindustrie und den Diebstahl geistigen Eigentums. Zwei Themen, bei denen Brüssel und Washington durchaus gemeinsame Interessen verfolgen.
Am Pranger: China
Dabei haben die Europäer eine für ihre Verhältnisse seltene Eigenschaft an den Tag gelegt: Sie sprachen mit einer Stimme zu US-Präsident Donald Trump. Im Kern ging es darum, Trump und seinen Leuten klar zu machen, dass es keine gemeinsame transatlantische Initiative gegen China geben wird, solange die Sache mit den Strafzöllen in der Welt ist. Und: Europa ist entschlossen, sich mit eigenen Sonderzöllen zu rächen, wenn Washington die Entscheider in Brüssel dazu zwänge.
Die Haltung der Europäer, dass der Grund für die massiven Überkapazitäten auf dem Weltmarkt bei Stahl in Peking und nicht etwa in Brüssel selbst zu finden sei, wird von den meisten Wirtschaftsexperten geteilt. Der "World Steel Association" zufolge ging im vergangenen Jahr fast die Hälfte der Gesamtproduktion auf das Konto Chinas, die Staaten der EU hingegen produzierten gerade einmal zehn Prozent. Die USA kommen auf knapp fünf Prozent.
Doch zeigen diese Fakten und die Worte aus Brüssel Wirkung? Bei einem Präsidenten, der stets bereit ist, seinen starken protektionistischen Impulsen nachzugeben, nach dem Wahlkampfmotto "America first"? An diesem Freitag, am 1. Juni, läuft die Frist aus. Seit Monaten schwelt der Handelsstreit, und Donald Trump hatte an sich angekündigt, dass er die Ausnahmeregelungen für die EU bei den geplanten Importzöllen auf Stahl- und Aluminiumprodukte nicht weiter verlängern, sondern eine endgültige Regelung treffen will. Wie die Sache ausgeht, ist selbst für Eingeweihte in Washington schwer vorherzusagen. Während Experten auf beiden Seiten bis zum letzten Augenblick an einer Kompromisslösung arbeiten, kann ein einziger Tweet von @realDonaldTrump solche Ergebnisse über den Haufen werfen. Im übrigen sah es zuletzt ohnehin nicht nach einer Einigung aus, wie das "Wall Street Journal" am Mittwoch berichtete. Die Strafzölle würden kommen. Es könne höchstens sein, dass sich der Zeitpunkt noch einmal verschiebt.
"Sehr besorgt"
"Das weiß niemand", sagt Jennifer Hillman auf die Frage, mit welcher Entscheidung des Präsidenten sie denn rechne. Hillman hat früher für die US-Regierung auf diesem Gebiet Verhandlungen geführt und als Richterin bei Streitfragen für die WTO gearbeitet. Persönlich sei sie allerdings "sehr besorgt". Denn sie erlebe die US-Administration entschlossener denn je, in einen Handelskrieg mit der Europäischen Union einzusteigen. Was die eigentlichen Motive angeht, so fischt auch Simon Lester vom Cato Institute im Trüben. "Ich habe keine Antwort darauf, warum Trump und seine Leute das machen." So hatte der Präsident zusätzlich auch noch mögliche Einfuhrzölle auf Autos von bis zu 20 Prozent ins Spiel gebracht.
Die EU als Sonderfall
Sollte sich die EU mit ihrer Forderung durchsetzen, dauerhaft von den Importabgaben verschont zu bleiben, würde sie zu einem globalen Sonderfall. Denn viele andere Länder haben diese Zölle schon: 25 Prozent auf Stahl und zehn Prozent auf Aluminiumimporte. Selbst Südkorea, wichtigster Partner bei den Atomverhandlungen mit Nordkorea, hat es getroffen. Genauer gesagt: Südkorea musste einen heftigen Preis bezahlen, um von den Zöllen ausgenommen zu werden. Im Rahmen eines Abkommens mit der US-Regierung verpflichtete sich das asiatische Land zu einer Quotenregelung, die eine Reduzierung um bis zu 70 Prozent des Handels mit Stahlprodukten vorsieht, gemessen an den Zahlen der vergangenen drei Jahre. Andere Einschränkungen kommen dazu. Insgesamt ist es ein Paket, das die Handelsexpertin Hillman als "ziemlich drakonisch" bezeichnet.
Kanada und Mexiko hingegen nehmen weiterhin eine Ausnahmestellung ein. Beide Staaten befinden sich in gesonderten Gesprächen mit dem Partner in Washington - am Ende könnte ein wie auch immer geartetes Nachfolgemodell für das Freihandelsabkommen NAFTA stehen. Auch die Regierungen Australiens, Argentiniens und Brasiliens reden noch mit der US-Administration.
Alle gleich behandeln
Vor diesem Hintergrund ist der Ausgang des drohenden Handelskrieges mit den Europäern von besonderer Bedeutung. Denn die Sache könnte Modellcharakter bekommen. Andere Staaten würden schnell der Idee verfallen, das Thema Einfuhrzölle ebenfalls dauerhaft ad acta legen zu wollen. "Die haben sich da ein tiefes Loch gegraben und müssen nun sehen, wie sie wieder herauskommen", beschreibt Cato-Experte Lester die Position der US-Unterhändler. "Aber es gibt da immer Wege. Man muss es nur wollen."
So könnten Trump und Co. zum Beispiel ihr Gesicht wahren, indem sie den transatlantischen Ausnahmezustand mit einer gemeinsamen Erklärung der USA und der EU beenden. Sie könnten darin den beiderseitigen Verzicht auf Einfuhrzölle bekanntgeben und sich stattdessen auf das konzentrieren, was nach Ansicht beider Partner eine wesentliche Sorge ist: die unfairen Handelspraktiken Chinas. Wirtschaftsexpertin Hillman findet, dass die Vereinigten Staaten und die Europäische Union mit den gegenseitigen Anfeindungen nur ihre Zeit verschwenden. "Dabei ist der einzige Weg, etwas gegen China zu unternehmen, ein gemeinsamer", fügt Jennifer Hillman hinzu. Doch Europa könne dies nicht gemeinsam mit Washington angehen, wenn es zugleich Strafzölle gebe. "Das ist für mich die Kernbotschaft", sagt Hillman. Allein bleibt die Frage: Hat man diese Botschaft im Weißen Haus gehört?